Identitaetskonzentrat Pfannkuchen

Waehrend meines Studiums der Amerikanistik und der Kulturwissenschaften bewarb ich mich beim DAAD fuer ein Auslandsstipendium – und wie alle wollte auch ich nach New York. Allerdings entschied der DAAD anders und sandte mich an die Emory University nach Atlanta, Georgia – mitten in die tiefsten Suedstaaten: die Stadt und das Land von Scarlett O”Hara. Faszinierend fand ich dort, dass sich der Mythos des >Old South< so hartnaeckig in das kollektive Gedaechtnis gebrannt hat und noch immer zelebriert und stilisiert wird, wenn auch inzwischen mehr fuer den stetigen Fluss der Touristen: Von Stone Mountain, ein ehemalig heiliger Riesenmonolith der Creek, in den Anfang des 20. Jahrhunderts ein ueberdimensionales Relief [ein Mensch hat ohne Probleme Platz im Nuester eines der Pferde] von General Lee und seinen Gefaehrten verewigt wurde; ueber das Margarete Mitchell Museum, das Geburtshaus der Autorin von >Vom Winde verweht<, bis hin zu freundlichen Frauen in Original-Southern-Belle-Kostuemen, die durch ehemalige Plantagen eine Touristenfuehrung geben.

Die immer noch waehrende Praesenz dieses Mythos war ausschlaggebend fuer das Thema meiner Magisterarbeit. In dieser Arbeit habe ich mich mit der Ikonographie und der Mythoskonstruktion der Black Mammy beschaeftigt. Ein Image, das stellvertretend ist fuer einen ungebrochenen Glauben an den Mythos des harmonischen und friedlichen alten Sueden und der von instrumentaler Bedeutung wurde, als die USA nach dem blutigen Buergerkrieg zwischen 1861 und 1865 sich als Nation zu konfigurieren begann.

