Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #38

Die Globalisierung hat den Blick auf die Geschichte veraendert. Fuer Historiker ist das in erster Linie eine grosse Chance. Es bedeutet, ganz allgemein gesprochen, dass globale Zusammenhaenge wichtig und andere Raeume zum Gegenstand werden – und umgekehrt nicht mehr alles und jedes auf die deutsche Geschichte bezogen werden muss. Als ich mit dem Studium begann, in den letzten Jahren der Aera des Kalten Krieges, war das noch anders.

Ich erinnere mich an einen Kommilitonen, dessen Seminarschein zur Geschichte der transatlantischen Sklaverei nicht anerkannt wurde, weil das >Fruehneuzeitspezifische< bei diesem Thema nicht deutlich werde – was wohl heissen sollte, dass es dabei – scheinbar – nicht um den historischen Kern des Abendlandes ging. Bei meinem eigenen Studium der japanischen Geschichte wurde ich oft gefragt, und habe mich das auch selbst gefragt, wie ich das denn mit meinem anderen Fach >Geschichte< zusammenbringen wolle – als ob Geschichte nur in Deutschland, oder vielleicht noch Europa, stattgefunden habe. Daran hat sich inzwischen viel geaendert, und die Geschichtswissenschaft ist ein viel spannenderes, auch komplexeres Fach geworden. Aber der Vektor verlaeuft auch umgekehrt. Nicht nur die Geschichtswissenschaft hat vom Globalisierungsdiskurs profitiert, sondern auch umgekehrt. In der Tat gibt es ja nicht viele Faecher, die wie die Geschichts- und Kulturwissenschaften zum Verstaendnis der globalisierten Gegenwart beitragen koennen. Geschichte – verstanden als Globalgeschichte – gehoert zu den Ingredienzien des Orientierungswissens und der kognitiven Grundlagen, die noetig sein werden, um mit den Herausforderungen einer globalen Welt umzugehen. Was fuer ein Beitrag koennte das sein? Zum einen kann eine Geschichte der Globalisierung aufzeigen, wie es zu unserer Gegenwart gekommen ist, was die [haeufig ganz unterschiedlichen!] Wege und Triebkraefte der globalen Integration gewesen sind. Aufschlussreich ist dabei die Frage, welche strukturellen Bedingungen fortwirken, die sich nur aus der Geschichte der Globalisierung erklaeren lassen. Zum Beispiel ist die – je nach Perspektive schwache oder spezifische – Staatlichkeit in Afrika haeufig als das Resultat des Kolonialismus beschrieben worden. Ganz generell kann eine historische Perspektive deutlich machen, wie eng Kolonialismus und globale Integration beieinander lagen – und sensibel machen fuer die kolonialen Dimensionen der gegenwaertigen Verflechtung. Zweitens wird aber auch deutlich, wie unterschiedlich die Motive und Interessen der Globalisierer waren – und der Globalisierungskritiker. Ohnehin kann man ja nicht Globalisierung und ihre Kritik einfach von einander trennen. Die auf den Besonderheiten der chinesischen Traditionen beharrenden Konservativen nach dem Ersten Weltkrieg etwa wandten sich gegen das, was sie als vereinheitlichende Tendenzen der Globalisierung wahrnahmen – und trafen sich regelmaessig mit europaeischen Konservativen wie Romain Rolland oder Rudolf Eucken, die das ganz aehnlich sahen. Eine transnationale Allianz der Mahner vor Transnationalitaet, koennte man ueberspitzt sagen, eine kulturfundamentalistische Reaktion auf Globalisierung, die ihre Wirkung wiederum globalen Netzwerken verdankte. Besonders spannend scheint mir heute – als wissenschaftliches, aber auch als politisches Projekt – eine Geschichte der Globalisierungskritik, die sensibel ist fuer unterschiedliche Anliegen, unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Kontexte. In Japan beispielsweise wurde der Sieg ueber Russland 1905 als ein Sieg ueber den russischen Imperialismus gefeiert, aber keineswegs als Kritik an der westlichen Moderne; im Gegenteil, der militaerische Erfolg schien zu demonstrieren, dass Japan Teil dieser – universalen – Moderne geworden war. Die Konferenz mit dem Titel >Ueberwindung der Moderne<, die 1942 in Tokio abgehalten wurde, ging darueber dann hinaus und fragte – mitten im Zweiten Weltkrieg – nach den Moeglichkeiten einer Absage an die Verabsolutierung instrumenteller Vernunft und kultureller Homogenisierung. Heute wiederum gibt es nationalistische Kreise, die Japan zum Ausgangspunkt einer anderen Moderne machen wollen – so wie das kulturnationalistische Gruppen in vielen Gesellschaften einfordern. Nicht mehr Ueberwindung einer globalen Moderne also, sondern ihre Multiplizierung. Drei ganz unterschiedliche Paradigmen einer Globalisierungskritik – die unterschiedliche Interessen vertreten, oekonomisch oder kulturell argumentieren, rechts oder links stehen kann. Auf diese Weise das Spezifische der Globalisierungsdiskurse herauszuarbeiten, in Europa und darueber hinaus, und dabei die verschiedenen Phasen der Globalisierung mit der Gegenwart in Beziehung zu setzen – das ist eine grosse Aufgabe, die uns noch eine Weile beschaeftigen wird. [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Professor am European University Institute in Florenz und Ko-Herausgeber des Buches >Globalgeschichte<.]

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