Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #75

Mich interessiert weniger die >Globalisierung< als solche, als vielmehr der damit einhergehende politische Rekonstituie- rungsprozess der Welt, genauer: der Kampf um die Welthegemonie. In der so genannten >Globalisierung<, zunaechst schlicht als Weltmarkt ohne Grenzen verstanden, erkenne ich eine grundlegende kulturelle, militaerische und finanzpolitische Konkurrenz zwischen dem Neuen Europa, den USA, >Eurasien< [wie Jimmy Carters ehemaliger Sicherheitsberater Zbingniew Brzezinski die Einflusssphaere der ehemaligen Sowjetunion bezeichnet], sowie den aufstrebenden Staaten China und Indien.

Auch wenn ich ein politisch interessierter Kurator bin, so ist der Neue Berliner Kunstverein [n.b.k.] doch kein Politologisches Institut, weshalb fuer mich als Direktor die Analyse und Darstellung der visuellen Kultur im Mittelpunkt steht, mit dem Ziel, die durch Kunst und Kultur generierten aesthetischen Ueberblendungstechnologien fuer den Umbau einer Gesellschaft, die sich im globalen Wettbewerb befindet, zu beschreiben. Kultur ist nicht absolute Freiheit, Kultur ist immer schon Ideologie, weshalb ich den Begriff >kultureller Globalismus< verwende. Kunst und Kultur sind keineswegs nur Resonanzorte gesellschaftlicher Entwicklungen, vielmehr konstruieren sie aktiv eine Politik der Repraesentation mit, an der sie in doppelter Weise partizipieren - als Produzenten und Repraesentanten zugleich. So gesehen, erweist sich die apostrophierte Kulturvielfalt der Welt, die immer ausdifferenziertere Versionen von >Andersartigkeit< hervorbringen soll, um das >Andersartige< verfuegbar zu machen, als ideologisches Implantat. Tatsaechlich aber werden von der Kultur bis zum Sozialen alle lebensweltlichen Bereiche von der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmaerkte und Handelsstroeme gleichermassen erfasst, veraendert und verfertigt. Dass im Zuge des EU-Vereinigungsprozesses ausgerechtet die Kultur eine Bluetezeit erfaehrt, waehrend die sozialen Sicherungssysteme unter dem Diktat des Shareholder Value schrittweise abgebaut werden, zeigt die Wirkungsmacht der Kultur fuer die Durchsetzung und Konsolidierung der Globalisierung beispielsweise im ideologischen Konstrukt des >Neuen Europa<. Eine unuebersehbare Anzahl von Foren und Organisierungsformen wurde ins Leben gerufen und institutionalisiert, um die grosseuropaeischen Veraenderungsprozesse kulturell zu begleiten und symbolisch zu ueberblenden. Eine kleine Institution wie der n.b.k. kann sicherlich nicht diese Prozesse aufhalten, aber sie kann in exemplarischer Weise, wenn auch auf bescheidenem Niveau ein Gebaeude errichten, das denjenigen Platz und Aktionsmoeglichkeiten bietet, die weiterhin kritisch auf die Welt schauen wollen. Kunstkritik ist eine Komplizin des Kunstmarktes, tief verstrickt in die Uebertragungsprozesse von symbolischen Kapitalien in Geld. Kritikentwuerfe der Globalisierung, die zu einer ideologischen Entflechtung der Politik der Repraesentation fuehren koennten, kommen eher aus der Gesellschaftstheorie und der Philosophie. Einen solchen Kritikentwurf sehe ich beispielsweise im Konzept einer so genannten >Kultur des Vermischens< [im Gegensatz zu einer Kultur der Repraesentation bzw. >Kultur der Reinheit<], die der franzoesische Philosoph Jean-Luc Nancy mit Blick auf die ethnischen Identitaetskonstruktionen in den Jugoslawien-Kriegen formuliert hat. Die >Kultur des Vermischens<, die sich gegen eine Essentialisierung