Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #42

Die Alterglobalisierungsbewegung hat in ihrer Entwicklung eine Reihe von Phasen durchlaufen. Allgemein gesagt existierte die Bewegung in der ersten Phase, die der Coming-Out-Party in Seattle 1999 vorausging, weitgehend im Untergrund. Die zweite erstreckt sich von Seattle zum Sommer/Herbst 2001. Das war die Zeit, in der die Bewegung urberall verkuenden konnte: Wir sind dabei zu gewinnen! Und fuer eine Weile schien selbst die Finanzmarkt- und Business-Presse zuzu- stimmen, dass jedes Argument fuer die neoliberale Globali- sierung in die Knie gezwungen war. Allerdings folgte in Genua eine brutale und blutige Kriegserklaerung an die gesamte Bewegung. Ein paar Monate spaeter wurde ein zeitlich unbegrenzter globaler >Krieg gegen den Terror< ausgerufen.

Dieser >Krieg< hat Einfluss auf die Art und Weise wie Menschen in der ganzen Welt leben [und, natuerlich, sterben] und markiert den Anbruch einer neuen Aera: Der Prozess der Fragmentierung innerhalb der Bewegung [die Aufkuendigung der >Einheit-in-Vielfalt<, die bis zu diesem Punkt die Alterglobalisierungsbewegung von der sich zuvor entwickelten Identitaetspolitik-Bewegung unterschieden hatte] erreichte seinen Hoehepunkt bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2005 in Gleneagles. Dort gab es sehr wenig Koordination und Kommunikation [ganz zu schweigen von Kooperation] zwischen den mehr Autonomen der Bewegung, der NGO, und den >traditionellen< Anhaengern des linken Fluegels. Indessen aktivierte der Nexus der Make-Poverty-History- Koalition, die von Super-Stars organisierten Live8-Konzerte und Teile der britischen Regierung, den Keynesianismus, der schon immer einen Teil der Bewegung ausgemacht hatte [allen voran repraesentiert von Susan George und anderen mit dem ATTAC-Netzwerk in Verbindung stehenden], um eine diskursive Hegemonie fuer sich zu etablieren. Es schien kein Beduerfnis mehr zu geben, einen der bekanntesten Slogans der Bewe- gung, >eine andere Welt ist moeglich<, ernst zu nehmen. Das Ergebnis war eine weitere Spaltung, die vornehmlich bewirkte, dass gleichsam die Grenzen zwischen den Forderungen der Protestbewegung und den politischen Ansaetzen der britischen Regierung verwischten. Damit ging eine [Selbst-]Marginalisierung der Radikalen einher. Die Proteste in Heiligendamm markierten dann einen wichtigen Meilenstein im Neuformierungsprozess der Bewegung; und als solcher illustrieren sie das Potential, eine neue Phase in der juengeren Geschichte der Bewegung einzulaeuten. Der Erfolg von Heiligendamm war ein dreifacher. Erstens fand das ernsthafte Bestreben Ausdruck, sich mit der Problematik des Krieges, mit dem die Bewegung sich spaetestens seit 2001 konfrontiert sah, auseinanderzusetzen. Es wurde eine vorlaeufige Antwort auf die Frage gefunden, wie man eine Bewegung formieren kann, deren Kraft sich nicht nur aus Diskurs und Kommentar speist, sondern aus ihrer Faehigkeit zu handeln, zu intervenieren und auf den Kurs der Dinge Einfluss zu nehmen – und gleichzeitig zu vermeiden, in einen Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt zu geraten, in dem die Bewegung nur verlieren kann. Die von den >Block G8< organisierten Proteste [die versuchten, die Infrastruktur des Gipfels zum Erliegen zu bringen] suchten zweierlei zu ermoeglichen: dem Ausmass der militanten Konfrontation, in die hineingezogen zu werden man vorbereitet war, im Voraus – so weit wie moeglich - Grenzen zu setzen, genauso wie einen Rahmen zu setzen, in dem eine grosse Anzahl von Leuten zivilen Ungehorsam leisten konnte. Zweitens gab es eine gemeinsame Anstrengung zu verhindern, dass die Legitimitaet der G8 Etablierung findet – und mit ihr das Netzwerk globaler Herrschaft, in welches sie eingebettet ist – wie es in Gleneagles der Fall gewesen war. Um dies erreichen zu koennen, erkannten die Radikalen die Notwendigkeit von Koordination, Kooperation und Kommunikation im Vorfeld des Gipfels: einschliesslich mit >nicht-radikalen< anderen. Sie machten sich daran, zu versuchen, die Grundlagen fuer die Kooperation einer breiten Koalition zu bestimmen. Mit einigem [wenn auch beschraenktem] Erfolg gab es Anstrengungen, eine gemeinsame Basis der Ablehnung von demokratischer und politischer Legitimitaet der G8 zu schaffen. Drittens und schlussendlich repraesentierte Heiligendamm eine teilweise Rueckkehr zu den [und in einigen Aspekten sogar Verbesserung der] Praktiken der wechselseitigen Beeinflussung, welche die fruehe Phase der Bewegung gekennzeichnet hatten. Diese neuerliche Bereitschaft, ueberholte Identitaetsverstaendnisse und Verhaltensweisen hinter sich zu lassen, war der Schluessel fuer den Erfolg der Proteste von Heiligendamm [und >Block G8< im Besonderen] und ist gleichsam der Grund fuer einen optimistischen Blick in die Zukunft. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Redakteur der >International Encyclopedia of Revolution and Protest: 1500 – Present< und Mitglied des Turbulence-Kollektivs.]

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