Hacking Urban Furniture: Warum der öffentliche Raum nicht von Unternehmen gestaltet werden sollte

Bushaltestellen, Stadttoilleten, Bänke, Mülleimer, Infosäulen – all das sind Stadtmöbel, auf Englisch: urban furniture. Wem gehören diese Möbel im öffentlichen Raum, wer gestaltet sie und dürfen sie vermarktet werden? In einer Stadt wie Berlin, wird das Thema Stadtmöblierung ourgesourced und Privatunternehmen überlassen. Es ist an der Zeit für Veränderungen, findet der Künstler und Mitbegründer des Kollektivs KUNSTrePUBLIK Matthias Einhoff. Eine Bestandsaufnahme.

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Müdigkeit hängt in den Beinen, Menschen drücken sich über enge Gehwege vorbei an Bussen, Autos. Blankgeputzte Scheiben geben den Blick frei auf warme Cafés, wer es sich leisten kann, sitzt auf den gemütlichen Stühlen davor. Dann endlich, die ersehnte Bank. Sitzen! Eine richtige Bank ist es eigentlich nicht, man könnte es als eine Art Eisenstange bezeichnen, angebracht auf Sitzhöhe und ganz rund, damit man sich nicht wehtut. Anlehnen ist ok, kurz anlehnen fällt nicht auf. Wer würde auf die Idee kommen sich hinzulegen in dieser Stadt, mitten im öffentlichen Raum?

Die Bank gehört zur Stadtmöblierung. Die Art und Weise wie die Bank gebaut ist, bestimmt, wer sie wie nutzen kann. In London, Paris, Tokyo kann man beobachten, dass die Bänke eine Anti-Schlaf-Architektur aufweisen. Wohnungslose können die Möbel nicht mehr nutzen, um sich hinzulegen, müssen sich zurückziehen in andere Räume.

Stadtmöblierung in Kombination mit Außenwerbung bestimmen seit circa 30 Jahren die Grammatik unserer Städte. In Public-Private-Partnerships (PPP) vergeben die Städte über langjährige Laufzeiten die Lizenz zur Werbung im öffentlichen Raum in Verbindung mit der zum Teil notwendigen Stadtmöblierung und deren Unterhalt (Bushaltestellen, Toiletten, Bänke, Mülleimer, Hinweisschilder, etc). Es ist Zeit, die Stadtmöblierung kritisch zu hinterfragen.

Das Geschäftsmodell wird von wenigen großen global ausgerichteten Unternehmen dominiert mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Berlin wird z.B. seit Jahren durch die Wall AG “versorgt”- seit 2009 Teil der internationalen JCDecaux-Gruppe. Die Nummer eins der Außenwerbung weltweit. (Im Jahr 2014 Umsatz von 2,8 Milliarden Euro in mehr als 60 Ländern mit 11.900 Mitarbeitern).

Veränderungen in der Stadtplanung

Edle Formensprache, als perfekt vermarktbare Kulisse für die Werbekunden, ist hierbei internationaler Standard. Egal ob Rom, Istanbul, St. Louis oder Berlin, die Haptik ist identisch, ohne lokale Identität, orientiert an Lifestyle und aktuellen Designtrends. Zitat Wall AG: “Mit hochwertigen Stadtmöblierungsprodukten verbessern wir für die Bürger und Besucher der Städte die Lebensqualität im öffentlichen Raum. Werbungtreibenden bieten wir das gesamte Spektrum an klassischen und digitalen Außenwerbeformaten in leistungsstarken Werbenetzen, in U-Bahnhöfen und an Transportmitteln.”

Das Projekt Hacking Urban Furniture untersucht dieses Geschäftsfeld kritisch. Denn schließlich wird hier darüber bestimmt, wie der öffentliche Raum unserer Städte aussieht. Seit zwei Jahren arbeiten KünstlerInnen, StadtforscherInnen, ArchitektInnenkollektive und AktivistInnen zusammen und experimentieren dabei mit künstlerischen Versuchsanordnungen.

Das Projekt versteht sich als Ausgangsmoment einer langfristigen Auseinandersetzung mit dem Ziel, neben einer Wahrnehmung auf stadtplanerischer und stadtpolitischer Seite, auch tatsächliche Veränderungen in den zukünftigen Ausschreibungen und Wirkungszusammenhängen zu erzielen.

