Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #65

Die Globalisierung lebt auf diskursiver Ebene in nicht geringem Masse von ihren Mythen: Sie ist ueberall und alle nehmen oder haben an ihr Teil, sonst waere sie nicht global, und sie ist eines der zentralen Merkmale der Gegenwart. Um in diesen wesentlichen Punkten ein wenig Entmystifizierungsarbeit zu leisten, ist vielleicht das kuenstlerische Feld gar kein schlechtes Beispiel. Denn in der bildenden Kunst haelt man sich ja fuer besonders globalisiert, oder imaginiert gar das ganze Feld als Vorreiterin der Globalisierung: Nicht erst seit Duerers Italienreise liessen sich KuenstlerInnen stilistisch aus anderen Weltgegenden beeinflussen.

Auch nicht erst seit Gauguins Suedseeaufenthalt nahmen KuenstlerInnen Lebenswelten in ihre Motivwahl auf, die sie als die >ganz anderen< ausgemacht hatten. Und gehandelt wurden Kunstwerke transnational, seitdem sie nicht mehr fuer Kirchen oder Palastwaende allein bestimmt sind, seit der Autonomisierung des Feldes also. Es handelt sich bei der bildenden Kunst also um einen gesellschaftlichen Bereich, in dem Produktion und Distribution vollkommen globalisiert scheinen. Nun sind Mythen nicht unbedingt Luegen oder pure Ideologie, sondern zunaechst einfach diskursive Einsaetze, die nicht unbedingt >falsch< sein muessen. Wie beispielsweise Revolutionsmythen, die auf historischen Fakten gruenden, also in diesem Sinne >wahr< sind, mit denen aber dann gearbeitet wird und die eine eigene Geschichte erleben, stilisiert, uebertrieben, ausgeschmueckt, ueberarbeitet, revidiert werden und eigentlich immer umkaempft sind. Die Kunstgeschichte lebt davon, dass sie die genannten Interdependenzen in Produktion und Distribution von kuenstlerischen Arbeiten herausarbeitet und interpretiert, und das sollte sie selbstverstaendlich auch weiterhin tun. Aber wie jeder Mythos ist auch der vom globalisierten Kunstfeld einer, der vereinheitlicht und damit ausblendet. Das globale Kunstwelt ist im Wesentlichen westeuropaeisch und nordamerikanisch dominiert. Dass in Dhubai oder Dakar seit wenigen Jahren auch Biennalen zeitgenoessischer Kunst stattfinden, verdeckt diese Tatsache eher als dass es etwas an ihr aendert. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass der Anteil an angesehenen KuenstlerInnen, die nicht aus Nordamerika oder Westauropa stammen, zwischen Anfang der 1970er Jahre und Anfang des Milleniums – also der Zeitspanne, die oft als Zeitalter der >Globalisierung< beschrieben wird – bei etwa zehn Prozent quasi stagniert ist. Das >Ansehen< bemisst sich hier nach der Anzahl von Einzelausstellungen, der Kritiken in relevanten Zeitschriften und den verkauften Arbeiten. In den letzten Jahren haben diese nicht-westlichen KuenstlerInnen noch drei bis vier Prozentpunkte zugelegt, ausgeloest u. a. wohl durch die Documenta XI 2002, die diese postkoloniale Situation auch im Kunstfeld ausdruecklich zum Thema hatte. Diese immer noch geringe Prozentzahl relativiert sich noch weiter dadurch, dass etwa die Haelfte der nicht-westlichen unter den Top-KuenstlerInnen zwar nicht aus den kunstfeldrelevanten, westlichen Metropolen stammt, aber in ihnen lebt. So hat der jugoslawische Kuenstler Mladen Stilinovic noch masslos untertrieben, als er 1992 auf einer Zeichnung festhielt: >An Artist who Cannot Speak English is no Artist<. Denn es ist laengst nicht bloss die Sprache, die den Zugang regelt, verhindert oder ermoeglicht. Neben dem vollkommen ungleichen Zugang bei angeblich alle betreffenden Prozessen der kulturellen Globalisierung liessen sich jetzt auch noch andere Merkmale der oekonomischen Globalisierung am Kunstfeld durchdeklinieren: Deregulierte Arbeitsverhaeltnisse beispielsweise hat es hier immer schon gegeben, nur waren sie als individuelle Autonomie deklariert und positiv konnotiert [was u.a. auch zu ihrer Hinnahme ueber das kuenstlerische Feld hinaus beigetragen hat]. Auch die Privatisierung wichtiger Institutionen ist – in verschiedenen Laendern unterschiedlich intensiv – vorangetrieben worden, ohne dass diese Institutionen an Legitimationsmacht verloren haetten: Was Kunst ist und was nicht, wird immer noch im Museum entschieden. Die globale Perspektive wird selbstverstaendlich immer wichtiger. Sowohl makropolitisch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Umstrukturierung des vormals oeffentlichen Raumes nur in einer transnationalen Perspektive zu verstehen ist, als es auch mikropolitisch gewinnbringend ist, die Koinzidenzen, Ueberlappungen oder, um es mit einem Deleuzianischen Begriff zu sagen, die Verkettungen der Bewegungen dagegen zu beobachten. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder lokale Widerstand als globalisierungskritisch ausgemacht werden muss, nur weil er sich thematisch vielleicht eingliedern laesst in bestimmte Themenspektren der globalisierungskritischen Bewegungen. Wenn beispielsweise die Initiative >Ehe ohne Grenzen< in Oesterreich gegen die diskriminierende Auslaender- und Asylgesetzgebung protestiert, tut sie das zunaechst aus ganz konkreten, lokal zu verortenden Beweggruenden. Dann gibt es Buendnispartner wie die IG Bildende Kunst, eine Art Gewerkschaft fuer KuenstlerInnen, die sich ein >Bleiberecht fuer alle!< auf die Fahnen geschrieben hat. Und es gibt GegnerInnen, die sich im konservativen Oesterreich bis weit hinein ins linksliberale Tageszeitungsmilieu erstreckt. All das sind lokale Phaenomene, die sich aber erst vor dem Hintergrund der globalien Migrationsregime und der weltweiten Neoliberalisierung ehemals sozialdemokratischer Milieus erhellen. Man kann aus der Beschaeftigung mit dem kulturellen Feld einiges lernen. Um die Beispiele wieder aufzugreifen: Dass die deregulierten Arbeitsverhaeltnisse nicht nur mit repressiven Massnahmen durchgesetzt werden mussten, sondern auch auf Zustimmung und breite Traegerschaft zaehlen konnten, erklaert sich u. a. aus der positiven Konnotation, die ihnen angehaengt wurde und die, unter anderem, aus dem kuenstlerischen Feld uebernommen wurde. Auch das Beispiel vom Museum als Konsekrationsinstanz ist paradigmatisch, und zwar insofern, als es uns an die Setzungsmacht und die ausschliessende Gewalt von Institutionen aufmerksam macht, die sich in den fluechtigen, fliessenden, oder sonstwie diffundierenden Globalisierungsprozessen eben keineswegs aufloesen. Bei der Beschaeftigung mit den kulturellen Aspekten von Globalisierung geht es allerdings gerade nicht nur um Institutionen, Werke und Werte. Es geht auch um die Denk- und Wahrnehmungsschemata der Menschen. Ich denke, was das betrifft, hatten die Zapatistas schon ganz recht damit, eine Revolte anzuzetteln, um eine Revolution ueberhaupt wieder denkbar zu machen. Auch wenn das fuer Mitteleuropa gegenwaertig sicherlich eher Metaphern sind, verwundert es mich doch, wie schnell die zapatistischen Grundsaetze, die ja Ausloeser der globalisierungskritischen Bewegungen in den 1990er Jahren waren, so schnell ueber Bord geworfen wurden. Die zapatistische Theorie spielte in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 keine Rolle mehr, das war in Genua 2001 noch ganz anders. Das mag mit den Schwierigkeiten anti-hegemonialer Politik zu tun haben, mit denen die Zapatistas in Mexiko selbst zu kaempfen haben. Dennoch scheint es mir ein wenig zu vorschnell, sich von der Perspektive einer radikalen Politik jenseits von Staat und Markt zu verabschieden, nur weil es jetzt Chávez und Morales gibt, also Modelle, die vielleicht kurzfristig erfolgversprechender scheinen. Aber auch deren Politik waere ohne Basisbewegungen weder entstanden noch durchzusetzen gewesen. Hinsichtlich der Staatsillusion koennen sowohl die wieder erwachte materialistische Staatstheorie im Anschluss an Nicos Poulantzas Impulse geben, als auch die Debatten um Hegemonie und Gegen-Hegemonie. Starke Wechselwirkungen zwischen Theorieproduktion und Aktivismus sehe ich aber auch in den Diskussionen um die >Autonomie der Migration< und der Analyse postkolonialer Verhaeltnisse, wo aus Bewegungskaempfen immer wieder Fragestellungen hervorgegangen sind, die dann in Akademia ausgewaelzt wurden. Und umgekehrt sind beispielsweise die dekonstruktivistischen Theorien sicherlich als Grundlagen fuer Praktiken wie die der Clowns Army zu betrachten, die Dualismen subversiv unterlaufen statt sie staerken wollen. Selbst bei einer relativen Schwaeche der Bewegungen und der absoluten Marginalitaet kritischer Wissenschaften an den neoliberal umgebauten Hochschulen scheint das doch noch mit am besten zu funktionieren: Die gegenseitige Bereicherung von Theorieproduktion und Bewegung. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Soziologe und Kunsthistoriker und seit 2008 am Institut fuer Kunst- und Kulturtheorie der Akademie der bildenden Kuenste Wien taetig.]

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