Fremd im eigenen Land

Linguist, das bin ich. Sprache ist meine Leidenschaft, mein Daseinszweck. Meine Begegnung mit Hip Hop fand ueber Sprache statt. Meine Arbeit als Sprachwissenschaftler und Autor ist ganz stark durch meine Erfahrung als Wortkuenstler gepraegt. In meiner Arbeit als Menschenrechtsaktivist fuehre ich das Wort als Waffe. In Verhandlungen mit stoerrischen Regierungsbeamten, schmierigen Weltbankvertretern oder boesartigen Landbesitzern, die mittellosen Bauern das Land wegnehmen.

Ich bin fasziniert von Reimen, von der Beziehung zwischen Beat, Intonation, der Silbe, dem Phonem. Sprache und Rhythmus sind miteinander aufs Intimste verquickt. Physikalisch und physiologisch. Und zwar seitdem der Homo sapiens sprechen gelernt hat. Die Wahl des Namens hat sich als eine vom Himmel gesandte Inspiration gewissermassen von alleine ergeben. Ein Merkmal der Hip Hop-Kultur in Deutschland ist, dass man sich seinen Namen selbst ausdenken kann. In den USA waren das immer die Community, die Homies, das Umfeld, das einem als Guetesiegel einen Namen verliehen hat. Oft geschah dies waehrend oder nach einem wichtigen Battle, auf dem der Kuenstler seine Skills unter Beweis gestellt hatte.

Ausserdem weckt Linguist, sinngemaess derjenige, dessen Handwerkszeug die Zunge ist, auch sexuelle Assoziationen. Fuer die Arbeit mit der Zunge braucht es stets grosses Einfuehlungsvermoegen, eine gewisse Feinheit. Der Name steht daher fuer meinen Wunsch, das Leben und die Welt in ihrer Komplexitaet zu beschreiben und zu verstehen. Mit Fingerspitzengefuehl auf die Details einzugehen und dabei die Querverbindungen zu erkennen. All das fuegt sich dann zu einem grossen Ganzen zusammen. Aber so weit bin ich noch nicht.

