Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #64

Der Berliner Brecht war gleichzeitig in New York und Moskau zu Hause, die Globalisierung, von der er traeumte nannte sich damals noch >Weltrevolution<: >Willkommen, Arbeiter!< las er aus dem Westen kommend auf einem Schild >Fahrend Ueber Die Grenze Der Union<, auf der Rueckreise las er die Rueckseite: >Die Revolution/ Bricht alle Grenzen<. Dass er, der >weise< schwieg zu den Moskauer Prozessen in den 30er Jahren, den trotzkistischen Traum von der permanenten Revolution nicht aufgegeben hatte, wissen wir heute nur durch Heiner Mueller: Das FATZER-Fragment folgte der Logik der kleinsten Zelle, die irgendwo den Aufstand probt bis zum notwendigen Untergang, dabei jedoch Zeichen setzend: >Was zaehlt ist das Beispiel, der Tod bedeutet nichts.<

Das dachte sich wohl auch die erste Generation der RAF, doch markiert deren Untergang im Stammheim-Bunker das Ende der Hoffnung auf die Weltrevolution: >end of dream<. Der Trotzkist unsrer Tage arbeitet fuer die Coca Cola Company in Indien – auch das wissen wir von Mueller: >Erst wenn den Indern die Cola aus den Ohren quillt, hat die Revolution wieder eine Chance.< Das gilt heute mehr denn je, insofern sagen die haeufig reproduzierten Collagen von Coca Cola und Communist Party die Wahrheit: Erst wenn das Kapital global ist, wird am Himmel der rote Stern aufgehen. Also war der Stalinismus der letzte Versuch, diesen Prozess aufzuhalten - das mag der Grund sein fuer die denkwuerdige Wiederkehr des Josef W. Unbewusst wird er als Retter vor der Globalisierung beschworen, als Gross-Inquisator, waehrend Trotzki im Dschungel untertaucht und jenen Aufstand anfuehrt, der aus dieser >Globalisierung< eine weltweite Massenbewegung macht: Das Z des Zappata steht am Ende jenes Alphabets, welches mal mit A wie Anarcho begonnen hat. Aber vielleicht ist es auch umgekehrt und der pfeiferauchende Subcommandante verbirgt einen georgischen Schnaeuzer unter der Haube und lacht sich, wieder mal, ins Faeustchen... Also begruesst man jeden neuen Wolkenkratzer auf dieser Welt hoffend, es koennte der neue Turm von Babel sein. Dass 9/11 als dessen Zerstoerung gesehen wird zeigt nur, wie tief der Instinkt sitzt, sich in die Hoehlen zu verkriechen wie bin Laden in Afghanistan. Das ist traurig und falsch. Geht es doch bei der Globalisierung darum, Welt zu werden - ein symptomatischer Lesefehler liest >das Weltende< von Heidegger apokalyptisch statt aktivistisch als das Werdende. Jede kuenstlerische Produktion sollte weltend wirken wollen und davon ausgehen, dass man woanders viel besser missverstanden wird als daheim. Deswegen bringen wir Stalin zurueck auf die Buehne, steckt doch hinter dem allseitigen Gerede vom >Neuen Kalten Krieg< die Spiesser-Sehnsucht, sich in einer Familienhaushaelfte einzurichten, DVDs im Atombunkerkeller zu gucken, waehrend Hitlers Armeen die Grenze der Union ueberrollen. Doch nicht nur Hitler hatte einen Pakt mit Stalin, alle haben diesen Pakt geschlossen gegen die Globalisierung des roten Oktobers – und dieser Pakt hielt so lange, bis die Massen die Daemme brachen. Heute, 69 Jahre spaeter, befinden wir uns wieder in der Lage Lenins vor der Revolution, jener Verzweiflung ueber den Weltzustand, die den grossen Krieg kommen sah. Dabei ist 1991 in Moskau jener unwahrscheinliche Fall eingetreten, den Nietzsche einmal als die einzige Chance fuer Frieden bezeichnet hat: dass eine bis an die Zaehne bewaffnete Grossmacht freiwillig die Waffen streckt. Heute, nach dem 08.08.08, ist es Zeit zu fragen, wer diese Chance verspielt hat, warum. Von der Antwort koennte mehr abhaengen, als uns lieb ist. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Mitbegruender der Performance-Gruppe andcompany&Co.]

