Selbstorganisation von Geist & Körper: Willkommen im Versuchsraum für Bildungsexperimente!

Foto von Andi Weiland (by-nc-sa)
Wenn das „Labor für DIY-Bildung” ein Versuchsraum für Bildungsexperimente war, so bot das Modul „Selbstorganisation von Körper und Geist“ in dieser Hinsicht dreierlei: ein Krisenexperiment, ein unerwartetes Ergebnis und eine Erweiterung etablierter Versuchsanordnungen. Der Wissenschaftler und Verleger Dominik Scholl war der Moderator. An dieser Stelle fasst er seine Eindrücke zusammen.

Die Choreographin Heike Hennig begann den Tag anders, als man es bei einem Seminarprogramm zum Thema Bildung vielleicht erwarten würde: nicht mit Moderationskoffer, sondern mit Wechselkleidung – Körperarbeit statt gedankliche Arbeit. Was mit einfachen Bewegungs- und Wahrnehmungsübungen begann, entwickelte sich schnell zu einem kleinen Krisenexperiment – einer Versuchsanordnung, die alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre persönlichen Grenzen erfahren ließ: sich mit geschlossenen Augen durch den Raum bewegen, einander berühren und sich gegenseitig führen, die Muskeln und das Skelett einer unbekannten Person abtasten.

Diese Körperarbeit, die auf der Idee des Body Mind Centering (BMC) aufbaut, ist ein wesentlicher Bestandteil vieler Projekte und Produktionen der Leipziger Choreographin. In dem Stück Maria etwa sind neben den Tänzern auch die Musiker in die gemeinsame Tanzchoreographie eingebunden. Was sich aus dieser Form praktischer Körperarbeit für die Frage autodidaktischen Lernens übertragen lässt, ist der Mut zum Experiment, ein spielerischer Umgang mit den eigenen (scheinbaren) Grenzen sowie die Relevanz von Gruppenerfahrungen für individuelle Lernprozesse.

Foto von Krystian Woznicki (by-nc-sa)
Eine Erfahrung wie diese Körperarbeit zu Beginn des Laborprogramms macht die Bedeutung des “voneinander Lernens” deutlich. So geht es nicht nur darum, selbst Impulse zu geben, sondern sich auch für die Anregungen des Gegenübers zu öffnen und eine Form des gegenseitigen Austauschs und Perspektivwechsels zu entwickeln: führen und geführt werden, abtasten und ertastet werden. Gerade diese Dimension des Perspektivwechsels erscheint mir eine spannende Anregung für Bildungsprojekte aller Art.

BMC stellt als bewegungsorientierte Bewusstseinstechnik ein erfahrbares Wissen dar, das in jedem Einzelnen erst eine körperliche und geistige Rückkopplung finden muss, um Gestalt zu gewinnen. Es macht anschaulich, wie (Bildungs-)Impulse von außen Resonanz suchen und finden müssen, um sich in nachhaltiger Weise zu entfalten. Der Lernimpuls muss letztlich von innen kommen, um Enthusiasmus zu wecken und nachhaltig zu wirken, weshalb Dimensionen wie Körperlichkeit und Emotion eine ganz grundlegende Bedeutung für alle Lernsituationen besitzen.

Die Selbstorganisation von Körper und Geist, wie sie Heike Hennig in ihrer Arbeit verfolgt, spielt mit der Neugier und der bewussten Suche neuer Erfahrungsmöglichkeiten (so z.B. auch in ihrem Stück ZeitSprünge, in der sie Junge und Alte zusammen auf die Bühne bringt). Dieser ganzheitliche Lernansatz erwies sich nicht nur durch die potentiellen Ableitungen für Bildungsprojekte aller Art auch für dieses Labor als anregend. So wach und voller Energie bin ich selten in ein Seminar hineingegangen.

