Humboldt von links betrachtet

Das Humbdoldtsche Bildungsideal lässt sich auch nach 200 Jahren in allen politischen Lagern recht gut verkaufen: der Anspruch auf Allgemeinbildung, die Einheit von Forschung und Lehre an Universitäten, etc. Aber wird es auch überall weiterentwickelt? Ronald Höhner, Kommunikationstrainer bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, formuliert ein Bildungsideal, das auf Humboldts Ideen fußt. Von links betrachtet sehen die bürgerlichen Vorstellungen auf einmal erfrischend anders aus.

Rückblickend kann ich ganz gut einen roten Bildungs-Faden in mein Leben spinnen. Das fing in der Jugendzeit als Pioniergruppen- betreuer an, später wollte ich Lehrer werden, da kam dann die Wende dazwischen. An der Uni habe ich meine Zeit mit Hochschulpolitik verbracht und mir in unzähligen Ferienlagern etwas zu meinen Lebensunterhalt dazuverdient. Nach der Uni ging es weiter mit drei Jahren vor Ort-Tätigkeit an Brandenburger Schulen – zunächst für die DGB-Jugend und später als Referent für Globales Lernen bei einer kleinen NGO.

Weiterbildung ist Normalprogramm

2000 kam ich schließlich zur Rosa-Luxemburg-Stiftung und übernahm dort den Aufbau der Jugendbildung. Die unmittelbare Bildungsarbeit mit der Zielgruppe ging erstmal rapide zurück, dafür machte ich mehr organisatorische und Netzwerkarbeit. Heute habe ich eine TrainerInnenausbildung und bin zurück in vollen Jahresplanungen mit 14 Wochenendseminaren.

Ich frage mich manchmal, wo und wie ich das alles gelernt habe, denn eine fundierte Befähigung zur Bildung habe ich als Volkswirt nicht. Dafür eine gute Portion Mut und Talent und vor allem Spaß an der Arbeit. Ich habe begleitend natürlich die ein oder andere Fortbildung besucht. Ich glaube jedoch, den größten Lernerfolg hatte ich stets durch die Praxis und späteres Reflektieren über das, was gut und was nicht zufriedenstellend war.

Heute besteht mein Berufsalltag aus vielen Seminaren, die in einem umfangreichen Stiftungsprogramm stehen. Die eigene Weiterbildung ist für mich inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Meine nächsten Termine in diesem Jahr sind Rhetorik, Psychohygiene und der Umgang mit Differenz im Seminar.

Das ist schon toll so arbeiten zu können. Ich habe hier in der Stiftung viel Freiheit. Dazu gehört zum Beispiel die Arbeit in gegenderten Teams, eine prozessoffene Arbeit, die Wahl von Lernorten und so weiter. Andererseits heißt das dann aber, dass ich selbst für meine Ansprüche verantwortlich bin und ich nichts auf den ungünstigen Rahmen schieben kann, wenn es mal nicht so läuft.

Motor für Weiterentwicklung

Mich fordert das aber eher heraus und zwingt zur Reflexion. So entwickle ich mich dann auch weiter. Insofern ist eine Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und Wirklichkeit durchaus Alltag, jedoch gleichzeitig mein innerer Motor für Weiterentwicklung in Richtung einer emanzipatorischen und linken Bildung.

Das sind große Worte, jedoch für mich sind es Leitideen meines Verständnisses von Bildung. Die Basis ist ganz irdisch, nämlich das Humboldtsche Bildungsideal. Für mich übersetzt sich das so, dass die Befreiung seiner selbst nur mit der Befreiung aller einhergehen kann. Das ist mir schon ein bedeutsamer Zusammenhang, denn Emanzipation, reduziert auf Selbstbefreiung endet schnell in Klassenegoismus oder Individualismus. Erst die Reflexion auf die Befreiung aller öffnet einen Denkweg zu umfassender Gesellschaftskritik, zu solidarischem Handeln und zu Interessenaushandlung.

