Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #89

Der Begriff >Globalisierung< hat eine Tendenz zur Universalisierung von Partikulaerem, was mir den Begriff etwas suspekt macht. Globalisierungskritik existiert auf lokaler Ebene seit es Bestrebungen zur Globalisierung oder Kolonialisierung gibt. Mit der Verlegung der grossen Datenbahnen und niedrigeren Eintrittsschwellen in die Informationsgesellschaft hat sich, so meine ich, eine Globalisierungskritik herausgebildet, die erstmals - potenziell - global vernetzt ist. Erst mit dem massenmediatisierten Globalisierungsbegriff wurde die Antithese moeglich.

Unterdessen gehoert die Globalisierung dem Bereich des >Gewohnten< an und ist somit nicht mehr wahrnehmbar. Man hat sich an die globalisierte Realitaet gewoehnt, weshalb der Begriff in den Medien immer mehr verschwindet. Die Erfolgsgeschichten der Globalisierungskritik und die Traeume eines Weltdorfs und der Vernetzung aller duerfen jedoch nicht darueber hinwegtaeuschen, dass es nach wie vor die Massenmedien sind, die bestimmen, welche Diskurse von oeffentlicher Bedeutung sind. Meine Arbeit >Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repraesentation< ist als Kritik am allgegenwaertigen Vermarktungstrieb angelegt - und mit globalisierten Kommunikations- und Informationsinfrastrukturen hat auch die Anzahl Werbebotschaften nochmals massiv zugelegt. Die Hypothese ist, dass das Vermarktungsparadigma die Politik und die Gesellschaft so durchdringt, dass wir unseren Rueckzug in unserem Geist vollziehen muessen - ein Rueckzug, der darauf angelegt ist, uns wieder in die Lebenswelt einzulassen, um diese mitzugestalten und unser Souveraenitaetsgebiet gegenueber den Partikulaerinteressen der Maechtigen zu verteidigen. Gleichzeitig eroeffnet uns das Denken ueber die Gastfreundschaft eine Werthaltung fuer den Umgang mit Fremdem und Andersartigem. Wir muessen eine groesstmoegliche Oeffnung gegenueber dem Fremden bewahren, da dies Neues erst ermoeglicht. Gleichzeitig muessen wir beachten, dass unser Souveraenitaetsgebiet mentalen und materiellen Grenzen unterworfen ist. Der Bruch mit der Gastfreundschaft erfolgt, wenn so viel in Anspruch genommen wird, dass unsere langfristige Faehigkeit, Gastgeber zu bleiben, unterminiert wird. In meiner Arbeit zur Gastfreundschaft ist in erster Linie das Lokale von Bedeutung, denn Gastfreundschaft ist der Umgang mit Fremden in dem Raum, den wir unser eigen nennen. Da es aber gewaltige Raeume gibt, die alle ihr Eigen nennen, oeffentliche Gueter oder natuerliche Ressourcen, ist eine Ausdehnung auf eine globale oder sogar kosmische Perspektive unumgaenglich. Es gibt nur eine Welt - und die ist ein rhizomatisches Geflecht von Beziehungen. Die Oekonomie, also das Teilen des Hauses, muss in eine Oekologie eingebettet sein. Und hier sehe ich das problematischste Moment der realen Globalisierung: Ko-Praesenz erfordert Energie. Soziale Beziehungen koennen nur teilweise gepflegt werden und die Produktion und der Austausch von Waren koennen nicht stattfinden, ohne - meist fossile - Energie zu verbrennen. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Autor des Buches Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repraesentation.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.