Ein “Schloss für die Welt”: Warum kuratieren im Berliner “Humboldt Lab” nur weiße Europäer?

Ein “Schloss für die Welt” soll in Berlin entstehen: In der historischen Mitte der Stadt wird das alte Stadtschloss wieder aufgebaut um das Humboldt-Forum mit den Sammlungen des “ethnologischen Museums” zu beherbergen. Die Kulturwissenschaftlerinnen Mona Wischhoff und Sarah K. Becker haben sich die Vorab-Ausstellungen angeschaut. Ein Kommentar.

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Da haben seine FürsprecherInnen wirklich schöne Umschreibungen für das umstrittene Bau- und Kulturprojekt gefunden: Der rekonstruierte Sitz preußischer Könige und Kaiser wird zum „Schloss für die Welt“. Man schwärmt vom „Dialog der Kulturen“ und meint damit den Umzug des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlins touristische Mitte.

Ab 2019 soll das Humboldt-Forum der Ort für dieses Gespräch sein. Sammlungsobjekte treffen auf MuseumsbesucherInnen. Aber was erzählen diese Objekte ihrem Gegenüber? In den Dauerausstellungen in Dahlem sagen sie derzeit: „So ist es dort in meiner, weit entfernten Welt.“ BesucherInnen präsentieren sie sich als zu bestaunende Zeugen fremder Kulturen.

Mit dem Umzug ins Humboldt-Forum sollen die klassische Erzählmuster der Dahlemer Museen aufgebrochen werden. Weil die Kulturstiftung des Bundes wohl zustimmt, dass es dafür noch einiges zu tun gibt, unterstützt sie den Weg dorthin mit 4,1 Millionen Euro – ein großes Verdienst des Projektleiters Martin Heller, dass die neuen Gehversuche der Museen schon vor dem Umzug gezeigt wurden. Denn seit 2012 traten die MuseumsmacherInnen regelmäßig mit kleinformatigen Ausstellungen an die Öffentlichkeit.

Labormetapher als Leitmotiv

Die letzte der insgesamt sieben so genannten „Probebühnen“ hat Ende Juni eröffnet. Man will sich vom konservativen Denkstil verabschieden: Das drückt der progressive Titel „Humboldt Lab Dahlem“ aus.

Die im Kulturbetrieb längst virulente Labormetapher wurde auch hier zum Leitmotiv erklärt, das Vokabular der naturwissenschaftlichen Methodik übernommen: Die Ausstellungen werden zu „Experimenten“, die räumliche Gliederung zu ihrer „Versuchsanordnung“ erklärt. Häufig wurden international anerkannte KünstlerInnen eingebunden, die zu und mit den Sammlungen eigene Arbeiten entwickelten.

Bei einem Symposium Anfang Juli diesen Jahres stellte das „Lab“ diesen Ansatz zur Debatte: „Historische Sammlungen und Gegenwartskunst: Eine Diskussion kuratorischer Strategien“. Neben KuratorInnen der Staatlichen Museen sprachen VertreterInnen aus Ethnologie, europäischer und asiatischer Kunstgeschichte, AusstellungsmacherInnen – und die Künstlerin Lisl Ponger.

Künstlerische Interventionen in den Ausstellungen könnten „historische“ Sammlungen entstauben, meint die Referentin Angela Rosenberg, die auch als Kuratorin an den „Probebühnen“ mitwirkte. Eine Frischekur also. Dabei geht es doch nicht allein darum, dass die Sammlungen „veraltet“ sind, sondern um ihre ganz spezifische Geschichte. Elegant wird die Bezeichung der ethnologischen Sammlungen umgangen, und damit auch die eigentliche Problematik um die kolonialen Verflechtungen der Museen.

Stolpersteine oder Dialog?