Das ist also im Kern erst mal Humboldt. Für links und emanzipatorisch würde ich noch drei Dinge ergänzen. Zum einen geht es mir in meiner politischen Bildung darum, Dinge als veränderbar darzustellen und Teilnehmende als Subjekte dieser Veränderung zu sehen. Zum zweiten geht es mir um einen kritischen Blick auf politische Prozesse, das meint für mich das Einnehmen sehr verschiedener Perspektiven.

Klar gibt es die race-, class- und gender-Brille, jedoch auch Alter, Bildungshintergrund oder politische Sozialisierung finde ich zunehmend wichtig, um Gesellschaft gemeinsam verändern zu können. Und damit sind wir bei drittens. Handlungsperspektiven denke ich immer solidarisch mit anderen, das heißt: kollektiv Handeln und bereit sein zur Verhandlung von Interessen. Ich denke, der Veränderungsanspruch ist schon was spezifisch Linkes.

Beispiele für linke Bildungsarbeit

Das versuche ich in meiner Bildungsarbeit auch konkret umzusetzen. Das fängt beispielsweise damit an, dass ich die TeilnehmerInnen meiner Seminare bitte, vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Motivationen gemeinsame Fragen an den Gegenstand zu entwickeln. Dabei kommt deutlich mehr heraus, als eine individuelle Erwartungsabfrage.

Ein theoretischer Input rechtfertigt sich dann aus den Fragen, die damit beantwortbar werden. Dann wird kritisch angeeignet. Also wer hat die Theorie warum, wann und für wen erarbeitet und wie wird sie im Allgemeinen rezipiert, welche Kritik gibt es daran und welche alternativen Denkansätze kennen wir. Am Ende werden Erträge wieder kollektiv in die individuellen Praxen transferiert.

Das klingt als sozialer Lernprozess so simpel, jedoch ist es schwer zu machen und birgt auch Gefahren. Die Prozessoffenheit ist mit viel Gruppenarbeit und entsprechenden Dynamiken verbunden und verunsichert einen selbst und die Teilnehmenden gleichermaßen. In einem Seminar zum Thema Fairer Handel habe ich am ersten Abend gefragt, was die Teilnehmenden am Gegenstand genau interessiert. Das sollten sie dann aushandeln. Heraus kam unter anderem die Frage, wie eigentlich die Partnerauswahl in den Ländern des Südens funktioniert.

Im Seminarverlauf dann gab es kritische Töne, weil Partnerschaften meist auf Bekanntschaft mit “Weißen” fußen, neue Partner auch Konkurrenten sind usw. Ich fand das super. Dann fragten mich am folgenden Abend die TeilnehmerInnen ganz verwirrt, ob es denn okay sei, wenn ich mein Konzept gar nicht durchbekäme. Diese Situation ist recht bezeichnend für die Brüche, die mit prozessoffener Bildung auch verbunden sind. Am Sonntag haben wir dann den fairen Handel kritisch und um eine Perspektive erweitert und alle waren zufrieden.

Bildung in Zukunft

Ich stelle mir dennoch permanent die bange Frage, ob das immer so gut ausgeht. Wer weiß schon, ob ich nicht beim nächsten Mal vor unzufriedenen TeilnehmerInnen als Depp dastehe? Und was tue ich eigentlich, wenn die “falschen” Fragen gestellt werden, wenn ich gar keine rechte Ahnung habe oder wenn der Transfer ein gefährlich verkürzter bleibt?

All das sehe ich als Einwände berechtigt an. Und doch meine ich, diese Verunsicherung hat auch damit zu tun, die Position der ExpertIn zu verlieren oder mit mangelndem Grundvertrauen in die Lernenden.

Ich denke, eine Zukunft, die nicht durch einen Kopf erdacht wird und die alle mitdenken soll, kann nur in einer Bildung entstehen, die selbst genau nicht durch einen Kopf gedacht ist und auf die sich alle verständigen. Und bei dem ‘alle’ bin ich selbstverständlich dabei, und wahrscheinlich sogar mit beachtlichem Gewicht. Für mich funktioniert das.

