Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #72

Globalisierung ist kein Phaenomen, das in den letzten Jahren begonnen haette. Die gesamte Geschichte des Kolonialismus ist eine globale Gewaltgeschichte. Aus einer postkolonialen Perspektive geht es um eine Auseinandersetzung mit Globalisierung und neokolonialen Verhaeltnissen, die oekonomische mit historischen und wahrheitstechnologischen Dimensionen verknuepft. Ich interessiere mich in diesem Zusammenhang vor allem fuer historische und gegenwaertige Kaempfe.

Befreiungskaempfe und solche gegen die Ungleichverteilungen von Definitionsmacht, Gestaltungsmoeglichkeiten und oekonomischen Bedingungen. Die Geschichte der Kaempfe muss jedoch selbst einer kritischen Perspektivierung unterzogen werden.

Wenn sich mit der Antiglobalisierungsbewegung eine stark westlich dominierte kritische Stimme erhebt, dann ist das zunaechst begruessenswert. Verknuepfen sich hier doch antirassistische mit oekonomischen Forderungen. Allerdings erscheint es auch fuer eine Auseinandersetzung mit Kampfgeschichten und Aktivismen wichtig, sich mit impliziten und expliziten Rassismen, Sexismen und Ressentiments zu beschaeftigen – denn diese sind ebenso Teil der Gesellschaft, wie der Kaempfe. So interessiere ich mich fuer Fragen nach Solidaritaeten gerade vor dem Hintergrund einer notwendigen Auseinandersetzung mit den problematischen Verstrickungen, die auch emanzipatorische Positionen beinhalten.

Die Geschichte des Antisemitismus in der Linken, hat dabei eine besondere Qualitaet, denn sie folgt nicht nur der Logik eines Rassismus, der sich selbst in die hierarchisch bessere Position setzt um von oben herab einen >Anderen< definieren zu koennen, sondern auch jener des Ressentiments: Dem Phantasma einer >Macht<, die ebenso undurchschaubar wie organisiert von unten auf ein imaginiertes Oben konstruiert wird. Hier haben sich seit Proudhon zahlreiche linke Kaempfe angehaengt und nicht nur gegen die hegemonialen Verhaeltnisse sondern leider auch antisemitisch mobilisiert. Im Kontext der Antiglobalisierungsbewegung wurde diese Auseinandersetzung etwa Ende der 1990er Jahre virulent. Zahlreiche Kritiken wurden laut. Erstens wurden die klassischen Motive des linken Antisemitismus in der globalisierungskritischen Rhetorik zum Thema gemacht [die Personalisierung von Herrschaftsverhaeltnissen, verdichtet im antisemitischen Phantasma eines >die Welt beherrschenden, global operierenden Finanzkapitals<]. Zweitens wurden mit den Begriffen >Antiisraelismus< und >Antiamerikanismus< Haltungen thematisiert, die mit einer essenzialisierenden Kritik an Israel und den USA zwei konkrete Nationalstaaten zum Feindbild stilisieren. Diesen wurde vorgeworfen, dass sie oftmals antisemitische Stereotype auf die USA und Israel verschieben und im Ruf nach >Widerstand< sich imaginaer einem zumeist antisemitisch legitimierten Terror anschliessen. Drittens wurde die Anschlussfaehigkeit fuer rechtsradikale Gruppen kritisiert. Als Kunstvermittlerin und Kuratorin interessiere ich mich vor allem fuer die Arbeit am Kanon. Der Bildungs- und Ausstellungsbereich sind beide an der Schnittstelle zwischen Herrschafts- und Befreiungstechniken angesiedelt. In beiden werden bestehenden Verhaeltnisse ebenso grundlegend einzementiert, wie sie dort infrage gestellt werden koennen. Dies ist der Grund warum Gegengeschichten fuer meine kuratorische und vermittlerische Praxis eine wichtige Rolle spielen. Wie lassen sich marginalisierte Positionen in den Kanon reklamieren? Wie koennen die herrschenden Definitionsmachtverhaeltnisse umverteilt werden? Wie koennen Ausschluesse thematisiert werden? Wie kann die Veraenderung der Gesellschaft in Ausstellungen und Bildungsprozessen verhandelt werden? Hier scheint es wichtig aktivistisches Wissen in die Bildungs- und Museumsarbeit einzubeziehen. In Kuerze erscheint ein Buch, das ich gemeinsam mit Belinda Kazeem und Charlotte Martinz-Turek im Rahmen der Reihe >ausstellungstheorie & praxis< von schnittpunkt herausgebe. Unter dem Titel >Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien< beschaeftigt es sich mit der Frage, welche >globalen< Perspektiven bis heute in ethnografischen Museen und Sammlungspraesentationen relevant werden konnten. Denn zumeist wird hier weiterhin eine westliche Perspektive auf die >Anderen< reproduziert. Durch die Einbeziehung aktivistischer Positionen und Forderungen konnten fuer unsere Publikation klassische museologische Fragen um kritische und antirassistische Positionen erweitert werden. Eine kleine Ausstellung in der Galerie IG Bildende Kunst in Wien, die ich gemeisam mit den GestalterInnen Carlos Toledo und Eva Dertschei kuratiert habe, versuchte sich der alten Frage nach dem Universalismus neu zu widmen. >Alles fuer alle – fuer uns nichts!< Der zapatistische Slogan war titelgebend. In Form von Informationswaenden mit Reflexionen, Fotos und Dokumenten sowie mit kuenstlerischen Arbeiten [politischen Zeichnungen und investigativen Videos von u.a. Bini Adamczak, Linda Bilda, Petja Dimitrova, Katharina Morawek und Erk Schilder, Oliver Ressler] fragte die Ausstellung nach Moeglichkeiten eines >strategischen Universalismus< und damit nach der politischen Perspektive der Gleichheit. Gemeinsam mit KollegInnen, die sich in ihrer wissenschaftlichen und aktivistischen Arbeit mit akutellen Bewegungen beschaeftigen [Jens Kastner, Marty Huber, Erika Doucette und Beat Weber] fragten wir nach der Rolle von Universalismus und Gleichheit in der Prekariatsbewegung, in queeren Kontexten und bei den Zapatistas in Mexico. Die Verschaenkung von Aktivismus, Theorie und Kunst im Ausstellungsraum war uns wichtig, weil wir diesen als Raum der Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen nutzen wollten. [Anm.d.Red.: Die Verfasserin ist Kunstvermittlerin und Kuratorin und Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste in Wien.]

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