Aehnlich wie in anderen Staaten, die nach jahrhundertelanger Kolonialisierung die Souveraenitaet erlangten, erlebten die Vereinigten Staaten ein Auseinanderdriften ihrer in den Regionen unterschiedlich gearteten Gesellschaft. Der Sueden entwickelte sich durch seine von Sklaverei gepraegte Plantagenoekonomie und durch seine fast feudalistische Gesellschaftsstruktur in einen aristokratisch anmutenden Agrarstaat, waehrend der Norden den Weg in die Industrialisierung verfolgte und dadurch auch von einem staerker kapitalistischen Aufbau der Gesellschaft gepraegt war. Stand am Anfang der Revolution 1776 noch der Einheits- und Demokratiegedanke gegen die Kolonialmacht England, der die USA als eine fortgefuehrte Vision, als ein besseres Europa sah, so zerrissen wenige Jahrzehnte danach innenpolitische Machtbestrebungen und auseinander strebende Gesellschaftsvisionen das >bruederliche Band der dreizehn Staaten< ­ der menschenrechtliche Aspekt der Sklaverei war in den politisch und oekonomischen Auseinandersetzungen nur ein Mittel zum Zweck. Es gibt Studien, die aufweisen, dass die Nordstaaten den Krieg wahrscheinlich verloren haetten, waere die Armee nicht durch die zusaetzliche Mannesstaerke der freigesetzten Sklaven verstaerkt worden. Es ist zwar schwierig, die post-koloniale Situation in Amerika mit der in afrikanischen Staaten zu vergleichen, denn in afrikanischen Staaten wurden oft durch die Kolonialisierung willkuerlich Stammesgebiete zusammengelegt und zerrissen, was in den USA nicht wirklich der Fall war. Aber der tendenzielle Ablauf ist insofern vergleichbar, als dass die internen Eigenbestrebungen gewisser Regionen zu Konfliktsituationen fuehrten, wenn nicht sogar zur Abspaltung eines Teilgebietes vom Rest. Der Sueden wurde damals vernichtend geschlagen und ueberwand diesen Identitaetsverlust nie, sondern fluechtete sich in eine romantisierend-verklaerende Idee des >Lost Cause<. In der >Post-Reconstruction< Aera durchlief der Sueden einen tiefgreifenden sozialen, politischen und oekonomischen Wandel: Der >Garten Eden< wurde industrialisiert und kommerzialisiert. Die aufkommende Konsumkultur tat ihr Uebriges im Zerschlagen der alten Hierarchien und Aufbauen neuer Wertigkeitsstrukturen. Eine erstarkende afro-amerikanische Mittelschicht demonstrierte sich immer praesenter und selbstbewusster in einer von Weissen dominierten Gesellschaft. Gleichzeitig war es auch die Zeit der meisten Lynchmorde in der amerikanischen Geschichte. Vor diesem sozial-politischen Spannungsfeld entwickelte sich in der Populaerkultur ein verkaufstraechtiger >Old South< Mythos, der in der Ikongraphie der Black Mammy sein Flaggschiff fand. Sich der Konsumkultur und der Merchandising-Maschinerie bedienend, stellte die Black Mammy am praegnantesten den Versuch einer Ideologie- und damit Machterhaltung dar und verkoerperte damit eine Bastion gegen die damaligen Entwicklungen. 1893 wurde Aunt Jemima - eine Unterart der Black Mammy - auf der Chicago World Fair erstmals praesentiert; seitdem hat sich ihre damalige Erscheinung tief in die Koepfe von Generationen von Amerikanern eingebrannt: Mit ihrem turbangekroenten Kopf und einem freundlichen, weisse Zaehne bleckenden Lachen im tiefschwarzen Gesicht, richtet sie willig und freudestrahlend die Pfannkuchen fuer ihre >Missi< und ihren >Master< her. Noch heute wird mit dem Bild einer afro-amerikanischen Frau als Marke fuer >Aunt-Jemima< Pfannkuchen geworben - allerdings hat sie inzwischen etwas abgespeckt, ist in der Hautfarbe heller geworden, waehrend der Turban einer modernen Frisur gewichen ist. Lachen tut sie nur noch freundlich und mit geschlossenerem Mund. Die Botschaft der schwarzen Arbeitskraft im Haus, die freudig ihre weissen Herrschaften versorgt, ist aber immer noch unverkennbar. Die Black Mammy wusste in der Geschichte ihrer Mythosschreibung immer >wo ihr Platz war< und lehnte sich nicht gegen die Hierarchie einer weissen, patriarchalischen Gesellschaftsstruktur auf, wie sie zu der Zeit gegeben war. Mehr noch, sie wurde als Traeger der alten, weissen Suedstaatenkultur gesehen, da sie in ihrer Funktion als Amme nicht nur fuer das leibliche Wohl, sondern vor allem fuer die geistig-moralische Erziehung der Kinder zustaendig war. Um die Jahrhundertwende entwickelte sich in der amerikanischen Populaerkultur ein ganzer Hype um alles, was mit dem >Old South< zu tun hatte: Aunt Jemima war nur der Anfang, bald gab es Cookie-dosen in Form einer Black Mammy, Postkarten, sogenannte trade cards, die man aehnlich der heutigen Stickersammlungen untereinander tauschen konnte, und allerlei Haushaltsgeraet in der Koerperform von einer Mammy; auch in der Literatur hielt die Mammy als Begleiterin der weissen Heldin ihren Einzug. Der Grund fuer solch ein Ideologiekonglomerat liegt in der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten nach der offiziell abgeschlossenen Rekonstruktion des Suedens noch lange keine geeinte Nation waren. Allerdings machte dieser >Versoehnungsprozess< Fortschritte um die Jahrhundertwende, da die nationale Identitaet mit dem Aufkommen des >scientific racism< auf einen gemeinsamen Nenner, naemlich den der Rasse, gebracht werden konnte. In Abgrenzung zu der afro-amerikanischen Kultur, die als unterlegen und unterwickelt gesehen wurde, konnte sich die im Wandel befindliche Suedstaatenkultur und die Nordstaatenkultur gegenseitig annaehern - wenn auch im Norden keine offizielle Rassentrennung vorherrschte, so hielt sich auch dort ein tiefwurzelnder Rassismus. Diese empfundene Ueberlegenheit des weissen, amerikanischen Systems spiegelt sich in imperialistischen Bestrebungen der Aussenpolitik sowie in einer rigiden Rassenpolitik im Lande wider. Nach der Befreiung von der Kolonialisierung und dem darauffolgenden Buergerkrieg brach nun eine Phase des Ueberlegenheitsgefuehls und des eigenen Missionsgedanken an. Was den weissen Sueden und Norden zusammenbrachte und wieder einte, war die Etablierung der WASPness: des >White Anglo-Saxon [male]Protestant<. Die Ikonographie der Black Mammy diente bei der moralischen Wiederherstellung des Suedens als Entschuldigungsinstrument, denn sie verkoerperte eine schwarze Bevoelkerung, die gluecklich unter der weissen Fuehrung und sogar darauf angewiesen war. Die Darstellung, dass der alte Sueden so schlecht nicht war, ermoeglichte erst die mentale Plattform, auf der eine Wiedervereinigung und Etablierung einer gemeinsamen amerikanischen Identitaet moeglich war ­ aus diesen Gruenden erfuhr die Ikonographie der Black Mammy nicht nur einen Siegeszug in den Suedstaaten, sondern durch ganz Amerika. Der Film >Vom Winde verweht< etablierte das mythologisierte Bild des >Old South< und damit das der Black Mammy weltweit.

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