AGNES, übernehmen Sie!

PULS, AGNES und Moodle – hinter diesen Namen verbergen sich keine Schurkenorganisationen aus einem 60er-Jahre-Agentenfilm, sondern eine vermeintliche Bildungsrevolution. Berliner Gazette- Autorin Miriam Belling über die Neue Art das Studium über Internetplattformen zu organisieren.

*

An den Unis sollen Internetportale (darunter AGNES) das Studium für alle Beteiligten leichter machen. Beispielsweise ermöglichen sie es Studierenden ihre Seminare online zu belegen und Noten und Leitungspunkte einfach im Internet abzufragen.

Auf e-Learning-Plattformen wie Moodle werden die benötigten Lehrmaterialien von den Dozenten online gestellt und von den Studenten runtergeladen. Die Studierenden sollen so die Möglichkeit erhalten, sich online in Foren über ihr Studium auszutauschen. Kontakte sollen geknüpft werden, eine Gemeinschaft soll entstehen. Doch es gibt da, von den Machern wohl unbedacht, ein großes Problem.

Der PULS geht schneller

Der Fokus wird so sehr auf das Internet gelegt, dass die herkömmlichen – man möchte schon fast sagen: altmodischen – Registrierungsprozesse völlig lahmgelegt werden. Von Institut zu Institut, Prüfungsausschuss zu Prüfungsausschuss und Sekretärin zu Sekretärin geschickt – ein Marathon, den ich einmal wegen verspäteter Immatrikulation und somit verpasster PULS-Kursbelegungs-Deadline unfreiwillig auf mich nehmen musste.

Und ich denke mit Grauen daran zurück. Fast noch nie fühlte ich mich so allein gelassen. Gerade als Erstsemestler denkt man da schon über einen Studienabbruch nach, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.

Ich habe den Bürokratiekrieg ausgefochten und gewonnen und freue mich nun auf das Sommersemester, wenn ich dann zum ersten Mal – so wie die meisten anderen auch – meine Seminare über das Internet belegen kann, ohne wochenlang irgendwelchen Dozenten hinterherzurennen, nur um das zu erledigen, was die meisten innerhalb von zehn Minuten am Computer erledigt haben.

Kein Studium ohne Internet

Doch eines ging mir während all diesen stressigen Wochen nicht aus dem Kopf: hier wird vorausgesetzt, dass jeder Internet hat. Somit wird auch vorausgesetzt, dass sich jeder im Besitz eines Computers und Druckers befindet – wie sonst soll man an die Lehrmaterialien kommen, die der Dozent ja nur noch bei Moodle einstellt?

Es steht nicht auf der Homepage der Universitäten und in den Bewerbungsunterlagen wird auch nicht darauf hingewiesen. Es ist einfach ein ungeschriebenes Gesetz. Wer studieren will, der braucht Internet.

Doch das kostet Geld und das hat nicht jeder. Von den Unis wurde das anscheinend nicht bedacht oder es interessiert einfach niemanden. Sollte es aber. Denn hier handelt es sich um einen schwerwiegenden Fehler im System der Universitäten. Wer predigt, dass Bildung jedem zugänglich sein soll, darf sie nicht jenen verweigern, die sich keinen Internetanschluss leisten können.

Wenn mein ganzes Studium auf der Voraussetzung aufbaut, dass ich mit Computer, Drucker und Internet ausgestattet bin, dann basiert es doch letztlich nur auf der Illusion, dass Bildung für jeden zu haben ist. Auf einer Lüge.

16 Kommentare zu “AGNES, übernehmen Sie!

  1. AGNES wäre mir auch als eine verdeckte Anti-Kriminalitätsagentur lieber, die Gerechtigkeit für die Opfer, die nicht von dem System profitiert haben, zur Verfügung stellt. So führen uns diese Marken an der Nase herum…

  2. Der Text triggert ein paar interessante Gedanken/Fragen. U.a. Zugang zur Technik ist ein Problem, aber der Umgang damit ein anderes: Technik- und Medien-Kompetenz, speziell unter Dozenten, ist ja nicht selbstverständlich. Und um die Kompetenz-Frage weiter aufzufächern: Wie verändern die technischen Settings die Anforderungen an soziale Kompetenz?

  3. Manche meiner Dozenten haben die Arbeitsmaterialen wie früher üblich als Handapparat in der Uni-Bibliothek ausgelegt, mussten aber der Institutsleitung vorgaukeln, sie würden die Möglichkeiten von Moodle voll ausnutzen. Wer weiß, was sonst passiert wäre.
    Eine Art Uni-Facebook (ich meine damit nicht StudiVZ) mit Fokus auf Wissensaustausch und Gemeinschaftsbildung wäre in der Tat interessant, würde aber m.E. nicht funktionieren.

