Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #87

Den Begriff Globalisierung verbinde ich mit dem Globus. Da kommt sofort ein raeumliches Moment hinein. Auf die Frage: Wo befinde ich mich? ist die allgemeinste Antwort: auf dem Globus. Dass ich mich immer auch in speziellen Raeumen befinde, in einem Land, in einer Stadt, in einem Zimmer, ist eine sekundaere Frage. An jedem Punkt der Erdkugel kann ich allgemein sagen: ich bin hier, naemlich auf der Erdoberflaeche. Nun hat die Technik ermoeglicht, den Erdboden zu verlassen. Der Weltraumfahrer kann sagen: Dort ist die Erde.

Fuer den Menschen auf der Erde ist dieser Satz nicht moeglich. Der Mensch auf der Erde ist immer schon hier. Nur fuer die Vertikale, wenn der Globus zum Gegenstand im Weltraum wird, gewinnt die Aussage Sinn. Die Technik vermittelt zwischen Hiersein und Dortsein in Bezug auf die Erdkugel. Zum raeumlichen Internet-Ereignis wird dieses Verhaeltnis durch Google Earth. Dieses Programm stellt die Verraeumlichung des Begriffs Globalisierung dar. Ich halte es fuer noch sehr erweiterungsfaehig.

Der Begriff Globalisierung mag zwar abgenuetzt sein, wird uns aber begleiten, solange es die Menschheit gibt. Es handelt sich um einen irreversiblen Prozess. Irreversibel ist er deshalb, weil die Technik, die ihn herbeifuehrt, ausser um den Preis eines Rueckfalls in urmenschliche Primitivitaet, nicht mehr zurueckgenommen werden kann. Der Mensch befindet sich mitten in der Globalisierung, ob er will oder nicht. Als staerkstes kommunikatives Medium ist selbstverstaendlich das Internet anzusehen. Es stellt den Globus in seiner kommunikativen Form dar.

Der Mensch hat aber die Freiheit, innerhalb des technischen Horizonts, aus dem er nicht mehr ausbrechen kann, zwischen guten und schlechten, zwischen global vertraeglichen und unvertraeglichen Techniken zu entscheiden und ueber deren Anwendung abzustimmen. Dafuer ist das Internet da. Es koennen sich globale Mehrheiten mittels Internet artikulieren und darueber abstimmen, wie der Globus aussehen soll, auf dem er lebt.

Dazu sind aber zwei Bedingungen wichtig. Erstens ist die Vorstellung paralleler Welten, naemlich die Schizophrenie zwischen Realitaet und virtueller Realitaet zu kritisieren und allmaehlich zu ueberwinden. Das Internet gehoert selbst zur einen Wirklichkeit. Zweitens muessen die vorderhand erst nur latent vorhandenen weltdemokratischen Strukturen, welche das Internet ermoeglicht, in eine politisch und juridisch vollziehbare Form gebracht werden.

Der Abstand zwischen dem einzelnen Menschen und der globalisierten Makropolitik wird immer groesser. Das Internet bietet aber dem Einzelnen die Chance auf globaler Ebene mitzubestimmen. Der Einzelne wird zum Weltbuerger, er kann gemeinsam mit Anderen zu Fehlentwicklungen der Globalisierung Stellung nehmen.

Es werden sich mit der Zeit globale Mehrheiten bilden, wie in einem Einzelstaat politische Parteien. Technisch ist dies bereits moeglich, die politische und juridische Effektivitaet wird sich aber erst muehsam herausbilden. Das bisherige Voelkerrecht reicht dazu nicht aus.

Als das wichtigste Medium der Weltkommunikation traegt das Internet ein subversives Potential in sich, vor dem sich jedes politische Establishment, welches eine antidemokratische Eigendynamik bekommt bzw. wie in vielen Laendern gar nicht demokratisch regiert, in Acht nehmen muss.

Die Brennpunkte menschlicher Freiheit wie Menschenrechte, Verteilungsgerechtigkeit, Klimaschutz, insgesamt also die technopolitische Weltgestaltung sind auf jeden Fall auch die Reibungspunkte zwischen dem Internet-Menschen und der abstrakt gewordenen Weltpolitik. Das technische Potential des Internet dient aber dazu, den Abstand zwischen Mikro- und Makroebene zu verringern und Weltbuergernaehe zu erzeugen. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Autor des Buches >Raeumlichkeit online. Der Mensch im Internet<.]

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