Gemeingüter als radikal demokratisches Projekt – Gedanken zur konkreten Umsetzung

Menschen raufen sich zusammen, um für die Absicherung natürlicher Ressourcen sowie neu entstandener gemeinschaftlicher Güter zu kämpfen. Solche Bewegungen stehen häufig abseits der politischen Arena. Wie sie dennoch Gemeingüter als radikal demokratisches Projekt konkret umsetzen können, darüber brütet die Wissenschaftlerin und Aktivistin Danijela Dolenec im dritten Teil ihres Essays.

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In den vergangenen Jahren haben wir ein Aufblühen des kritischen Denkens erlebt. Gleichzeitig florieren soziale Bewegungen, innovative Organisationsformen, provokative Aktionen und artistische Projekte. Obwohl diese in den letzten Jahren zugenommen haben, existieren sie hauptsächlich außerhalb der politischen Arena und damit auch am Rande der öffentlichen Sphäre.

Bestehende soziale Bewegungen stehen oft ablehnend gegenüber politischer Organisation und taktischem Denken, was ihre Fragmentierung und Machtlosigkeit nur verschärft. Weil Aktivisten ein tiefes Misstrauen dem aktuellen politischen System gegenüber haben und die politische Klasse verachten, sind sie automatisch zur Marginalisierung verdammt.

Diese These verteidigt der US-amerikanische Soziologe Stanley Aronowitz in “Left Turn: Forging a New Political Future” (2006). In seiner Darstellung bezieht er sich auf die Situation in den USA. Aber die gleiche Aussage könnte für Länder in Europa getroffen werden. Denn was hier augenscheinlich bislang ausgeblieben ist – das ist eine Transformation der sozialen Bewegungen hin zu politischen Akteuren mit substantieller Unterstützung seitens der Bevölkerung.

Eine starke politische Stimme hörbar werden lassen

Jeder soziale Wandel, der darauf abzielt, dem Volk mehr Macht zu geben, wird auf Widerstand durch die Politik stoßen. Für mehr Macht muss man kämpfen – und das wiederum braucht drei Dinge: soziale Bewegungen, einen politischen Akteur und Unterstützung durch die breite Öffentlichkeit. In Kroatien etwa gibt es bisher nur soziale Bewegungen, ohne die wichtigen anderen Bestandteile.

Fragmentierte soziale Bewegungen im linken Spektrum müssen dem politischen Prozess beitreten und einen politischen Akteur hervorbringen. Denn ohne eine starke Organisation ist nach Stanley Aronowitz, „in komplexen Gesellschaften ein effektives Einschreiten fast unmöglich umzusetzen.“ Um transformative Veränderungen auf den Weg zu bringen, muss soziale und politische Mobilisierung darauf ausgerichtet sein, die Spielregeln neu zu schreiben. Und nicht auf einen Bereich zu schauen, wo wir abseits vom Spielfeld aktiv werden.

Die Bewegungen zum Gemeingut, die darauf abzielen, außerhalb von Markt und Staat zu existieren, sind wertvoll, weil sie ein Fangbecken für alternative Weltanschauungen und Praktiken sind. Aber sie benötigen eine politische Stimme. Wenn wir einen solchen politischen Akteur heranreifen lassen, dann kann das Prinzip Gemeingüter möglicherweise als neutralerer Titel für etwas stehen, das essentiell für ein sozialistisches Projekt ist – aber für das 21.Jahrhundert neu gedacht.

Der kapitalistische Produktionsmodus und das zentralisierte staatliche Management werden abgelegt zugunsten einer radikal demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft, die auf Prinzipien der sozialen, ökologischen und politischen Gerechtigkeit basiert. Um das zu erreichen, brauchen wir eine politische Strategie, die Konfrontation und Kompromiss mit bestehenden Institutionen vereint. Wir wollen in der Lage sein, den Staat mit genug sozialer Macht zu konfrontieren, damit dieser gezwungen ist, sich auf wegweisende Kompromisse einzulassen.

Transformation ist kein binäres Umschalten

Die Idee ist, politische Mobilisierung entstehen zu lassen, die ausreicht, um die Prinzipien einer radikal erweiterten Demokratie einzuführen – auf der Ebene der ökonomischen Beziehungen und der Organisation von staatlicher Macht. Das hieße existierende politische und ökonomische Institutionen für die Partizipation der Bevölkerung zu öffnen. Es gilt dies über verschiedene Wege wie Bürgerversammlungen, Beteiligung an der Finanzplanung, direkte demokratische Instrumente sowie soziales Grundeinkommen und Demokratie am Arbeitsplatz zu erreichen.

Diese institutionellen Veränderungen, deren exakte Ausgestaltung das Ergebnis eines sozialen Entscheidungsprozesses sein sollte, würden die Basis für die Schlüssel zu Emanzipationskämpfen bilden. Wenn sie angewendet werden, haben Institutionen wie soziales Grundeinkommen, Bürgerversammlungen und Demokratie am Arbeitsplatz in Nancy Frasers Worten „transformative Effekte“. Sie fördern nämlich soziale Gerechtigkeit nicht durch palliative Praktiken, die die grundlegenden sozialen Strukturen unangetastet lassen. Sondern dadurch, dass sie die Konfigurationsbasis der Macht zwischen Märkten, Staaten und Gesellschaften umstrukturieren.

Transformation sollte nicht als binäres Umschalten von einem System auf ein anderes verstanden werden. In diesem Sinne stehen Gemeingüter als radikal demokratisches Projekt für ein Umkonfigurieren der Macht – weg von Ökonomie und Staat, hin zur Gesellschaft.

Anm.d.Red.: Der erste Teil dieses Beitrags erschien hier und dessen zweiter Teil erschien hier. Die Fotos stammen von telomi und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

3 Kommentare zu “Gemeingüter als radikal demokratisches Projekt – Gedanken zur konkreten Umsetzung

  1. “Macht – weg von Ökonomie und Staat, hin zur Gesellschaft” – Ja, eine schöne Utopie! Die Entwicklung der letzten 20 Jahre zeigt jedoch: Macht – weg von Gesellschaft und Staat, hin zur Finanzoligarchie. Beispiel: selbst das Gemeingut “Wissenschaft” wird derzeit strukturell in diese Richtung “reformiert” und Universitäten (ohne Partizipation der Bevölkerung)immer mehr zu Kapital gedeckten Managementeinheiten in Markt-Konkurrenz zueinander gesetzt – Gemeingut Wissenschaft ade!. Bleibt doch nur die “Revolution” statt Transformation?

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