Gesichter der Politik

Die letzten Wahlkaempfe und die unertraegliche Dauerpraesenz von plakatierten Politikerphysiognomien in den Strassen der grossen Stadt, erinnerten mich daran, was als subtile Erkenntnis schon seit einigen Jahren in meinem Gehirn umher spaziert. Frueher waren Politiker wie Herbert Wehner oder selbst ein Franz Josef Strauss, fuer mich als Heranwachsenden Menschen, aus einer gaenzlich anderen Zeit und Hemisphaere herausgefallen.

Weit weg von mir und meinem Alltag. Eher wie Briefmarken oder Holzschnitte aus dem 19. Jahrhundert. Ihr Auftreten, ihre Diktion, ihre Art sich zu bewegen und die Welt zu sehen, das hatte stets etwas sehr fremdartiges, schuf aber auch eine ehrwuerdige, museale Distanz. Man kannte niemand Vergleichbaren und alle persoenlichen Erfahrungen mit Menschen, waren an ihnen kaum anwendbar.

Das hat sich nun grundlegend geaendert. Ich will kein Klagelied auf klassische Staatsmaenner, Werteverlust, Politverdrossenheit und inhaltliche Beliebigkeit singen. Nein, es geht mir um eine private, hoechst subjektive und vollkommen unpolitische, menschliche Perspektive. Vielleicht rufen meine Einsichten bei aelteren Menschen nur ein muedes Abwinken hervor, aber fuer mich ist es aeusserst beunruhigend. Es geht um folgendes: Auch ohne der obskur beleumundeten Physiognomik die Rede fuehren zu wollen, kann sich sicher kaum jemand davon freisprechen, im Laufe der Jahre so seine ganz eigene, voellig unwissenschaftliche, aber doch durch tausende von privat-empirischen Erfahrungen unterfuetterte Haltung, zu bestimmten Gesichtern, samt Kleidungsstil, Frisur und sogar zum Typus eines Brillengestells, zu haben.

Oft naehrt sich die Basis dieses unterbewussten Fundus in der Adoleszenz. Dort beginnt man grundlegend zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und gewisse Archetypen zu erkennen. Bei einem ehemaligen Studenten ist das also die Phase der Oberstufe. Und in genau diese groteske Zeit, fuehlte ich mich beim Anblick der Berliner Plakate von aufstrebenden Kandidaten zweier buergerlicher Parteien zurueck versetzt. Mich blickten die Gesichter von etwas unfoermigen Jungs an, die schon mit Fuenfzehn genau wussten, das die politische Meinung ihrer Vaeter bis zum Friedhof die bedingungslos Richtige sein wuerde. Die leider stets als Letzte beim Sport in die Mannschaften gewaehlt wurden und dafuer moeglichst rasch ihre erste Freundin heirateten. Letztlich durften sie dann zuegig die elterliche Kanzlei und den Landeslistenplatz uebernehmen und alles ging seinen Gang.

Ich will sicher keine weiteren Klischees strapazieren, ein jeder hatte solche Figuren in seinem Gesichtsfeld. Und nun schicken sich diese gealterten, ehemaligen Jahrgangsstufensprecher an, anstelle der De Gaulles, Churchills, Schmidts und Gorbatschows zu regieren. Entsetzlich! War das auch frueher schon so? Ich frage es einfach, praezise und gerade heraus: War die Welt schon immer in der Hand von Spackos?

4 Kommentare zu “Gesichter der Politik

  1. Also ich habe selbst lange die Arbeit von Georg Christoph Lichtenberg zu diesem Thema studiert (Über die Physiognomik – wider die Physiognomen, eine Streitschrift) – dort macht er dem Erfinder der Physiognomie dem Pfaffen Lavater gehörig Feuer unterm Hintern. Ich selbst glaube dennoch an die Kraft und Macht der Physiognomie – jemanden mit zusammengewachsenen Augenbrauen bspw. kann man einfach nicht vertrauen. Oder?

  2. Der olle Lichtenberg ist natürlich gut, ja, der Lavater ein Humbugist….Augenbrauen? Hmm, deshalb zupft sich die gute Sahra W. die Brauen und stutzt den Moustache a la Frida Kahlo…verstehe…

  3. ich verstehe was sie meinen, wenn sie auch ziemlich unorthodox an die sache herangehen. wäre tatsächlich interessant zu wissen, wie das in früheren zeiten war. heute fehlt schon ein wenig der natürliche respekt vor diesen politikern.

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