Ich kam, sah und zeltete

50 v. Chr., Mittelmeerraum: Im Zuge seiner Expansionspolitik eroberte das Roemische Reich immer neue Gebiete, erschloss diese durch Strassen, Siedlungen und Verteidigungsanlagen. Dabei waren die Roemer die einzigen Krieger der damaligen Zeit, die die Siedlungsform des Zeltlagers kultivierten.

Die Lager wurden an einem im voraus von Landvermessern sorgfaeltig ausgewaehlten Standort aufgeschlagen. Jedes Zelt hatte seinen Platz. Jeder Legionaer seine zugeteilte Aufgabe. Zunaechst entstanden Graben und Schutzwall, in dem die Erde von aussen nach innen geschaufelt wurde. Auf dem fertig gestellten Wall wurden Schanzpfaehle zur Errichtung von Brustwehren eingelassen, die entweder frisch geschlagen oder – in holzarmen Gegenden – von Lager zu Lager mitgeschleppt wurden.

Allen roemischen Zeltstaedten lag dasselbe Schema zugrunde: ein Rechteck mit zwei sich kreuzenden Geraden, die parallel zu den Aussenwaellen verliefen. Das Rechteck wurde von Wall und Graben gebildet. Die Geraden waren die beiden Hauptstrassen, die in die vier Lagertore muendeten. Im Zentrum stand das Feldherrenzelt [praetorium], umgeben von den Legionaerszelten. Auf dem freien Platz dahinter konnten die Soldaten zum Befehlsempfang oder zur Ansprache versammelt werden. Eine kleine Erhoehung [suggestus, tribunal] diente dem Feldherrn dabei als Podium.

2001, Afghanistan: In einem sandfarbenen Zelt unter der gluehenden Sonne Afghanistans sitzen GIs an Reihen von Tischen und beugen sich ueber Notebooks mit computer-generierten Landkarten. Sie sind auf einer Website eingelogt, auf der alle erforderlichen Informationen fuer den laufenden Kampfeinsatz gesammelt werden. Die Kommandeure tauschen per Chat ihre Informationen und Meinungen aus.

Das Lager dient als technologisches Nervenzentrum der US-Armee fuer den Einsatz am Hindukusch, von hier aus wird der Kampfeinsatz gesteuert. Doch Kriegsfuehrung an sich hat sich veraendert. Nur noch selten werden Bodentruppen in Krisen-regionen entsandt. Militaerische Zeltstaedte existieren haupt-saechlich als Uebungs- oder Materiallager oder fungieren als Kommandozentralen.

Ganze Institutionen und Industriezweige sind mit der Entwicklung, Erprobung und Produktion des von militaerischen Truppen verwendeten Unterkunftsmaterials beschaeftigt. Dabei spielen Aspekte wie Materialbeschaffenheit und -schutz oder Ergonomie eine grosse Rolle. [4] Es gibt Truppen, die sich ausschliesslich um die logistische Seite wie die Koordination und Sicherstellung von Ressourcen oder um die Instandhaltung der Ausruestung kuemmern.

2002, Porto Alegre: Mitten in der Stadt, vor hohen Buerogebaeuden, erstreckt sich eine Zeltstadt, in welche am Abend Zehntausende erschoepfter Jugendlicher stroemen. Ueber den bunt verstreuten Zelten wehen Transparente, Reggae-Musik ertoent, und Marihuanageruch liegt in der Luft. Wir befinden uns beim Weltsozialforum. 50 000 Globalisierungsgegner sind hier zusammen gekommen. NGO-Mitglieder bilden Zelt-gemeinschaften. Die Jugendlichen haben so nicht nur die Moeglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen und Ideen und Erfahrungen auszutauschen.

In Hunderten von Workshops wird konzentriert gearbeitet, ein Medienzentrum aufgebaut, eine Zeitung herausgegeben. In den Konferenzsaelen laufen Vortraege und das Podium, das dem roemischen Feldherrn zur Ansprache und Befehlsvergabe an seine Truppe diente, fungiert nun als Diskussionsort, an dem jeder zu Wort kommt. Im Camp soll Theorie in Praxis umgesetzt werden, die Utopie in der Realitaet gelebt werden. Diese Art von Kollektiverlebnis laesst eine Atmosphaere entstehen, die natuerlich weniger an militaerische Zeltstaedte als an eine Mischung aus Woodstock und Ferienlager erinnert.

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