8 Kommentare zu “Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #64

  1. Ein erhellender Blick auf die Prozesse der Globalisierung aus einem , für mich zumindest, völlig neuen Blickwinkel. Die Analogie Globalisierung/Weltrevolution erscheint mir sehr fruchtbar. Setzen Sie solche Erkenntnisse auch in Ihrer Arbeit um?

  2. das letzte mal, dass mir jemand von subcommandante marcos erzählte, war in einem negativen zusammenhang: er habe den revolutionären esprit verloren und verliere sich in folge dessen – in autokratischen machtgesten und den verkrustungen seines apparates. schwer zu beurteilen. dennoch weiss ich: hier in europa wird der mann häufig romantisiert. dieser beitrag tut dies nicht. deshalb: danke schön.

  3. Globalisierung, so wie wir sie heute verstehen, hat für mich auch viel mit “Weltrevolution” zu tun: Das “Weltweite” (Marx) wird hier erstmals angesprochen, gedacht, erahnt sowie das “Wir” einer Gemeinschaftlichkeit des Seins, wie es in den 1960er Jahren zu Tage tritt, als das “wir” der über die Grenzen des Nationalstaats, sprich: weltweit Unterdrückten und Benachteiligten. Es gibt in Saskia Sassens “Paradox des Nationalen” einen lesenswerten Passus, der zeigt, wie es der aufkommende Gedanke des Nationalstaats und der mit ihm gekoppelte Nationalismus fertig gebracht haben, dieses im Werden begriffene “Wir” des “Weltweiten” einzudämmen und die gemeinschaftlichen Energien aufs Nationale umzulenken: Statt globalen Klassenkampf gab es entfachte ein Kampf unter den Nationen. Dieser Mechanismus stimmt auch heute noch, ich meine: mit Blick auf unsere heutige Situation, nachdenklich.

  4. @JO & WWW: gibt es romantik im politisch erbauenden sinne? ich meine sowas wie emanzipation via romantik?

  5. Klar! Schließlich brachte die Romantik im Anschluß an die Aufklärung ja wieder soetwas wie emotionale und unterbewusste Prozesse aufs Tableau, als Gegenbewegung zum Rationalismus. Das mündete dann unter anderem in der Psychoanalyse. Wenn man es weiter verfolgt, hingen sich daran wieder Surrealisten, die auf der anderen Seite auch durchaus der Ratio verpflichtete Kommunisten waren. Und so weiter…aber darüber können unsere zahlreich promovierten Geisteswissenschaftler in der Leserschaft sicher trefflicher fabulieren als ich.

  6. Langsam, langsam, lieber Alex. Brecht hat nicht geschwiegen zu den Moskauer Prozessen, schon gar nicht “weise”. Er hat vielmehr einen Text dazu verfaßt, in dem er buchstäblich zum Ausdruck bringt, daß er angesichts der Nachrichten aus Moskau mit seiner Weisheit am Ende war. Und die Zeugnisse seiner Freunde weisen in die Richtung, daß er im kleinen Kreis keinerlei Illusionen nachhing. Daß er seinen Protest zu Lebzeiten nicht öffentlich machte, sollten wir “Nachgeborenen” mit der notwendigen Nachsicht betrachten.
    Problematischer erscheint, daß er den Schlächter von Kronstadt (also Trotzki) nicht kritischer zu betrachten vermochte.

  7. “Stalin, der verdiente Mörder seines Volkes”, so hat Brecht den “Führer der Völker” genannt – auch das wissen wir nur von Heiner Müller, als schriftliche Spur ist es nicht hinterlassen. Aber es liegt mir fern, den Kehlmann zu machen und Brecht als Stalinisten zu brandmarken. Vielmehr ginge es darum, die Pose der Weisheit anzupieksen – der Weiseste der Weisen war schließlich der Generallisimus selbst: TANZ DEN JOSEF STALIN! Denn wenn Stalin befiehlt zu tanzen, sagt Nikita Chruschtschow, dann tanzt der weise Mann! Nun haben wir in den letzten Jahren viel erfahren können von britischen Historikern über den “Hof des roten Zaren”, doch eines entgeht den “Archivratten” dann doch: die Aura der Macht – der “cult of personality”. Das postdramatische Theater ist der Ort, solche Kulte zu dekonstruieren – ohne Nachsicht der “Nachgeborenen” ist das natürlich unmöglich. Über unsre Forschungsreise ins postsowjetische Rußland kann man sich auf dem BUFFO-Blog informieren:
    http://andcompany.livejournal.com/

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