6 Kommentare zu “Humboldt von links betrachtet

  1. Hallo, sehr interessanter Beitrag, wirklich mal ein anderer Blick auf Humboldt. Mich würde noch interessieren: Wie hat dieser linke, emanzipatorische Anspruch für Sie im restriktiven Bildungssystem der DDR funktioniert oder hatten Sie damals vielleicht noch nicht diese Überzeugungen wie heute? Mich interessiert das, weil ich die DDR nicht selbst miterlebt habe.

  2. Humboldt aus einer linken Perspektive: Da denke ich auch an die Gegner des Bologna-Prozessen, die ja auch oft aus einer linken Ecke kommen und mit Humboldt argumentieren. Dort heißt es dann: Die neuen Studiengänge legten zu viel Wert auf die berufliche Ausrichtung des Studiums. Die Idee einer ganzheitlichen Ausbildung wie bei Humbdolt gehe verloren. Daher meine Frage an den Verfaser Ronald Höhner: Wie verorten sie sich bei der Kritik an Bologna bezogen auf Ihr linkes Bildungsideal?

  3. Zum Kommentar 1 von Hannah kann ich nur sagen, dass ich damals in der DDR solche Gedankengänge über Bildung und Gesellschaft nicht angestellt habe, da war ich denke ich zu jung und unfrei im Denken. Rückblickend würde ich die Kritik am DDR-Bildungssystem mit Humboldt vom Ziel der Bildung her ansetzen. Damals stand die Selbstbefreiung durch Bildung immer unter dem Vorbehalt einer Unterordnung unter gesellschaftliche Erfordernisse. Und diese waren unter Sanktionsdrohung nur schwerlich thematisierbar, geschweige denn verhandelbar.
    Zu Kommentar 2 von Jürgen und dem Bolognaprozess. Meine Kritik an Bolgna setzt genau dort an, wo ich bei Kommentar 1 aufgehört habe, nämlich an der Unterordnung von Bildung unter gesellschaftliche Erfordernisse, die nicht zur demokratischen Verhandlung stehen. Hier könnte man einwenden, dass dies bei der Schulbildung und auch bei der Berufsbildung auch so sei … ja ist es! Deshalb steht ja auch beides von links traditionell in der Kritik. Im Studium (dem Klub der 40%-Ausgewählten) jedoch ist diese Unterordnung ein Roll back. Mit Bolgna schaffen wir eine zweigeteilte Intellektuellenschicht. Eine kleinere, die nach wie vor in der Lage sein soll, Systemkrisen kreativ zu bearbeiten. Die sollen das aber parteilich tun, deshalb braucht es eingeschränkte Freiräume im Denken, denn es geht im Kern ja um Anpassung an, nicht um Überwindung von Systemkrisen. Die größere Schicht der Intellektuellen wird mit kurzlebigem Wissen versorgt, das sie zwingt, lebenslang und “unter Kontrolle” weiter kurzlebig zu lernen. Das Denken in größeren und fachübergreifenden Zusammenhängen steht nicht auf dem Lehrplan … so funktioniert die lebenslange Denkkontrolle ganz gut. Konsequent meinen auch die meisten Bachalor-Protestierenden, der Kern der Proteste seien schlechte Studienbedingen. Dass es hier um Entmündigung und Fremdaneignung ihrer Kreativität geht, kommt nur wenigen in den Sinn. Ein bissl DDR-Logik erkenne ich da schon wieder und immer weniger Humboldt übrigens auch.

  4. Toller Einblick in die Arbeit eines Seminarleiters! So ein Blick hinter die Kulissen. Backstage. Das ist spannend. Ein bisschen wie durch das Schlüsselloch gucken. Im Rahmen des Bildungsthemas eine tolle Bereicherung!

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