Gemeingüter-Debatte: Eigenes Gemüse anpflanzen oder die Rolle des Staates verändern?

Selbstorganisation und Solidarität können natürliche, aber begrenzte Ressourcen retten. Jedoch bleiben die Ziele kollektiver Bewegungen im Diskurs über Gemeingüter häufig unklar: Reicht es eigenes Gemüse anzupflanzen? Oder sollten wir anstreben, die Rolle des Staates zu verändern? Die Wissenschaftlerin und Aktivistin Danijela Dolenec bewertet im zweiten Teil ihres Essays die bestehenden Ansätze in der Debatte rund um Gemeingüter.

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Die aktuellen Bewegungen rund um Gemeingüter haben zahlreiche Stärken. Dazu gehören die Verteidigung von demokratischen Prinzipien, der horizontalen Selbstkontrolle und der partizipatorischen Regelfindung; das zu Grunde liegende Kooperationsprinzip der Menschheit sowie eine bedürfnisorientierte Philosophie der Gesellschaft als Gegenentwurf zu einer interessenbasierten; und die Kritik am Kapitalismus und am Staat.

Auf der Grundlage dieser Prinzipien hat die Literatur über Gemeingüter Prozesse der Privatisierung und Enteignung beschrieben, analysiert und damit gezeigt, wie Ressourcen des Gemeinwohls oder öffentlichen Guts zur Ware gemacht werden, während der Staat unerwünschten externen Effekten mit einer Art „palliativer Pflege“ begegnet.

Soziale Bewegungen haben analytische Stärke und politische Zugkraft gewonnen, weil sie diese Prozesse als ungerechte Einengungen herausgestellt haben. Wir haben erfolgreiche Bewegungen in Italien und Uruguay gegen die Privatisierung von Wasser miterlebt, sowie in Kroatien mit den Initiativen Right to the City, unabhängigen Studentenbewegungen und solchen, die sich gegen die Privatisierung von natürlichen Ressourcen stellen.

Obwohl das Gemeingut als Bezugssystem erfolgreich ist, wenn es um die Kritik am Markt und die Verfehlungen der repräsentativen Demokratie geht, ist dieses Element genau das, womit ich im Diskurs über Gemeingüter das größte Problem habe.

Unklarheit als Grenze der Theorie vom Gemeingut

Während das Prinzip der demokratischen Entscheidungsfindung und des sozialen und kooperativen Menschen die starken Argumente der Debatte über Gemeingüter sind, ist die Kritik am Markt und Staat unvollständig. Sie äußert sich häufig nur sehr vage dazu, wo die Lösungen zu finden sind. Es ist nicht klar, ob das eine beabsichtigte Strategie ist. Ist diese Unklarheit ein Versuch sich von den „wert-belasteten“ Konzepten des Sozialismus, des Selbstmanagements im jugoslawischen Stil oder gar des Kommunismus abzuwenden?

Dieses Problem ist aber nicht nur eins der Bezeichnung. Aus der Literatur geht oft nicht klar hervor, ob wir anstreben sollten den Kapitalismus aufzugeben oder ihn nur mit Praktiken des Gemeinguts und Gemeinwohls zu ergänzen. Viele Initiativen in der Gemeingut-Bewegung streben an, die Reichweite des Marktes in unseren Leben zu reduzieren. Aber sie schlagen nicht vor, die Logik des Kapitalismus zu verändern.

Nach Ronald Frasers Typologie der bestätigenden und transformativen Kämpfe sind diese Arten von Handlung bestätigend. Denn sie betrachten nur einige der Konsequenzen, lassen die grundlegende Struktur aber unangetastet. Ein weiteres Beispiel zur Darstellung der Unterschiede zwischen den beiden Arten ist der Kampf für steigende Leistungen für Arbeitslose und dem gegenüber die komplette Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Das gleiche Problem gibt es mit der Kritik des Staates, die innerhalb der Gemeingüter-Debatte geführt wird. Es wird der Top-Down-Ansatz, die Zentralisierung und Bürokratisierung kritisiert sowie die Kollision mit den Interessen des Kapitals. Die Position zum Staat ist aber ambivalent: Besteht das Ziel darin, den Staat grundlegend zu verändern? Oder sollten sich unsere Kräfte darauf konzentrieren verschiedene Praktiken des Gemeinguts außerhalb der staatlichen Domäne zu entwickeln, in einer Art Parallelprozess und autonomen Zone?

Unsere Logik verändern, um sozialen Wandel zu erreichen

Die Gemeingüter-Debatte bietet zwar Kritik am Kapitalismus und den Mängeln der repräsentativen Demokratie. Sie bietet aber nur inadäquate Lösungen für die aktuellen Probleme an. Vorgeschlagen wird die Entwicklung von alternativen Praktiken, die außerhalb von Markt und Staat existieren: eigenes Gemüse anpflanzen, gemeinschaftliche Kindergärten gründen, in denen wir abwechselnd unsere Kinder beaufsichtigen, Teilnahme in lokalen Regierungen oder die Entwicklung von Demokratie am Arbeitsplatz durch die gemeinschaftliche Leitung von Fabriken.

All diese Initiativen sind wichtig, um alternative Prinzipien der Menschheit basierend auf Beteiligung und Solidarität zu bestätigen – aber allein gesehen repräsentieren sie unpolitische, fragmentierte Aktionen, die nicht den Kern der strukturellen Logik der Probleme anspricht. Wir können hunderte von Fabriken im Besitz der Arbeiterschaft haben. Wenn wir aber mit einer kapitalistischen Produktionslogik arbeiten, dann haben wir keinen transformativen sozialen Wandel im Sinne einer gleichberechtigten Demokratie erreicht.

Natürlich brauchen wir eine Theorie der Handlung und Wirkung, um sozialen Wandel zu erzielen. Die zentrale Frage liegt aber darin, wo wir die Quelle des Wandels sehen: Liegt sie in einer Annahme von alternativen Prinzipien für die Kooperation und Handlung? Oder in einer kollektiven Handlung mit dem Ziel die ökonomischen Beziehungen und die Rolle des Staates zu verändern? Ich vertrete die Ansicht, dass die zweite Variante zu bevorzugen ist.

Anm.d.Red.: Der erste Teil dieses Essays erschien unter dem Titel Wir sind intrinsisch kooperativ: Gemeingüter als radikal politisches Projekt – die Schlüsselprinzipien. Der dritte und letzte Teil erschien hier. Das Foto stammt von gato-gato-gato und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

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