Mit Kondom und Cellulite: Frauenpornos bringen realeren Sex auf den Bildschirm

Porno zeigt den Akt. Er soll erregen, indem er uns etwas vorgaukelt. Doch Frauen halten meist nicht so viel davon. Pornos von und für Frauen sollen das ändern. Entstanden aus dem sex-positiven Feminismus der 1980er Jahre, erfährt dieses Genre gerade viel Aufmerksamkeit. Berliner Gazette-Redakteurin Leonie Geiger berichtet, wie die neuen Porno-Produzentinnen Sex auf dem Bildschirm realer machen wollen und wie sie damit die männlich dominierte Industrie aufmischen.

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„Er lässt sich einen blasen. Sie verschluckt ihn fast. Mafiosi, Dealer, Spione, Soldaten, Gefängniswärter. Frauen mögen es, vergewaltigt zu werden. Blonde Huren, Nymphomaninnen, geile Lesbierinnen, scharfe Agentinnen, lüsterne Lolitas. Die Frauen sind immer willig. Netzstrümpfe, Nuttenrock, knappes Top, hochhackige Schuhe“, so beschreibt Erika Lust den Porno – den universellen, maskulinen Porno – in ihrem Buch Porno für Frauen. Erika Lust ist Frauenporno-Produzentin.

Die gebürtige Schwedin, die heute mit ihrem Mann in Barcelona lebt, hat eine klare Kampfansage an die Pornoindustrie: „Es ist Zeit, dass wir an eurem Spiel teilnehmen. So wie es etwa in der Politik schon der Fall ist, wollen wir Frauen Zutritt zu dem von euch besetzten Revier, das auch uns gehört. Und sobald wir dort sind, werden wir einiges ändern, denn wir sind nicht zufrieden! Was ihr dort veranstaltet, befriedigt uns nicht!“

Reden wir also über Porno von und für Frauen, verknappt Frauenporno genannt. Wenn es einen Frauenporno gibt, dann müsste es konsequenterweise auch einen Männerporno geben. Den gibt es auch. Er braucht allerdings kein extra Attribut: Porno. Allein in dem Wort versteckt sich die Hierarchie zwischen den Geschlechtern – Porno kommt aus dem Griechischen und bedeutete ursprünglich „Hure“.

Woher er kommt und was er will

Entstanden ist der Frauenporno bereits in den 1980er Jahren mit dem sex-positive feminism in den USA. Diese Bewegung bildete sich damals als Reaktion auf antipornografisch orientierte Feministinnen, beschäftigte sich aber nicht nur mit Pornografie, sondern auch mit Prostitution, BDSM und Transsexualität. Eine ihrer bekanntesten Vertreterinnen ist die ehemalige Prostituierte und Regisseurin Annie Sprinkle, die laut eigenen Angaben mit über 3000 Männern geschlafen und seit 2002 einen Doktor in Sexualwissenschaften hat. Bekannt wurde sie vor allem durch Aktionen, in denen sie Drucke ihrer Brüste anfertigte oder das Publikum per Spekulum in ihren Gebärmutterhals sehen ließ, um den „weiblichen Körper zu entmystifizieren“. Jetzt ist ihre Botschaft – neben Sex – die Liebe.

In Deutschland ist heute Petra Joy die wichtigste Frauenporno-Vertreterin. Während sie in den 1980er-Jahren Pornografie vollkommen ablehnte, dreht sie heute Filme, in denen der weibliche Orgasmus im Vordergrund steht: „Ich bin immer noch gegen die meisten Pornos, weil sie extrem gewaltverherrlichend und frauenfeindlich sind. Aber es reicht mir nicht mehr nur ‚Nein’ zu sagen, ich will Alternativen schaffen.“ erklärt sie ihre Position in einem Interview.

Was die Bewegung, damals wie heute, also will: Frauen sollen in Pornos nicht Objekte sein, sondern aktiv werden. Die Frau soll Lust bereiten und selbst Lust verspüren. Keine dummen Schulmädchen mit Zöpfen und Uniform oder sonstige Klischees, in denen Frauen „verhurt“ werden. Die Bewegung fordert Frauen, die im Leben stehen. Alleinerziehende, erfolgreiche Frauen, die auch mal Firmen leiten oder Künstlerinnen sind. Frauen, mit denen man (ähm: frau) sich identifizieren kann.

