Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #66

Jede soziale Bewegung erarbeitet sich, sobald sie eine Identitaet entwickelt, eine >organische Ideologie< oder >spontane Philosophie<, die sie mit dem zur Selbstvergewisserung notwendigen konzeptuellen und kategorialen Instrumentarium versorgt. Diese >organische Ideologie<, so unheimlich und in sich widerspruechlich sie im jeweiligen Fall sein mag, ermoeglicht Antworten auf grundlegende Fragen, die sich jeder Protestformation stellen: Was ist der Erwartungshorizont, vor dem ich handle? Wie konzipiere ich ueberhaupt mein eigenes Handeln? Welcher Moeglichkeitsraum ist diesem Handeln gesteckt? Solche Fragen koennen legitimerweise als >philosophisch< bezeichnet werden.

Sie sind es selbst dort, wo sie im politischen Alltagsdiskurs verhandelt werden, da mit ihnen implizit immer auch die Frage nach der >Natur< - oder den Bedingungen der Moeglichkeit – politischen Handelns schlechthin thematisiert wird. Zugleich rufen sie die weitergehende Frage nach dem Subjekt des Handelns und damit nach den Subjektivierungsformen der Bewegung auf. Diese diskursiven Formen der Selbst-Subjektivierung von Protestakteuren sind fixer Bestandteil jeder politischen Mobilisierung. Ohne jene Diskurse, die den Akteuren in ihren Handlungen ein Gefuehl ihrer selbst vermitteln – d.h. ihre Handlungen wie ihre eigene Identitaet mit Sinn ausstatten -, kaeme keine Aktion jemals zustande. Die >spontane Philosophie< einer Bewegung laesst sich also auf ihre jeweils politisch in Anschlag gebrachten Handlungs- und Subjektivitaetsvorstellungen analsysieren. In letzter Zeit ist nun mehrfach bemerkt worden, dass seltsamerweise besonders solche >Philosophien< in der globalisierungskritischen Bewegung Anklang finden, die eine ausgesprochen passivistische Handlungs- und Subjektkonzeption vertreten. Die deterministische Eschatologie, die etwa in Hardt und Negris Konzept der >multitude< angelegt ist, wurde u.a. von Chantal Mouffe kritisiert. […] Die multitude-Theorie empfiehlt letztlich den Exodus aus dem Politischen selbst. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Philosoph an der Universitaet Luzern.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.