Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #31

Selten gab es eine Situation, die so unabsehbar war: Wie weit wird die Globalitaet gedeihen, oder sind Rueckschlaege absehbar? Gibt es nur die schlechte oder auch eine gute Globalisierung? Wenig Zweifel besteht, dass sie voranschreitet, in oekonomischer, politischer und kultureller Hinsicht. In oeko- nomischer Hinsicht hat der sich herausbildende Weltmarkt nicht nur Nachteile: Manche Laender werden abgekoppelt, es gibt Polarisierungsprozesse, aber es gibt auch viele Gruppen, die von der Teilhabe an der Dynamik des Weltsystems profitieren. Fuer die europaeischen Luxuslaender eine ambivalente Entwicklung.

Endlich stellt sich [mancherorts auf diesem Planeten] wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit her, und elende Gruppen der Dritten Welt oder der europaeischen Peripherie werden besser gestellt; aber der europaeische Lebens- standard wird auf einem einheitlichen Weltmarkt unter sich verschaerfenden Ressourcenbedingungen nicht zu halten sein. In politischer Hinsicht scheinen wir den Hoehepunkt der demokratischen Entwicklung ueberschritten zu haben. Dubiose Mehrebenenpolitiken im europaeischen Bereich, gleicher- massen dubiose Governance-Strukturen im Rahmen des globalen amerikanischen Imperiums.

Der Jubel ueber die neue Welle der Demokratisierung mancher Ost- und Suedlaender ist nach den Erfahrungen der letzten Wahlen in vielen Laendern auch schon leiser geworden. Dazu kommen die verstaerkten Sicherheits- oder Antiterrormass- nahmen, die Schritt fuer Schritt Buergerrechte, die man fuer gewaehrleistet angesehen hat, unterhoehlen. In kultureller Hinsicht ist Europa nicht mehr faehig, sein Erbe mit Ueber- zeugung zu vertreten. Die demographische Schwaeche ist nur Ausdruck einer kulturellen. Wie werden in wenigen Jahr- zehnten die jugendlichen Altersgruppen in Zentraleuropa sein?

Den Voraussagen der Demographen zufolge werden in wenigen Jahrzehnten die jugendlichen Altersgruppen in Zentraleuropa zur Haelfte muslimisch und christlich sein [bei allen Vorbehalten, was das bedeutet]. Spaetestens dann wird man nicht sinnvoll von Integration reden koennen, sondern bestenfalls von der Erfindung einer neuen hybriden Kultur. Echte alternative Konzepte hat die Globalisierungskritik nicht anzubieten, auch wenn ihr besonderer Wert darin besteht, dass der Eindruck zerstreut wird, dass die neue kosmopolitische Klasse alle Menschen davon ueberzeugt hat, dass die >schoene neue globale Welt< − mit ihren leitenden Prinzipien Geld, Spass, Konsum − nur mit exzessiver Euphorie zu begruessen ist. Freilich ist jede Kritik an der Vermarktlichung der Welt berechtigt, aber alternative Gesamtordnungsmodelle gibt es nicht mehr, und so landet man bestenfalls bei der Tobin-Steuer; die Vorstellung, dass Europa seinen Lebensstandard halbieren wird, schreckt zudem selbst die Kritiker. Jede Forderung, Demokratie und Menschenrechte zu foerdern oder aufrechtzuerhalten, ist berechtigt; aber die politisch-administrativen Steuerungsstrukturen werden in rasanter Geschwindigkeit undurchschaubarer, und es steigt das Verstaendnis der Bevoelkerung dafuer, dass man in einer gewaltsamen Welt in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht nicht allzu pingelig sein darf. Jede Vision eines friedlichen kulturellen Kosmopolitismus ist begruessenswert, aber es gibt wenige Ideen dafuer, wie tatsaechlich unvereinbare Paradigmen miteinander umgehen sollen, ausser auf gewaltsame Weise. Europa hat ein glueckliches halbes Jahrhundert hinter sich gebracht, nicht zuletzt als Ergebnis der materiellen und geistigen Verheerungen der Jahrzehnte vorher. Eine Laune der Geschichte: wohlhabend, relativ egalitaer, demokratisch, rechtsstaatlich, friedlich, gesichert, in kultureller Einbettung, mit experimentellen Moeglichkeiten. Dieses halbe Jahrhundert zerbroeckelt, teils durch innere Entwicklungen, teils durch den Prozess der Globalisierung; und keiner weiss, wie man es aufrechterhalten oder fortfuehren koennte. Die Party ist vorbei. [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Professor am Institut fuer Soziologie der Karl-Franzens-Universitaet Graz]

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