Mit dem Klischeekoffer durch den Security-Check – Japan #2

Wir wohnen in Hiroo, nahe der Station Ebisu im Distrikt Shibuya. Shibuya [rund um die Shibuya-Station] ist ziemlich genau das, was einem in den Sinn kommt, wenn man an Tokio denkt. Hiroo hingegen ist eine Wohngegend. Enge Gassen, winzige Haeuschen. Kaum Autoverkehr, eine beschauliche Einkaufstrasse, einige Botschaften, ein Tennisclub, zwei Unis, internationale Schulen. Kurzum, eine Gegend in der man leben moechte, in der man leben kann [wenn man das Geld dafuer hat]. Ich bin irritiert. Ich hatte erwartet, dass es wesentlich schwerer werden wuerde, gegen das New York-Gefuehl [alles ist genauso, wie man es sich vorstellt] anzukaempfen. Doch Tokio macht es mir sehr leicht.

Ich sitze in einem Cafe im Nachbarbezirk Daikanyama, auch Teil des Shibuya-Distrikts. Das Cafe Mermaid mutet wie eine japanische Interpretation von Starbuck’s an. Helles Holz, Tischreihen, Cafe Latte, Easy-Listening-Weihnachtsmusik. Der Ort ist superentspannt, wie fast alles, was ich in den ersten zwei Tagen in Tokio erlebt habe. Ich lese einen Text von Anton Waldt in der aktuellen De:bug. Es geht um Japan und um Tokio. Waldt war vor einigen Monaten selbst in der Stadt um ein oesterreichisches DJ-Kollektiv zu begleiten. Seine ersten Eindruecke: Tokio ist nicht so rasant, wie man es sich vorstellt. Er fragt sich, ob das wohl mit der Globalisierung zusammenhaengt. Doch obwohl Waldt diese Erfahrung macht, kann er nicht anders, als gleich wieder ganz tief in den Klischeekoffer zu greifen, um den Rest seines Textes zu bespielen.

Ich habe ernsthaft versucht, diesen Koffer zuhause zu lassen. Ich will der Stadt mit offenen Augen begegnen. Bei naeherer Betrachtung faellt mir natuerlich auf, dass ich selbst in eine Falle getappt bin: Die Massgabe, Vorurteile und Klischees abzuschuetteln, kann auch ziemlich anstrengend sein. Eine moegliche Loesung: Den eigenen Blick mitbetrachten. Es gibt durchaus Dinge in Tokio, die so sind, wie ich sie mir vorgestellt habe und die mich trotzdem umhauen. Ein gutes Beispiel ist die absolute Hoeflichkeit. Nach zwei Tagen verbeuge ich mich selbst schon staendig und hoffe, dass es nicht als Verarschung rueberkommt. Mein borstiger Humor wird glatter und freundlicher, ein Dauerlaecheln brennt sich auf meinem Gesicht ein.

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