Gemeinsam schwingen

Als Kind einer Mutter, die seit ihrer fruehen Kindheit wusste, dass sie Schauspielerin werden wollte, wuchs ich mit dem Komplex auf, dieses eine, alles ueberragende Interesse, nicht zu haben. Stattdessen oszillierten meine Berufswuensche zwischen Juristin, Punk und Kunsthistorikerin. Das ich mich der Anthropologie zuwandte, verdanke ich Stephan, meinem Mann, der mir als Neunzehnjaehrige begeistert von dem Ethnologen Laszlo Vajda erzaehlte. Bei dem besuchte ich fortan Vorlesungen ueber Hexerei und Schamanismus – wobei mich die Details der Seelenreise sibirischer Schamanen an sich weniger interessierten, als Vajdas bohrender Geist und Enthusiasmus.

An Menschen fasziniert mich weit mehr das WIE als das WAS. Ich liebe Enthusiasten. Reflektierte Enthusiasten. Menschen, die das, was sie machen – forschen, unternehmen, Mutter sein – aus innerem Antrieb machen und es mit ihrem unverwechselbaren Leben fuellen. Menschen, die Dinge, an die sie glauben, in die Welt setzen. Ist es nicht erstaunlich wie Neues in die Welt und in unser Leben kommt? Am Anfang ist da einfach nur eine Idee. Die verdichtet sich mehr und mehr. Und dann ist da ploetzlich ein Buch, eine Gruppe, eine Webseite. Und aus diesem Neuen entsteht dann wieder Neues…

Auch als Ethnologin beschaeftigt mich wie Kultur sich fortwaehrend veraendert. Ich moechte ein Bewusstsein dafuer wecken, dass Kulturen von globalen Einfluessen nicht notwendigerweise zerstoert werden, sondern Menschen Fremdes oft nutzen, um mehr sie selbst zu werden. Da heute so viele Menschen mit der gleichen Waren- und Ideenwelt konfrontiert sind, stellt sich die Frage nach den Gemeinsamkeiten neu. Vordergruendig sieht es so aus, als wenn wir uns einander mehr und mehr angleichten. Doch aus der anthropologischen Perspektive wird deutlich, welch hoechst unterschiedliche Bedeutungen Gesellschaften einem Besuch bei McDonalds oder einer Idee wie den Menschenrechten beimessen koennen und wie diese sich dadurch veraendern. Auf meinen Reisen versuche ich diese Spannung zu ergruenden: wie Gesellschaften darum kaempfen, modern, aber nicht westlich zu sein.

Herkunft spielt fuer meine Beziehungen eine untergeordnete Rolle. Mein Co-Autor ist ein in der UdSSR aufgewachsener Ungar, meine besten Freundinnen stammen aus Grossbritannien und der Schweiz. Auf allen Kontinenten habe ich Menschen kennengelernt, mit denen ich schwingen kann. Seit kurzem bin ich mit einem Ostfriesen befreundet, der in einem Energiekonzern arbeitet. Er ist mein groesster Exot. Wenn man von Enthusiasten umgeben ist, bleibt es nicht aus, dass man gemeinsame Projekte ausheckt. Mit dem Energetiker beispielsweise arbeite ich an einem Projekt fuer die WTO, die World Toilet Organisation. Da setzen wir Designer und Unternehmer, Social Venture Funds und Stiftungen an einen Tisch, um ein massives Problem – die Tatsache, dass 2.6 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zu Toiletten haben – gemeinsam anzugehen.

Nicht Leid und Armut, die mir begegnet sind, sondern Positives dient mir als die massgebliche Triebfeder – wie die Kreativitaet von Menschen sich Fremdes anzueignen. Auch bei betterplace.org, der Internetplattform, fuer die ich arbeite und auf der sich soziale Projekte praesentieren und um Unterstuetzung ersuchen, motiviert mich vor allem die Eigeninitiative von Menschen, die ihr Leben oder das einer Gemeinschaft verbessern wollen. Denen moechte ich helfen ihre Visionen zu realisieren. Zugleich bieten wir den Unterstuetzern eine Chance zu erfahren, wie unendlich spannend es sein kann mit einem Menschen, vielleicht am anderen Ende der Welt, eine Beziehung aufzubauen.

Beides, das Verbindende und das Trennende, spielt in meiner Arbeit eine grosse Rolle. In Maxikulti argumentieren Pal Nyiri und ich gegen eine Perspektive, die die Welt als Mosaik wechselseitig von einander abgegrenzter Kulturen sieht. Stattdessen beschreiben wir die enorme kulturelle Ausdifferenzierung weltweit, die es mit sich bringt, dass zwar immer weniger Menschen vor Ort ein gemeinsames kulturelles Inventar miteinander teilen, zugleich aber viele Bruecken zu weit entfernt lebenden Menschen begehen koennen. Immer mehr Menschen entwickeln ein kulturvergleichendes Bewusstsein: ihr Repertoire moeglicher Verhaltensweisen und Normen erweitert sich im Kontakt mit anderen Kulturen. Diese Erweiterung der Wahlmoeglichkeiten ist fuer die menschliche Entwicklung an sich unverzichtbar. Zudem entspricht sie auch meinem eigenen Beduerfnis quer durch soziale Szenen und Welten zu gleiten.

Bei betterplace geht es darum Interessen zu mediieren. Eine botswanische Kuenstlerin, die mit arbeitslosen Jugendlichen zusammenarbeitet, braucht Hilfe fuer eine Kulturshow. Auf betterplace trifft sie eine Berliner Grafikerin, die sich ein Wochenende hinsetzt und einen Flyer fuer die Show entwirft. Ein Dritter zahlt die Druckkosten und eine Stewardess bringt die Programme puenktlich zur Show nach Botswana. Gemeinsam haben sie etwas Neues auf die Beine gestellt und Einblicke in ihre jeweilige Arbeit und visuelle Sprache erhalten.

Solche Kollaborationen koennen zugleich den Respekt fuer kulturelle Andersartigkeit staerken. Indem Menschen Unbekanntes nicht gleich verurteilen, sondern es vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Aufgabe zuerst einmal versuchen zu verstehen.

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