Reclaim your urban living space

Das wachsende Begehren von BürgerInnen, stärker in die Gestaltung ihrer öffentlichen Räume oder Infrastruktur eingebunden zu werden, zeigt sich an verschiedenen Stellen: Der Wunsch nach Rekommunalisierung von öffentlicher Grundversorgung wurde über Bürgerbegehren in Berlin (Wasser 2011, Strom 2013) und anderen Städten bereits Realität.

Auch auf Nachbarschaftsebene findet mittlerweile eine breite, geduldete Verantwortungsübernahme durch BürgerInnnen statt (Baumpatenschaften, Bänke an Bäumen, Parkingday, etc). Seit 1989 entscheiden unter dem Begriff ‚Orçamento participativo’ (engl.:,Participatory Budgeting’) die Bürger Porto Allegres erstmalig über wesentliche Teile der freien Haushaltsmittel. Die Idee des sogenannten ‚Bürgerhaushalts’ ist inzwischen auch in verschiedenen deutschen Bezirken und Kleinstädten Praxis (seit 2006 im Bezirk Lichtenberg).

Wie ökonomische und gestalterische Beteiligungsmodelle bei Stadtmöbeln aussehen können, wird im Rahmen der künstlerischen Arbeiten, einem Ideenwettbewerb und dem Rahmenprogramm von ‚Hacking Urban Furniture’ ausgelotet.

Von der Nachbarschaftswerkstatt bis zur Notunterkunft

Dabei treiben uns als Künstlerkollektiv viele Fragen um, etwa: Können KünstlerInnen, AktivistInnen und GestalterInnen Stadtmöbel(konzepte) entwerfen, die neue Funktionszusammenhänge schaffen und das bisherige Geschäftsmodell elementar erweitern zugunsten eines gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohls? Wir wollen außerdem beleuchten, ob nicht gemeinnützige Träger den öffentlichen Raum nachhaltiger organisieren könnten als die profitorientierten Außenwerber und Stadtmöblierer. Etwa indem die Gewinne aus Werbeeinnahmen nicht abgeschöpft werden, sondern in die städtische und soziale Infrastruktur zurückfließen.

Dabei darf nicht vergessen werden, inwiefern die Umsetzungprozesse selbst, für neue Formen der Zusammenarbeit sorgen können, oder anders gefragt: Welche sozialen Funktionen und Möglichkeiten der Teilhabe, Aneignung und Partizipation von Teilöffentlichkeiten sind denkbar in Erweiterung der bisherigen Geschäftsmodelle? Diese Frage ist umso drängender, wenn man sich vor Augen hält, dass es offensichtlich einen breiten Wunsch der heutigen Stadtgesellschaft nach individueller, lokaler Aneignung gibt. Wie kann man diesem Wunsch einen Gestaltungsraum gegeben werden, von dem alle profitieren?

Wenn man die Macht der der Public-Private-Partnerships (PPP) aufbricht, was passiert dann? Könnten eventuell kommunal-kollektive-Kooperationen entstehen? Und welcher gesamtgesellschaftliche Mehrwert könnte hierbei entstehen (Stichwort ‚Stadtrendite’)?

Stadtmöbel und neue technische Möglichkeiten

Für unser Projekt treibt uns außerdem die Frage an, welche funktionalen Erweiterungen von Stadtmöbeln Sinn machen könnten (z.B. offenen Bühne, Schutzhütten, Proberäume, Nachbarschaftswerkstätten, Allmende mit Nutzpflanzungen, Notunterkünfte, etc.). Wenn man sich diese Räume anschaut, muss man natürlich auch fragen, welche sozialen Gestaltungsmittel zur Verfügung stehen, welche neuen Solidarmodelle auf lokaler Ebene zwischen unterschiedlichen Nutzern möglich wären und vieles mehr.

Zu guter Letzt, wollen wir auch beleuchten, wie sich gesellschaftliche Veränderungen in der Produktion von Stadtmöbeln widerspiegeln: Was ist heute anders? Könnte mit den heutigen technischen Möglichkeiten eine dynamische breite Teilhabe an einer individualisierten Produktion (3D-Drucker, OpenSource Technologies, etc) ermöglicht werden?