Lust-Diskrepanz zwischen Körper und Geist

Doch zurück zu Erika Lust und ihrer Kampfansage. Die heute 35-Jährige gründete vor einigen Jahren die Firma „Lust Films“. Für ihren zweiten Film Fünf Geschichten für sie wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Doch was bringt eine Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Menschenrecht und Feminismus dazu, Frauenpornos zu drehen? „Ich hatte diesen typischen 18-jährigen Freund, der eines Tages mit einem Porno nach Hause kam und sagte ‚Komm, lass uns das anschauen und nachmachen!’“

Lust weiter: „Wir haben uns also den Film angesehen, aber ich habe nicht so reagiert, wie er es geplant hatte. Was ich damals sah, fand ich widerlich und anti-erotisch. Trotz allem spürte ich, wie mein Körper auf diese Bilder ansprang. Es gab diese Diskrepanz zwischen Körper und Geist; mein Körper war erregt, mein Geist war angewidert. Da hatte ich zum ersten Mal den Gedanken, dass es etwas geben sollte, was Körper und Geist befriedigt“, erklärt sie in der Zeitschrift Spex.

Kürzlich hat Erika Lust einen neuen Film auf den Markt gebracht. Cabaret Desire heißt das Werk. Der Film ist schön – erotisch künstlerisch schön. Er erzählt von einem magischen Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um erotische Geschichten, Gedichte und Tänze zu hören und zu sehen. Diese sinnlichen Erlebnisse erzählen aus dem Leben: wie eine Barkeeperin, die zwei Affären gleichzeitig hat, mit einem Mann und einer Frau. Beide heißen Alex. Sie genießt offensichtlich den Sex mit beiden, will und kann sich nicht festlegen: hetero oder homo? Am Ende ist sie allein und findet keine Antwort. Sie kauft sich stattdessen einen Hund und nennt ihn Alex.

Oder die Geschichte von einer jungen Frau und einem Mann, die in der Vergangenheit eine leidenschaftliche Affäre hatten. Beide wollen sich nach langer Zeit wiedertreffen und vielleicht über eine gemeinsame Zukunft reden. Doch er verspätet sich sehr und schließlich angekommen, ist sie auf der Toilette. Traurig und verzweifelt verlässt er die Bar. Doch auch sie geht nicht minder traurig hinaus und sie finden sich. Der Sex spielt sich dabei nur als Erinnerungsfragmente der einstigen Beziehung in ihren Köpfen ab.

Sex spielt also eine Rolle in „Cabaret Desire“, aber nicht die wesentliche. Er ist immer Teil der (Liebes-)Geschichten, liegt wie ein Schleier über ihnen und verleiht subtil Authentizität.

Die Darsteller haben Sex im Bett, auf dem Sofa, Sessel oder mal auf dem Boden. Wenig wirkt gestellt, gar entsteht das Gefühl, man beobachte heimlich im fremden Schlafzimmer. Die Kameraführung ist ruhig und künstlerisch, die Hintergrundmusik anmutig. Keine Silikonbrüste, die im stöhnenden Takt rhythmisch mitwippen. Die Frauen sehen aus wie Frauen. Sie haben auch mal blaue Flecken und Cellulite an den Schenkeln und sehen ab dem Bauchnabel nicht immer aus wie zwölfjährige Mädchen. Auch ganz selbstverständlich benutzten die Männer ein Kondom.

„Klar, ich filme Sex, aber in erster Linie möchte ich gute, ästhetische Filme machen, in denen Emotionen, Leidenschaft und Beziehungen eine Rolle spielen“, erklärt Erika Lust, was ihr in „Cabaret Desire“ allemal gelingt. Sie führt fort: „Ich glaube die Frau – und auch übrigens immer mehr Männer – möchten wissen, wer die Figuren in den Filmen sind und warum sie gerade zusammen im Bett oder sonst wo liegen.“

Porno – nur zu Lust-Zwecken

Doch ist das wirklich so? Jürgen Brünnig, der Initiator des Pornofilmfestivals in Berlin bringt es so auf den Punkt: „Pornos sollen Illusionen vermitteln, um Leute zu erregen.“ Dabei differenziert diese Aussage nicht unter den Geschlechtern. Höchstens bei Ausführung besagter Illusionen spielen sie eine Rolle. Doch die scheint noch nicht ganz ausgefeilt zu sein.

