Sieben Jahre Hassliebe zu Google, Facebook und Co.

Eine neue Generation wächst heran: Digital Natives schicken sich Links via Skype als Liebeserklärung, schreiben auf Blogs über ihr Leben und erholen sich in Entzugskliniken vom Internet. Brauchen die jungen Leute eine Internet-Therapie? Oder sollte die Gesellschaft ihre Haltung gegenüber der Technik therapieren? Berliner Gazette-Autorin Adriana Radu über sieben Jahre Hassliebe zu Google, Facebook und Co.

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2006, ich bin 17. Mein Programmiererfreund Markus, der vier Jahre älter ist, legt mir eine Gmail-Adresse an. Yahoo sei doof, meint er. Ich weiß nicht so wirklich, sage lahm „ja“.

2007, wir streiten uns tierisch, weil ich nicht mit ihm skypen will. Und wenn überhaupt, will ich gar nicht, dass er mir während wir sprechen Links schickt. Das ist mir zu anstrengend. Mit 20 mache ich mit ihm beinahe Schluß, weil er mir während eines Gesprächs erzählt, dass er sich mit einem Kumpel darüber unterhalten hat, was ein anderer Kumpel bei Facebook gepostet hat. Ich schreie, Twitter sei blöde Zeitverschwendung.

Mittlerweile schickt er mir jeden Tag 10+ Links via Skype und fragt immer nach, ob ich sie lese. Wenn das nicht der Fall ist, wird er verbal sehr aggressiv. Er hat das Gefühl, mich interessiert seine innere Welt nicht. Das wäre einfach seine Art, zu kommunizieren. Kurz danach denkt er sich eine bessere Lösung aus: ich muss Google Reader aktivieren und ihm da konstant folgen. Er exportiert seine Abonnements auf mein Konto und empfiehlt mir, was ich auschecken sollte. Ende 2010 sind wir nicht mehr zusammen. Ich spioniere ihm mit Hilfe von Google Reader mehr als ein Jahr lang nach.

2011. Ich lerne Thomas kennen. Ich mag ihn auf ganz vielen Weisen. Bin aber ein bisschen enttäuscht, dass er nicht ganz à la page ist, was E-mail Provider angeht: Er schreibt mir von seiner GMX Adresse. Ich helfe ihm, eine eigene Gmail Adresse anzulegen. Kurz danach erkläre ich ihm, wie er seine Nachrichten besser lesen kann, würde er die ganzen Feeds bei Google Reader lesen. Ich exportiere meine Feeds für ihn. Er ist mit der Gmail-Adresse ganz zufrieden. Google Reader verwendet er zwei Mal. Später bin ich super erleichtert, als das Tool stirbt: eine Internet-Abhängigkeit weniger. Meinen Facebook-Account habe ich nicht vor zu deaktivieren, sondern verbringe da viel Zeit. Mit meinen Eltern spreche ich sehr oft via Skype.

Internetentzug?

Vor der Entzugsklinik: Ich begleite eine gute Freundin, die eine Depression hat und zu viel Marijuana raucht. Sie müsste da ein paar Tage bleiben. Nachdem sie die Internierungspapiere unterschreibt, weint sie und schreit, weil es ihr nicht erlaubt ist, ihren Laptop mitzunehmen. Vor ein paar Tagen nur postete sie ein Photo bei Facebook mit dem Status “cause I am the superwoman and I am gonna come rescue you!” Das Photo hat mehr als 60 likes bekommen. Sie postet jeden Tag. Sie hat keinen Job und muss ein Jahr an der Uni wiederholen. Sie hat vor kurzem versucht, sich das Leben zu nehmen.

Braucht unsere Beziehung zu Internet eine Therapie? Oder brauchen wir eine Therapie? Thomas hat anders (read: gesünder) auf einen ähnlichen Pattern reagiert, weil er eine andere Person ist. Also inwiefern können wir sagen, dass Technologie gut oder schlecht ist?

2012. Ich gewinne eine Ausschreibung und starte mit der Kohle eine Webseite für sexuelle Aufklärung für Jugendliche. Ich verwalte die Webseite, kommuniziern mit meinem Team, schreibe Artikel, produziere Videos und mache die Darstellung vor der Kamera, entwickle mich zum Social Media-Manager. Zum ersten Mal konsumiere ich das Internet nicht mehr, sondern verwende es um anderen etwas beizubringen.