Die Erweiterung etablierter Versuchsanordnungen

Auch der Autor, Künstler und IT-Berater Manuel Bonik lenkte den Blick auf die Potentiale der Selbstbeobachtung. Zu lernen, wie der eigene Geist funktioniert, wie Impulse aufgenommen und verarbeitet werden, wie man selbst lernt und erinnert, ist eine ganz grundlegende Weise, sich der Frage des autodidaktischen Lernens anzunähern. Nicht nur, dass man gewisse Erfahrungen und Fehler selbst gemacht haben muss, ist ein Allgemeinplatz erfahrungsbasierter Bildung. Auch das Sprichwort „Aus Fehlern wird man klug“ verweist auf die Bedeutung des Fehlers und des Scheiterns. Das Experiment, das Manuel Bonik mit uns durchführte, brachte solch ein unerwartetes Ergebnis mit spannenden grundlegenden Einsichten in die Leitfrage dieses Seminars.

Eine kleine Imaginationsübung sollte allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern deutlich machen, dass wir nicht in Bildern denken. Wir stellten uns zweimal den Buchstaben X vor, schoben die Buchstaben zusammen und ergänzten im Geist ein paar Linien. Was das Experiment nicht vorsah war, dass sich für einige in unserer Runde die Linien im Kopf zu einem dreidimensionalen Körper entwickelten. Doch dieses unerwartete Ergebnis machte nachdrücklich deutlich, dass die Art, wie wir denken, von Person zu Person unterschiedlich ist.

Foto von Krystian Woznicki (by-nc-sa)
Autodidaktische Bildungsprojekte bieten die Möglichkeit, diese individuellen Voraussetzungen und Neigungen stärker zu berücksichtigen als standardisierte Curricula. Klar geworden ist außerdem, dass Fehlerfreundlichkeit eine wichtige Ressource für jede Form des Wissenserwerbs darstellt.

Ausgehend von der Frage, ob und wie Kunst überhaupt zu unterrichten ist, und basierend auf der Erfahrung ihrer Arbeit an der Kunsthochschule Weißensee ergänzte die Künstlerin Antje Majewski, wie sie als Professorin auf individuell höchst unterschiedliche Lernbedürfnisse eingeht. Zu den Variablen dieser Bildungsarbeit gehört für sie nicht nur ein flexibler Umgang mit Gruppengrößen sondern auch mit den räumlichen und interaktiven Arrangements von Lernsituationen.

Was die Perspektive einer Künstlerin in unsere Überlegungen zu Bildungsprojekten beisteuert, ist eine besondere Sensibilität für Stimmungen und Atmosphären. Wo lernen wir am besten? Wie platzieren wir uns, wie andere Elemente im Raum? Wie gehen wir mit Nähe und Distanz um? Sollten wir in die etablierte Versuchsanordnung neben Lerninhalten und Lerndidaktik nicht auch Essen und Trinken, Gerüche und Geräusche, Farben und Raumatmosphäre und vieles mehr mit aufnehmen?

6 Kommentare zu “Selbstorganisation von Geist & Körper: Willkommen im Versuchsraum für Bildungsexperimente!

  1. “(Bildungs-)Impulse müssen von außen Resonanz suchen und finden, um sich in nachhaltiger Weise zu entfalten. Der Lernimpuls muss letztlich von innen kommen, um Enthusiasmus zu wecken und nachhaltig zu wirken,”

    das ist eine interessante Sache mit dieser Dialektik zwischen Innen und Aussen! bzw. Inter-Dependenz…

  2. “Autodidaktische Bildungsprojekte bieten die Möglichkeit, diese individuellen Voraussetzungen und Neigungen stärker zu berücksichtigen als standardisierte Curricula.”

    auch ein sehr interessanter Punkt! jetzt verstehe ich besser, was das ganze Ding mit der Frage nach dem autodidaktischen Impuls und wie er durch Bildungsprojekte geweckt werden kann, überhaupt soll

  3. und auf die Fragen am Ende kann ich nur immer ganz nachdrücklich mit “JA” antworten!

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