von >Volk<, >Nation<, >Zivilisation< und >Identitaet< richtet, kann dazu beitragen, dass im Hinblick auf zukuenftige Selbstdefinitionen zumindest Europas neue politische Landschaften, befreite Identitaeten und Handlungsoptionen entworfen werden. Insbesondere die Bildende Kunst ist eine Grenzen ueberschreitende Produzentin von neuen Sprach- und Bildpolitiken, die dazu beitragen koennten, das alte essentialistische Denken zu ueberwinden. Kunst und Kultur koennten so gesehen Medien der Selbstbefreiung werden. Die Vorstellung einer >Yes, We Can<-Haltung zwischen >lokal< und >global< halte ich fuer ein Maerchen. Ob Baskenland, Korsika, Suedtirol oder das wohlhabende Norditalien mit seiner postfaschistischen Lega Nord: Ich sehe ueberall regionalistische und protektionistische Absplitterungen mit dem Ziel, aggressive Identitaetsbehauptungen aufrechtzuerhalten, um das >Andere< und >Andersartige< auszugrenzen und zu bekaempfen. Ich wuerde nicht in erster Linie von einer globalen Perspektive meiner Arbeit, sondern generell von einer politischen Perspektive sprechen, in welcher das kritische Denken und die emanzipatorisch-selbstbefreienden Aspekte bestimmter Teile der visuellen Kultur zusammengefuehrt sind. Die Herrschaftstechnologien der Ausgrenzung, mittels derer der Westen den Osten und den Sueden im Zeitalter des Imperialismus und spaeter in der Periode des Kalten Krieges beherrscht hatte, reproduzieren sich nun, da der Staatssozialismus sowjetischer Praegung nicht nur besiegt, sondern auch restlos diskreditiert ist, in Herrschaftstechnologien der Eingrenzung von ganzen Regionen, Landschaften und Menschengruppen. Die Eingrenzung des vormals Ausgegrenzten vollzieht sich in den Bereichen von Oekonomie, Recht und Kultur und wird durch eine ganze Reihe supranationaler Institutionen, Einrichtungen und Foren sichergestellt. Eingrenzung ist aber nicht gleichbedeutend mit Akkulturation von >Andersartigkeit<, sondern eine institutionelle Ausdehnungsform von Ausgrenzung; das >Andere< wird nunmehr nicht mehr als feindlich markiert und bekaempft, sondern in den eigenen Herrschaftsbereich eingeholt und in ein austariertes System der Subordination einsortiert. Die Erfuellung des selbst erteilten historischen Auftrags zur Ueberwindung der Ost-West-Blockkonfrontation erzeugte im Westen deshalb keine Legitimationskrise, weil nach Mauerfall, der als Zeitenwende der Globalisierung gilt, der >historische Auftrag< in die Vereinigung Europas projiziert wurde. Seitdem ist Russland, der Nachfolgestaat der Sowjetunion, komplett aus dem Europa-Diskurs heraus gefallen, waehrend der einzig noch verbliebenen Supermacht USA, der groessten Rivalin Europas, die Stellvertreterfunktion als sicherheitspolitische und kulturelle Legitimationslieferantin des >Neuen Europa< zugewiesen wurde. Die Ausstellung >German Angst<, die ich im Herbst 2008 im n.b.k. kuratierte, war eingebettet in diese Ueberlegungen, indem sie ein Kernstueck des Neuen Europa, naemlich die deutsche Frage, zu politisieren versuchte. Allerdings funktioniert Ausstellungsmachen fuer mich nur in Paralleldiskursen, das heisst Kunst soll nicht die Theorie illustrieren und umgekehrt, sondern beide sollen als gleich gewichtete Diskurse nebeneinander, aber mit Querbezuegen zueinander bestehen bleiben. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Autor des Buches >Kunst in der Arena der Politik: Subjektproduktion, Kunstpraxis, Transkulturalitaet<.]

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