Gemeinsamkeitsmangel

Als ich vor dreizehn Jahren nach England zog, fuhr ich mit Eurolines von Hamburg ueber Amsterdam und erreichte London bei stroemendem Regen. Als Bild der Abfahrt ist mir der Blick auf meine Freundin vor Augen, die am Bus unterhalb meines Fensters stand, emotionsgestresst.

Das Bild der Ankunft sind drei Studenten, die mir die Tuer aufhalten und von einem Finnen sprechen, den wir spaeter treffen koennten. Die Liebe in Hamburg hat die Distanz nicht lange durchgehalten; die Freundschaft nach Helsinki dagegen schon. Flug- und Telefonkosten waren hoch; eMail- und Flatrate sind niedrig im Vergleich. Liebschaft bedarf hoeherer Pflege, Freunde bleiben bei regelmaessigem Kontakt erhalten.

Jahre darauf. Trotz der Distanz habe ich in Hamburg neue Freunde gewonnen und Liebesbeziehungen errichten und zerfallen lassen, und natuerlich auch im neuen Land enge Beziehungen geknuepft. Dort wartete das Alltagsabenteuer, das Erleben anderer Gewohnheiten und sprachlich- zwischenmenschlicher Verhalten. Ein Teilen von Erlebnissen mit Zugezogenen und Einheimischen, aus dem sich ein transkontinentales Bekanntschaftsnetz entspann, das mittels Internet laengere Zeit Bestand haben konnte. Aber auch aufgrund der geteilten Konflikte am neuen Ort und notwendigen Konflikthandhabungen besteht ein Verstehen fuer die Situation des hin und her gerissenen Ausgewanderten.

Am alten Ort dagegen kein Verstaendnis. Dort entwickelt sich eine Sesshaftigkeit, die sich als naturgegeben ansieht. Keine Reibungen an Sprache oder Gepflogenheiten. Die Selbstverstaendlichkeiten am Ursprungsort lassen Einwaende, am neuen Ort werde jenes Selbstverstaendliche anders gehandhabt, an den Gehirnen abperlen. Weil man eine Herkunft teilt, herrscht die Annahme, man teile das Selbstverstaendliche – die Abweichung passt nicht ins Gedankensystem. Gleiches gilt nicht fuer den Fremdhinzugezogenen: dessen abweichenden Haltungen sind unhinterfragt und deshalb angenommen, wenn nicht abgelehnt. Es fehlt die erlebensbezogene Gemeinsamkeit.

2 Kommentare zu “Gemeinsamkeitsmangel

  1. Schön, gefällt mir sehr gut, dieses Resumee!
    “Es fehlt die erlebensbezogene Gemeinsamkeit.” – stößt diese Erkenntnis auf Ignoranz bei den Sesshaftigen? Gibt es welche in Hamburg, die deine Erkenntnisse zumindest verstehen, wenn nicht nachvollziehen können?

  2. wenn man lange erklärt, dann verstehen manche auch. Es gibt da keine pauschalen Haltungen.

    aber in diesem Zusammenhang: während Diskussionen über Zugewanderte oder Migrantenkinder höre ich häufiger mal, man müsse erwarten können, dass die Zugewanderten die deutsche Sprache lernten. Ich sehe das nicht so zwingend. Manche sind nicht gut mit Sprachen. Deutsche Eheleute die nach Finnland zögen, weil die Frau einen Job bei Nokia hat – wird deren Hausmann notwendigerweise Finnisch meistern? Aber damit müsste man sich länger auseinandersetzen…

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