Hochentwickelte Unterentwicklung

Als Medienkuenstler ist mein Blickwinkel auf die Transformationen innerhalb der Netzkultur zu Beginn des 21. Jahrhunderts zugegebenermassen partikular, und eher lokal, vorrangig auf Frankfurt bezogen.

Diesbezueglich faellt meine Bilanz letztlich negativ aus. Waehrend das Internet Zug um Zug allgemeine Verbreitung gefunden hat, sich zu einem echten >Breitensport< entwickelt hat, halte ich seine Verwendung unter hiesigen Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden fuer schlichtweg unterentwickelt. Als Beispiel unter vielen die Seite des Ausstellungsortes Portikus. Links oben die Worte >Deutsch< und >Englisch<. Darunter ein weisses Rechteck. Bin ich bei einem Uebersetzungsbuero gelandet? Kaum origineller der Frankfurter Kunstverein. Unterhalb von >Sprache/Language< steht noch >DekaBank<. Ein Hinweis auf Frankfurter Verhaeltnisse? Kulturinstitutionen sind von Banken abhaengig. Das gibt es doch anderswo auch. In aehnlicher Weise koennte ich die restlichen Einrichtungen in Frankfurt durchgehen. Ab und zu erfahre ich noch etwas ueber Programm oder Oeffnungszeiten. Aber reflektiert das den Stand des Internets im Jahre 2006? Die Botschaft ist wohl die: >Hallo, es gibt uns. Mehr faellt uns zu unserem Internetauftritt aber nicht ein.< Selbstredend, dass Frankfurter Institutionen auch keinerlei Blick auf Netzkunst haben. Am Museum fuer Angewandte Kunst gabs mal fuer kurze Zeit das Projekt >Digital Craft<. Dort wurden Internetseiten, Video- und Computerspiele und andere digitale Artefakte dokumentiert und archiviert. Eine ebenso notwendige wie heroische Aufgabe. Aus Unwillen, Unwissen oder Unfaehigkeit wurde das Projekt auch wieder eingestellt. Die Periode 2000-2006 ist vielleicht dadurch interessant, dass technisch beinahe alles moeglich geworden ist, von dem ich zehn Jahre zuvor nur traeumen konnte. Unter konzeptionellen Gesichtspunkten wirkt die letzte Zeit aber beinahe wie ein Rueckschritt. Zwei Beispiele: 1] Bei DSL sind stetig die Preise gefallen, der Downloaddurchsatz gewaltig gestiegen. Nicht aber der Upload. Denn gaengiges DSL ist eigentlich ADSL [asymmetrisches DSL]. Symmetrisches DSL [SDSL] mit gleichem Upload wie Download bleibt nach wie vor eine Sache fuer Spezialisten. Die Industrie will die User offensichtlich nur als Konsumenten, nicht als Produzenten. Filesharing oder Streaming soll moeglichst nur in einer Richtung funktionieren. Die Diskussion ueber Internet TV passt da genau rein. 2] Immer noch werden neue Webseiten ohne Ende produziert. Wer diese Webseiten nach ihrer Fertigstellung pflegt, betreut, weiterentwickelt, scheint niemanden zu kuemmern. Auch wenn Webdesigner nicht mehr der Hype ist, der er mal zu Zeiten der DotCom-Blase Ende der 1990er war, scheint dieses Berufsfeld nicht von Auslauf bedroht. Eigentlich muesste es aber weitaus mehr Webevolutionaere geben, Menschen, die konsequent und strategisch Netzkultur vorantreiben - und leben. Von diesem Fachkraeftemangel sind keineswegs nur die Frankfurter Kulturinstitutionen betroffen. Wie ich dazu gekommen bin, mich mit der Netzkultur zu beschaeftigen? Ich bin 1988 an die Hochschule fuer angewandte Kunst in Wien zu Peter Weibel gegangen. Dort gab es unter Roy Ascott und Mathias Fuchs die Lehrkanzel fuer Kommunikationstheorie, an der ich erste Beruehrung mit dem Netz hatte, damals noch als ARPA/EARN Net. Mit Mathias Fuchs haben wir das Projekt >MAPS< gestartet, ein Netzwerk-Austausch mit Personen an Hochschulen in England, Ungarn und USA. Per Email haben wir Texte und Bilder ausgetauscht, die mit Karten, Weltbildern und Projektionen zu tun hatten. Der Begriff des >Rhizoms< hatte uns alle beschaeftigt. Netz schien synonym mit rhizomatisch. Auf lokaler Ebene haben wir auch HyperCard Stacks gebaut und ausgetauscht. Das Projekt >MAPS< wurde schliesslich als Buch veroeffentlich. Das Netz selbst kannte noch keine Repraesentation, wie spaeter das WWW. In den Urzeiten des Netzes waren mir beinahe alle User persoenlich bekannt. Ansonsten war Netz von einem >Hallo, da bin ich<-Effekt gepraegt. Sein Ausdruck: die Homepage. Wie gesagt: Heute auf Massenbasis und der Anmerkung: >Mehr faellt mir zu meinem Internetauftritt aber nicht ein.< Mit zunehmender Anonymisierung des Netzes, mit der Generierung beilaeufigen Traffics durch Suchmaschinen sind neue Anforderungen aufgetreten, die eigenen Seiten attraktiv zu machen. Ich verwende viel Zeit auf Code- und Suchmaschinenoptimierung, Usability und Userinteraktion. Ebenso mit der Abwehr von Hacks und Spams. Der Inhalt kommt vielleicht manchmal zu kurz. Frueher war ich Autor, jetzt bin ich Operator. Die Schluessel-Events und -Projekte der letzten sechs Jahre sind: Open Source, Peer2peer, MP3/sharing [Napster etc.], Blogging, Wikis, Content Mangement Systeme. 1997 wurde auf der documenta erstmals Netzkunst praesentiert. In meiner Sicht sehr herausgehoben und offensiv. Der Coup war schliesslich die Kopie der documenta-Seite durch Vuk Cosic. Bei der Documenta 2002 war das schon nicht mehr der Fall, wesentlich diffuser alles. Kann mich eigentlich an kein wirklich bedeutendes Internet-Projekt erinnern. Seit einem Jahr beobachte ich die Entwicklung von flickr.com. Hier scheinen sich fuer mich neue Formen von Interaktionen zu entwickeln. Nicht umsonst wird flickr ja auch als Paradebeispiel des Buzzworts >Web 2.0< diskutiert. Allerdings ist das Tableau von flickr relativ eingeschraenkt. Alles dreht sich um Fotos. Welche Auswirkungen das auf meine eigenen Seiten haben koennte, die sich in einem allgemeineren kulturellen Kontext bewegen, weiss ich noch nicht. Aber die Richtung ist spannend.

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