Dass die Interpretation eines Objektes kolonialer Herkunft durch ein deutsches Museum Gefahr läuft unstimmig oder sogar anmaßend zu sein, wirft die Kunsthistorikerin Elena Zanichelli in ihrem Vortrag ein. Man müsse in diesem Fall das eigene Unvermögen der Vermittlung transparent zu machen. Sie schlägt vor, dass diese Objekte als „Stolpersteine“ stumm bleiben. Konsequent wurde dieser Weg bisher nicht verfolgt.

Stattdessen testete man ein anderes Konzept, das den „Dialog der Kulturen“ befördern sollte: Unter den internationalen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, die eingeladen wurden, waren auch solche aus den Herkunftsländern der Objekte. Als Vorzeigeprojekt gern zitiert ist Waseem Ahmeds „DAHLEM KARKHANA“. Er öffne das „historisch abgeschlossene Kapitel“ der Kunstsammlung Süd-, Südost- und Zentralasiens und bringe die Gegenwart hinein, heißt es auf der Website des „Lab“.

Und weiter: In seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Museum für Asiatische Kunst verbinde er die südasiatische Miniaturmalerei mit postmodernem Denken. Es entstünden gesellschaftskritische Motive, die sich der traditionellen Technik bedienten. Das scheint ein gelungenes Projekt. Aber vorhersehbar, schaut man in das Portfolio des pakistanischen Künstlers.

Koloniales Erbe: Wer spricht hier über wen?

Ahmed hält als Vertreter seiner Herkunftsregion her. Als das Fremde zeigen seine Arbeiten, was hierzulande ohnehin als dominantes Bild von einer islamischen Gesellschaft gezeichnet wird: die unterdrückte Frau, Fundamentalismus und Gewalt.

Stereotype finden Bestätigung. Ahmeds komplexe Kritik an den pakistanischen Strukturen bleibt im Ethnologischen Museum nur oberflächlich lesbar – und damit unübersetzbar. Zanichellis Einwand zeigt sich hier als berechtigt.

Klare Stellung bezieht die Künstlerin Lisl Ponger in ihrem inszenierten Interview mit sich selbst: Sie stünde für eine solche künstlerische Intervention nicht zur Verfügung. Das käme einer Komplizenschaft mit dem „kolonialen Unternehmen“, wie es jedes ethnologische Museum sei, gleich.

In einer so mächtigen Institution würde die Kunst vereinnahmt und könne nicht mehr frei sprechen. Damit steht die Frage im Raum, die für einen reflektierenden, kritischen Umgang mit dem kolonialen Erbe so entscheidend ist: Wer spricht hier eigentlich? Und über wen?

Man kann den KuratorInnen nicht vorwerfen, ihre Antwort darauf nicht deutlich zu machen. Durch die gläsernen Türen hinter dem RednerInnenpult flackern während des zweitägigen Symposiums unaufhörlich die Gesichter der HauptakteurInnen auf – in Großformat, auf raumdominierenden Leinwänden: In der Ausstellung „Prinzip Labor“ lassen die KonzeptmacherInnen die „Laborphase“ Revue passieren. Was sie neben ihrer Tätigkeit am „Lab“ eint: Sie alle haben das Privileg, „weiß“ zu sein (wie auch die Autorinnen dieses Textes).

Die eigene Position wird nicht reflektiert

Doch obwohl sie sich selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, ist kein Reflexionsmoment dieser eigenen Position zu erkennen. Dabei wäre es in einem ethnologischen Diskurs eine Feststellung wert, welche Identitäten, sprich Privilegien, die AkteurInnen mitbringen.

Das hieße konkret, sein „Weiß-Sein“ als privilegierte „politische Identität“ zu verstehen, so wie es die postkoloniale Theoretikerin Grada Kilomba vorschlägt: „Das bedeutet, Macht zu besitzen, die allerdings als neutral und normal wahrgenommen wird.“

Machtstrukturen sind historisch gewachsen und wirken heute spürbar nach: Dem ethnologischen, ehemals völkerkundlichen, Museum ist die Machtposition der „weißen“ EuropäerInnen gegenüber „nicht-weißen“ Nicht-EuropäerInnen eingeschrieben. Ihr „verdankt“ sie die eigene Existenz, denn aus dieser Struktur speist sich der Besitz der außereuropäischen Objekte.