Ich ermutige Thomas, einen eigenen Blog zu erstellen, wo er vorzeigen kann, was er alles macht (vom Bauingenieur zu Musik und Theater). Langsam kann ich ihn überzeugen. Er macht das. Als es darum geht, seinen ersten Blog-Post bei Facebook mitzuteilen, ist es ihm zu peinlich. Ich schreibe ihm in die Statuszeile und clicke auf “Post”. Thomas wirft sich theatralisch auf unser Bett und ruft “Ich sterbe”.

Das Ziel seines Blogs ist es, seine Beschäftigungen zu katalogisieren. Ich dagegen will Wissen vermitteln. Dafür muss ich meine Zielgruppe erreichen. Deshalb investiere ich viel Zeit darin, die Sozialen Medien zu beobachten. Nichtsdestotrotz habe ich oft das Gefühl, meine Website wäre organisierter, wenn Thomas sie leiten würde. Weniger Facebook-abhängig, mehr darauf konzentriert, Inhalte zu produzieren.

Erklären statt googeln

2014, ich bin 24. Thomas und ich sind nach Berlin gekommen. Sein neuer Arbeitgeber hat ihn gegoogled und seinen Blog gesehen. Thomas und ich haben den Tor-Browser heruntergeladen. Mein Facebook-Newsfeed ist jetzt leer. Ich habe alle Feeds abbestellt. Die Facebook-Seite meines Sexualaufklärungsprojektes verwaltet ein 17-jähriges Mädchen. Ich finde heraus, dass ich Twitter-talentiert bin und verdiene ein bisschen Geld damit.

Letzte Woche wollte ich Thomas die Rede von Ellen Degeneres bei den Oscars zeigen. “Wer ist sie?”, fragt er mich. Ich stoppe das Video, mache einen neuen Tab auf und will Ellen gleich googlen, um ihm dabei Sachen zu erklären. “Was machst du?”, fragt Thomas. “Wir schauen uns doch das Video an, oder? Kannst du mir nicht in zwei Sätzen erklären, wer sie ist?” Ich kann, oder ich konnte, ich werde es versuchen.

Meine Gras rauchende Freundin raucht kein Gras mehr. Sie hat auch kein Internet auf ihrem Handy mehr. Nachdem wir nicht mehr zusammmen waren, führte Markus aus München über zwei Jahre hinweg eine Online-Beziehung mit einem Mädchen aus Kuala Lumpur. Immer noch in München, ist er jetzt mit einer Chinesin zusammen, die, soviel ich via Facebook verstehe, in London lebt. Das habe ich gesehen, als ich an einem fremdem PC war. Sonst habe ich ihn bei Facebook geblockt.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unseren Dossiers Digital Natives und Netz-Giganten. Das Foto oben stammt von Mario Sixtus und steht unter einer Creative Commons Lizenz. Alle Namen im Text wurden geändert.

4 Kommentare zu “Sieben Jahre Hassliebe zu Google, Facebook und Co.

  1. Danke für den Beitrag :)
    Ich denke, wir sollten definitiv bewusster konsumieren (in allen Lebenslagen, aber besonders beim Internet). Mir fällt selber auf, wie viel Zeit mein Smartphone frisst und wie sehr es mich nebenher stresst. Man ist ständig erreichbar, führt über What’s App tausend Diskussionen gleichzeitig, möchte möglichst viele Likes auf Facebook & Instagram und googelt alles, anstatt mal sein Gehirn einzuschalten.
    Ich meine sogar zu merken, wie unsere Generation langsam aber sicher immer unbeholfener wird. Wir wissen zwar über fast alles Bescheid, was so auf der Welt passiert. Auf der anderen Seite verlieren wir jedoch praktische Fähigkeiten. “Wo wäre ich jetzt nur ohne Google Maps???”, habe ich mich in Berlin schon des öfteren gefragt. Dabei habe ich mich als 12-Jährige ohne Handy und Google Maps in Köln zurecht gefunden. Oh Wunder? Nein, eher oh Stadtplan!

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