Meine Lebensrealitaet ist, wie die vieler Menschen mit Migrationsbiografie, zu komplex, als dass ich sie mit irgendeiner eindeutigen identitaeren Klassifizierung einfangen koennte. Wenn ich in Deutschland politisch Position beziehen will, bin ich Afrodeutscher. Im Ausland stelle ich mich weissen Europaeern in aller Schlichtheit als Deutscher vor. Afroeuropaeern erzaehle ich meine Geschichte, im Tausch gegen ihre. In Afrika, ausserhalb von Ghana, bin ich >Ghanaian<. In Ghana bin ich mal >Ghanaian<, mal >Ghanaian-German<, in Togo >togolais<. In der Karibik oder im Pazifik und wenn ich mit gleichgesinnten Panafrikanisten die Zukunft des afrikanischen Kontinents diskutiere, bin ich Afrikaner. Am meisten gepraegt hat mich das Leben zwischen den Geburtslaendern meiner Eltern, Deutschland und Ghana. Und dabei das Aufwachsen in einem mehrsprachigen Umfeld in beiden Laendern in einer Grossfamilie, die drei Kontinente umspannt, umgeben von Altersgenossen mit aehnlichen Biografien und afrikanischen, europaeischen, karibischen Elternteilen. Weitere Stationen auf meinem Weg sind London, Genf, Sansibar, Vanuatu, Aequatorialguinea, Kairo. In meinem eigenen Lebenslauf verdichten sich die komplexen Verwandtschaftsverhaeltnisse und transkontinentalen sozialen Netzwerke, die mein Leben gepraegt haben. Unbewusst versuche ich auch jetzt immer wieder, den Zustand herzustellen, der mir seit der Kindheit am vertrautesten ist: den der Bewegung, ob geografisch, sozial, kuenstlerisch oder intellektuell. Mein Gefuehl zur deutschen Sprache ist dabei von Zwiespalt gepraegt. Von den Sprachen, die ich spreche, ist es die, in der ich mich am praezisesten ausdruecken kann, in der ich am besten schreibe. Aber es ist auch die Sprache, in der ich mich am meisten eingezwaengt, emotional reduziert fuehle, in der ich mit der fuer meine deutsche Kultur so typischen Distanziertheit auftrete. Es ist die Sprache, in der ich die Waerme der muetterlichen und grossmuetterlichen Liebe erfahren habe. Aber es ist auch die Sprache, in der ich mit der rohen, verbalen Gewalt des Rassismus konfrontiert wurde. In der linguistischen Arbeitsteilung der Sprachen, in denen ich lebe, ist Deutsch die provinziellste: ausserhalb von Mitteleuropa ist sie bedeutungslos. Dadurch hat Deutsch auch etwas Esoterisches, aehnlich einer Geheimsprache, in der meine Tochter Yeni und ich, wenn wir zum Beispiel in Westafrika sind, miteinander ungestoert reden, Tagebuecher verfassen, den Gespraechen deutscher Touristen lauschen koennen und dabei etwas zum Lachen haben. Aber diese Provinzialitaet hat auch Nachteile. Deutschland ist vor allem von den Stroemungen der globalen Subkultur relativ unbehelligt geblieben, von den gewaltigen Veraenderungen der europaeischen Alltagskultur in Laendern wie England, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, die durch die massive Einwanderung aus dem Sueden entstehen. In diesen Laendern ist eine neue urbane Kultur entstanden, ein transkultureller Aktionsraum im Alltagsleben, fernab von den Zirkeln der Macht. Er ist gepraegt von multikulturellen Beziehungen, dem rapiden Wandel von Essgewohnheiten und Koerperaesthetiken, der virulenten Ausbreitung afrikanischer und afrikanisch-derivierter Musik- und Tanzformen und dem Entstehen politischer Forderungen nach Mitbestimmung fuer alle, ungeachtet der Herkunft. Diese relative Abgeschiedenheit Deutschlands von einem wichtigen Teil globaler Kultur hat natuerlich darin seinen Ursprung, dass Deutschland nicht lange genug Kolonialmacht war, um den Gebrauch von Deutsch in den Kolonien mit Waffengewalt durchzupruegeln, wie dies mit Englisch, Franzoesisch, Spanisch und Portugiesisch der Fall war. So sind wir als Sprachinsel aber auch vom zivilisierenden Einfluss afrikanischer oder lateinamerikanischer Kultur und deren Ueberbringern verschont geblieben. Fuer die Weiterentwicklung der Musikkultur hat dies katastrophale Folgen. Deutschsprachiger Rap ist in Form und Inhalt niemals aus den Kinderschuhen herausgewachsen, parasitaer und beinahe vollstaendig von US-Vorbildern abhaengig geblieben. Dadurch konnte sich im Deutschen auch nicht wirklich eine eigene Sprache des Hip Hop-Lebensgefuehls herausbilden. Trotzdem gibt es einige Wendungen, die inzwischen weitverbreitet sind, und die wir, die erste Generation des Hip Hop, mitgepraegt haben: >Abrocken< fuer enthusiastisches Tanzen oder der Ausspruch >Hau Rein<, wenn man sich voneinander verabschiedet. Dies ist natuerlich immer noch Lichtjahre vom >verlan< der franzoesischen Grossstaedte entfernt, das inzwischen fuer franzoesischsprachige Outsider vollkommen unverstaendlich ist und seinen Wortschatz aus dem maghrebinischen Arabisch, dem Berberischen, Wolof, Lingala und Soninke, dem Rom oder dem Kreyol entlehnt hat. Aber ich bin optimistisch! In den naechsten Jahren wird die Einwanderungswelle der letzten Jahrzehnte in der Mitte der deutschen Gesellschaft ankommen. Noch nie gab es so viele Deutsche mit Migrationshintergrund. Neue fruchtbare Verbindungen werden entstehen, die Gesellschaft, die deutsche Sprache, deutschsprachiger Hip Hop neuen Einfluessen unterliegen. Das Leben hier, zumindest in den deutschen Grossstaedten, wird sich rasant veraendern, dynamischer werden. Als Teil der Old School Hip Hop-Bewegung in Deutschland habe ich mit >Advanced Chemistry< dazu beigetragen, diesen Prozess anzustossen. Unsere Debuetsingle >Fremd im eigenen Land< von 1992 markiert naemlich nicht nur in rap-technischer Hinsicht einen Meilenstein in der Entwicklung von deutschsprachigem Rap. Genauso wichtig ist es, dass wir durch die Mischung aus offensiver politischer Stellungnahme und wuetender persoenlicher Erzaehlung die Omerta gebrochen haben: das Gebot des Schweigens ueber den Rassismus hierzulande. Im Videoclip zu >Fremd im eigenen Land< haben wir auch radikal mit der visuellen Darstellung migrantischer Jugendlicher in den Massenmedien gebrochen. Der aufmerksamen Beobachterin erschliesst sich sofort die tiefe politische Message, die von der Bildersprache ausgeht. Dass hier zum ersten Mal ueberhaupt Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Mehrheit sind, selbstbewusst auftreten und handeln, dabei blendend aussehen und eine wahnsinnige Energie verspruehen. Wir haben damals ein kleines Fensterchen fuer den Blick auf die Zukunft Deutschlands und Europas geoeffnet.

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