So Sarah Schaschek, die 2012 eine filmwissenschaftliche Dissertation über die Wiederholung in der Pornografie geschrieben hat: „Die meisten Frauen mögen keine Frauenpornos. Sie sagen, dass es darin zu viel Handlung gibt und zu wenig knallhartes Ficken.“ Und genau deshalb sollte „Cabaret Desire“ mit seinen ausgeklügelten Handlungen und ganz normalem Sex eher als schöner Erotikfilm gelten, damit sich die Frauenpornoindustrie ihrer eigenen Etablierung in der maskulinen Pornoindustrie nicht selber im Weg steht und auch nicht den Ruf bekommt, langweilig zu sein.

Die Entwicklung des Frauenpornos bleibt spannend. Der Markt hat Potential. Denn nur 28 Prozent der Konsumenten von „normalen“ Pornos sind weiblich. Warum der Geschlechteranteil so unausgeglichen ist, liegt auf der Hand. Das kann der Frauenporno ändern. Viele Zeitschriften, besonders Frauenzeitschriften, berichten offen über die „neuartigen“ feministischen Performances und sicherlich nicht nur, weil „Sex sells“, sondern auch weil der reine Zweck von Pornografie, Leute zu erregen, in den Hintergrund gerät und den Forderungen der Frauenpornos Platz macht. Und bei einer Sache ist sich diese Bewegung mit der „normalen“ Pornografie einig: Keiner will den Porno abschaffen. Oder wie Erika Lust es in ihrem Buch schreibt: „I believe in Porn.“

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Pornorama. Die Bilder im Text stammen aus Erika Lusts “Cabaret Desire”.

20 Kommentare zu “Mit Kondom und Cellulite: Frauenpornos bringen realeren Sex auf den Bildschirm

  1. CRE 198 analysiert die Geschichte der Pornographie und ihre Funktionen sehr schön. Porno heißt zwar schon Dirne, ist aber im heutigen Sprachgebrauch nur die Abkürzung für “Pornographie”. Wörtlich heißt Pornographie das Schreiben über Prostitution.

    http://cre.fm/cre198

  2. danke vielmals für diesen informationsreichen Text. Was hat Alice Schwarzer zu dieser Bewegung zu sagen? Oder Verona Feldbusch?

  3. Ein großartiger Artikel, Leo!

    Interessant ist übrigens, dass all die erotischen Filme mit Anspruch, Sergeij Moya nennt sie “PorNEOs”, “Desire” im Namen tragen. Sein Film heißt “Hotel Desire”. :)

  4. @ Petra
    Danke! Alice Schwarzer ist erst mal gegen Porno. Sie schreibt ” Wir erkennen Pornografie an der Verknüpfung von sexueller Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt – und zwar für Täter wie Opfer. ” (http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2007/septemberoktober-2007/pornografie-ist-geil-2007-05/)
    Außerdem stört sie, dass es, wie David Grünewald ja auch schon schreibt, “über Huren schreiben” heißt und schon im Wort eine Diskriminierung steckt.
    Ich habe keine Quellen, was sie über Frauenpronos sagt, allerdings würde ich vermuten, dass sie das Wort “Frauenporno” ablehnt, allerdings gegen die Bewegung und insbesondere den Film “Cabaret Desire” nichts einzuwenden hätte.

  5. das geistert alle paar jahre wieder durch die presse. angucken tuts sich trotzdem niemand.