Die Künstlerin Lisl Ponger bringt auf den Punkt, dass es doch eine skurrile Vorstellung sei, nun ausgerechnet KünstlerInnen aus dem globalem Süden, NachfahrInnen der Kolonialisierten, einzuladen, den kolonialen Bestand zu retten.

Die Entscheidungshoheit bleibt bei den europäischen KuratorInnen

Die Hegemonie der Institution „Museum“ wird durch diese Strategie nicht überwunden, denn in oberster Instanz sind es schließlich die KuratorInnen, die die KünstlerInnenauswahl treffen. Nicht nur werden die Variablen des „Experiments“ minimiert, auch bleibt die Reflektion der eigenen machtvollen Position aus.

Der einzige Referent des Symposiums, der seine eigene Sozialisation als prägend für seine kuratorischen Strategien benennt, ist Ugochukwu-Smooth Nzewi, der von Nigeria aus in die USA ans Hood Museum of Art ging, um dort die Leitung der Abteilung für Afrikanische Kunst zu übernehmen.

Diese Variante des Experiments wurde im „Humboldt Lab“ ausgelassen: die Entscheidungshoheit an KuratorInnen aus den Herkunftsländern der Objekte abzugeben. Die großspurig beworbene „multiperspektivische Erzählung“ bleibt aus. Die „Stimmen der Herkunftskulturen“ miteinzubeziehen (Hermann Parzinger im institutseigenen Magazin), findet nur auf Objekt- nicht auf auf Konzeptionsebene statt.

So lange nicht konsequent die Depots geöffnet werden, bleiben die hegemonialen Strukturen erhalten: Die Sammlungen, Objektauswahl und – einordnung, verweisen in ihrer aktuellen Verfasstheit vielmehr auf die kolonialen Verflechtungen und die preußische Sammelleidenschaft. Warum also nicht im Schloss von den komplexen Überschneidungen einer bildungsbürgerlich-wissenschaftlichen Neugier, dem ökonomischen Profitstreben und kolonialer Gewalt erzählen?

Anm. d. Red. Mona Wischhoff und Sarah K. Becker haben diesen Text gemeinsam verfasst. Die Ausstellung „Prinzip Labor“ ist noch bis zum 18. Oktober 2015 im Museum Dahlem zu sehen. Das Startbild stammt von Mario Sixtus. Das zweite Foto stammt von Piet Theisohn. Beide Fotos stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

6 Kommentare zu “Ein “Schloss für die Welt”: Warum kuratieren im Berliner “Humboldt Lab” nur weiße Europäer?

  1. @Ethnologisches Museum: Nun, wie steht das Museum zu den ausgeführten Kritik im Umgang mit den Sammlungen und ihrer “Belebung” durch zeitgenössische Kunst?

  2. Das Ethnologische Museum Berlin versteht sich nicht als ein koloniales Unternehmen, wie Lisl Ponger pauschalisiert. Das Ethnologogische Museum hat eine koloniale Geschichte, die es aufzuarbeiten und zu thematisieren gilt.
    Die deutsche Kolonialgeschichte und die Rolle des Museums werden im Humboldt Lab an mehreren Stellen kritisch beleuchtet, wie beispielsweise im Projekt „Objektbiographien“ oder „(K)ein Platz an der Sonne“. Auch im Humboldt-Forum wird der europäische Kolonialismus an mehreren Stellen thematisiert werden.
    Die Kritik, dass es eine skurrile Vorstellung ist, KünstlerInnen aus dem globalen Süden einzuladen um einen kritischen und zeitgenössischen Blick auf die Sammlungsbestände des Ethnologischen Museums zu werfen, können wir nicht nachvollziehen.
    Wie Sie ganz richtig kritisieren, fehlen im angesprochenen Film in der Abschlussausstellung des Humboldt Labs „Prinzip Labor“ nicht-weiße Positionen . Dennoch lässt sich diese Kritik nicht auf das gesamte ethnologische Museum übertragen. Ethnologische Museen sehen wie kein anderes Museum gezwungen, ihre eigene Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu reflektieren. Dies geschieht in regelmäßigen, auch öffentlichen Veranstaltungen. So veranstaltet das Humboldt Lab am 19. September ein Symposium „Für immer Krise?“ im Ethnologischen Museum zu dem Thema, wie nichteuropäische Sammlungen im Museum des 21. Jahrhunderts präsentiert werden können. Dazu möchten wir Sie ganz herzlich einladen und mit uns gemeinsam zu diskutieren.