Viele künstlerische Konzepte operieren bereits in diesem Spannungsfeld. Und viele Künstler, die sich mit dem öffentlichen Raum beschäftigen, arbeiten täglich im Konfliktbereich zwischen der unternehmerischen Stadt und den Ausformungen der Werbewirtschaft.

Künstlerpositionen aus den 90er und 00er Jahren beschäftigten sich kritisch mit den zunehmenden Privatisierung von kommunalen Flächen. Heute sind PPP der Normalfall. Welche Folgen und Wirkungen hatten diese 20-30 Jahre nach ihrer Implementierung. Wie kann man die Konzepte von Jane Jacobs, Richard Florida, David Harvey aus heutiger Sicht umfassend bewerten?

Station Branding

In diesem Zusammenhang hatte im Berliner Kunstkontext die maximale Vermarktung der Werbeflächen und damit per Vertrag des gesamten öffentlichen Raums des U- und S-Bahnnetzes bereits vor Jahren gravierende Auswirkungen. Das erfolgreiche Langzeitprojekt “Kunst im Untergrund” des NGBK mit ortsspezifischen kontextbezogenen Kunstprojekten musste in der bisherigen Form mit Schwerpunkt U/S-Bhf Alexanderplatz eingestellt werden. Es entsprach nicht dem Verwertungsprofil der WALL AG als neuem Lizenznehmer (“Station Branding: Der U- Bahnhof wird zum Markenartikel”, Websitezitat der Wall AG).

Parallel schockte zu Beginn des Jahres 2010 der Bürgermeister von São Paulo, Gilberto Kassab, die PR-Branche seiner Stadt mit einer radikalen Geste, indem er jede Werbung im Stadtbild verbieten ließ. Seither ist São Paulo die weltweit erste Metropole ohne Banner, Poster und Plakate.

Wem gehört die Stadt?

Vor dem Hintergrund dieser Historie will “Hacking Urban Furniture” ein international wegweisendes Modellprojekt sein: In interdisziplinärem Austausch werden Künstler, Architekten und Stadtgestalter in enger Zusammenarbeit mit einem professionellen Expertenbeirat die Parameter von Stadtmöblierung und Außenwerbung analysieren und neu programmieren.

Ein besonderes Augenmerk gilt den ökonomischen Aspekten von Stadtmöblierung. Wie können Gestaltung, Produktion, Sicherheit und Wartung in offenen Beteiligungsverfahren, lokalen Produktionswerkstätten und einer einhergehenden Identifikation und Fürsorge durch Bürger, die renditeorientierten Modelle in Frage stellen und Aussenwerbung obsolet machen? Und wenn auf Außenwerbung nicht verzichtet werden kann, dann sollten diese Einnahmen in eine sinnvollen Grammatik von Stadtmöblierung münden, mit einem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert und in innovativen zeitgenössischen Formationen als Rahmen unserer gebauten Umwelt.

Berlin erscheint für ein derartiges Pilotprojekt prädestiniert, mit seiner heterogenen Struktur und seiner in Partizipation und urbaner Aneignung immer aktiver werdenden Stadtgesellschaft. Im Wettbewerb der Metropolen wird der Berliner Stadtraum hier Bühne eines weltweiten Diskurses, welcher über neue künstlerische Konzepte, Versuchsanordungen bis hin zu Prototypen mit internationalem Modellcharakter eine neue Praxis unserer städtischen Umwelt beschreibt.

Anm.d.Red.: Das Projekt “Hacking Urban Furniture” möchte untersuchen, welche Rolle Stadtmöbel in unserem Leben spielen – und spielen könnten, etwa als urbanes Gemeingut. Durch das ZK/U Zentrum für Kunst und Urbanistik initiiert, ist die allgemeine Öffentlichkeit nun dazu eingeladen, an dem Projekt teilzunehmen. Zur Zielgruppe des Aufrufs gehören vor allem KünstlerInnen, ArchitektInnen, WissenschaftlerInnen, AktivistInnen, HackerInnen und urbane Kulturschaffende. Es geht darum Ideen für Stadtmöbel zu entwerfen, die dann gemeinsam mit einem Expertenstab umgesetzt werden können. Weitere Info finden sich hier. Vom 15.3. bis zum 25.3. gibt es am ZK/U Zentrum für Kunst und Urbanistik zudem eine Ausstellung zum Thema. Das Foto stammt von x1klima und steht unter CC-Lizenz

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