  6. @Ulf Schleth: der aktuelle medien-hype um frauenporno geht quer durch die medienlandschaft: pop-kultur (spex, intro), feuilleton (faz, sz) und online (u.a. berlinergazette) – allein daran siehst du, dass die minderheit im mainstream ankommt und längst kein schattendasein von orchideen-sammlern fristet :)

  7. @#9: das glaube ich nicht. durch all diese medien (und andere) geht dasselbe thema alle 3-4 jahre (gefühlt). immer wieder ein guter lückenbüsser. und das schon seit 1968 so. mein eindruck ist, dass die frauenpornomacher gar nicht so genau wissen wie das eigentlich aussehen soll, weil frauen sexuell eben auch nicht nur über einen kamm zu scheren sind. ausserdem bin ich der festen ansicht, dass sie niemand braucht. es gibt inzwischen zunehmend produzenten, die sich immer diversifizierter pornografischen nischen zuwenden (s. youporn usw.). kein wunder, bei der konkurrenz…

  8. … ich hatte das gleich auf junk gelegt, bevor ich merkte, dass das ja eine Auseinandersetzung war, aber ist es das wirklich?
    Mich interessiert schon Männer-Pornografie nicht!

  9. @ Ulf #10
    Doch, ich würde schon sagen, dass das Thema gerade aktuell ist und nicht nur einfach ein Lückenfüller ist. Denn gerade zu Zeiten von YouPorn etc., die das Internet überschwämmen und den Begriff “Frauenporno” auch häufig missbrauchen, ist es wichtig, dass es Bewegungen gibt, die klare Ziele formulieren und für Qualität stehen.
    Außerdem ist der Frauenporno genau so vielfältig wie der normale “Porno”. Da werden keine Bedürfnisse über einen Kamm geschert, sondern einfach nur die Forderungen dieser Bewegung miteingebaut.

  10. Also ich finde es sehr schön, dass es mittlerweile einige sehenswerte Filme für Frauen und vor allem auch Pärchen gibt, Die meisten “normalen” Pornos die ich gesehen habe, sind echt das letzte (wobei das auch für einige “Frauenpornos” gilt). Aber der oben erwähnte Cabaret Desire ist echt schön und auch z.B. Skin.Like.Sun ist sehr sehenswert. Ich finde es auch gut, dass sich mittlerweile Anbieter auf Frauenpornos spezialiserit haben (z.B.: http://www.vitamin6.de/sie/sexfilme-fuer-frauen.html, http://www.femmefatale.de/frauenporno.htm – wegen mir kann da noch mehr kommen :)

  11. Ich denke das der Trend leider immer weiter Richtung billig Produktion gehen wird. Wie oben schon erwähnt überfluten Youporn und andere kostenlose Portale, sowie immer mehr Amateure den Markt. So das leider mehr Quantität als Qualität um des Geldes willens produziert wird. Obwohl es eine Menge an lauter Stimmen für gute Pornos gibt. Auch von Männern.

  12. Qualität kostet nun mal Geld. Und wenn Frauen qualitativ hochwertig produzierte Pornos wünschen, muss man auch ein bischen tiefer in die Tasche greifen. Die meisten Pornos sind Massenware, das darf man nicht vergessen.
    Gut das mittlerweile einige Anbieter dagegen steuern, und mit viel Phantasie und Liebe zum Detail schöne erotische Filme produzieren die auch das schöne Geschlecht anziehend finden.

  13. Qualität muss nicht unbedingt Geld kosten. Zwei sehr schöne Kurzfilme von Erika Lust (Handcuffs und Room 33) kann man sich auf ihrer Website auch umsonst angucken http://www.erikalust.com/films/ Trotzdem gilt meiner Meinung nach Qualität vor Quantität!

  14. @ Anne
    Danke für den Hinweis mit den zwei anderen Clips von Erika Lust!
    Trotzdem ist das wohl leider eher die Ausnahme, was Frauenpornos angeht. Aber: Vielleicht kann sich das durch eine steigende Nachfrage ändern?

  15. ich konnte Handcuffs und Room 33 auf der Seite von Erika Lust leider nicht mehr finden – Schade :/ der Beitrag ist aber ja auch schon 5 Jahre her :) Habe dafür einen Shop gefunden, der auschließlich Frauenpornos im Sortiment hat: https://www.intimissy.de

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