  3. Ich kann nicht erkennen, dass das Museum in Dahlem, das bald ins Humboldtforum ziehen wird, von einem kolonialen Duktus geprägt ist. Dort wird die Sammlung endlich in das Zentrum der Republik gerückt.

    Ob eine Person weiß oder schwarz oder sonstwas ist, die Objekte sind ja mindestens so alt wie das Kaiserreich. Bin ich als Weißer Deutscher mehr fähig das Kaiserreich zu erzählen als ein Schwarzer? Müssen wir dann auch “alte Griechen” das Pergamonmuseum erzählen lassen? Alte Griechen, Kolonialvölker und kaiserliche Deutsche gibt es nicht mehr.

    Wenn man die europäische höfische Kunst nach 1800 verstehen will, muss man nach Pompeii fahren und die Vorbilder studieren. Trotzdem brauche ich keine Nachfahren der alten Römer, und es ist gemeineuropäische Kunst.

    Die Ausstellung “kolonialer Kunst” bedeutet Wertschätzung der kulturellen Leistungen in den ehemaligen Kolonien. Jede Ausstellung produziert diesen Wert. Das als das “eigene” Erbe zu erkennen, reißt Schranken ein.

  4. @ Ethnologisches Museum: Da Sie den kritisierten Film aufgreifen, möchte ich hierzu einen kleinen Kommentar nachlegen. Der Film zeigt die Macher_innen des Labs, so findet man es auch auf Ihrer Website: „Besonders interessiert dabei die Perspektive der Akteure, die das Humboldt Lab geformt haben“. Das Ausbleiben von nicht-weißen Postionen an genau dieser Stelle führt uns vor Augen, wer letztendlich die dominanten Rollen bekleidet.

    Da Sie dies ja selbst bedauern, wäre es wünschenswert entsprechend der von Ihnen selbst gestellten Ansprüche in der Zukunft die Beteiligung von Akteur_innen aus dem globalen Süden über die Grenzen einer Einbindung von geladenen Künstler_innen hinaus zu realisieren. Denn der Gestus der Einladung beinhaltet bereits ein gewisses Machtgefälle und einen zeitlich eingeschränkten Handlungsrahmen. Eine neue Rollenverteilung im Kuratorium wäre ein Lösungsansatz.

  5. “Das Ausbleiben von nicht-weißen Postionen…”

    Diesen rassistischen Diskurs können wir uns sparen, Frau Becker. Gerade ethnologische Sammlungen sind Schnittstellen der interkulturellen Begegnung. Ich kann bei Begriffen wie “nicht-weissen Positionen” nur den Kopf schütteln.

  6. Hihihi! Wahrscheinlich bräuchte man auch SS-Veteranen für die Konzeption der Ausstellung “Topographie des Terrors”… ^-^

    Das “nicht-weisse europäer” ist eine gut gemeinte rassistische Einlassung. Sowas, liebe Frau Wischhoff, hat in einem ethnologischen Museum nun weissjott nix verloren. Die meisten Ethnologen, die ich kenne, sind auch privat mit “Exoten” fremder Völker verheiratet. Sie beschäftigen sich nicht mit anderen Völkern, weil sie sie verachten sondern lieben. Aber wahrscheinlich kommt da die Noble Savage Bullshit Bingo Karte…

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