  4. Ich hatte auch einige Dozenten, die entweder nicht wussten, dass moodle überhaupt exisitiert oder damit nicht klar kamen. in letzterem Fall wurde dann ein Email-Postfach für das Seminar eingerichtet, wo die Teilnehmer ihre Texte hinschicken und andere runterladen sollten. Wirklich clever!

  5. das problem mit den ‘lernplattformen’ ist zudem ein unglaubliches potential an kontrolle und überwachung. wann hat wer wie oft welche vorlesungsfolien angesehen. mir ist das sehr unheimlich.

  6. Ich glaube nicht, dass die Dozenten, die nicht mal wissen, WIE sie diese Lernplattformen nutzen sollen, überhaupt auf die Idee der Überwachung kommen, geschweige denn die technische Kompetenz dafür besitzen.

  7. Aber die Leute HINTER den Dozenten wissen, wie sie uns überprüfen können! Kontrolle! Inside Job!

  8. Als ich 2003 angefangen habe zu studieren, war Moodle noch nicht so angesagt, einige wenige Dozenten haben es genutzt. Der große Nachteil ist doch, dass das Wissen nur noch in digitalen Häppchen daher kommt. Im Schnellspurstudium ist man doch nur noch damit beschäftigt, Reader zu kaufen und Datein downzuloaden. In der Bib sitzen alle vor ihren Laptops, anstatt ihre Nasen in Bücher zu stecken. Entschuldigt meinen Pessimismus!

    Zu den Nachteilen von Moodle gibt es auch in Wikipedia einen Eintrag: “Da sich die Benutzer des Moodle-Systems personalisiert anmelden, besteht die Möglichkeit, Verhaltensprofile von ihnen anzulegen. Durch die Option der Kurs-Veranstalter, Einblick in die Einlogdaten oder Download-Zeitpunkte von Materialien zu nehmen, fühlen sich Studierende überwacht.”

  9. @ Fabian W.: Tja, wer weiß das schon? Wahrscheinlich Sanktionen. Moodle soll halt etwas sein, das klappt und gut ist. Da soll es ja nichts zu bemängeln geben.

    Wenn moodle und Co. sich immer weiter etablieren und sogar zur Kontrolle der Studenten genutzt werden, dann wird Internet vielleicht sogar irgendwann eine offizielle Voraussetzung.
    Wohin das wiederum führt, kann sich ja jeder ausmalen…

  10. Die Kritik an der “stillen Voraussetzung” von Computer und Internet kann ich nicht voll nachvollziehen. Zum einen finde ich, dass eine Institution sich durchaus auf etwaige Phänomene der Zeit berufen kann – demnach auch auf den Besitz eines Computers. Mal ehrlich: Wer hat heutzutage keinen PC/Internet? Aber genau genommen tut sie das ja gar nicht. Ich mag hier falsch informiert sein, aber soweit ich weiss, gewährt jede Universität/Hochschule den Zugang zu Computern mit Internetzugang und auch Druckern. Wir (Uni Siegen) haben mehrere solcher Möglichkeiten.

    Der nächste Punkt: Seit der Einführung der Studiengebühren ist Bildung schlicht aus einer finanziellen Perspektive schonmal gar nichr für jeden Menschen möglich. Es brauch dementsprechend nicht den Hinweis auf die PC/Internetvoraussetzung, um eine Kritik am Zugang zur Bildung zu formulieren.

  11. Ich kenne sehr wohl Leute im studierfähigen Alter und Zustand, die keinen Internetzugang haben – weil sie sich keinen leisten können. Und Erstsemesterstudenten, die sich erst noch immatrikulieren und überhaupt mal in der Universität zurecht finden müssen, können auf die (oft auch nur begrenzt) bereitgestellen Internet-PCs auch nicht zugreifen – müssen sie aber, um sich fristgemäß einzuschreiben.
    In Berlin gibt es bsp. keine Studiengebühren, weswegen vielen Studenten der Gedanke “Hier läuft was falsch” nicht zwangsläufig kommt – der Trend zum digitalen Studieren ist aber auch hier zu finden. Und überhaupt, Rundumschlag und so.

  12. Ich kenne auch einige Leute ohne Internet und PC. Man muss sich einfach nur mal umhören und seine Kommilitonen aufmerksam wahrnehmen. Da gibt es genug Beschwerden.

    Davon mal abgesehen, wer möchte seine Hausarbeit in einem überfüllten, meist nur mit veralteten PCs ausgestatteten Raum schreiben, in dem man von den anderen Wartenden gedrängt wird, fertig zu werden?

  13. Mein Vorschlag: Ausgehend von dieser Diskussion eine Umfrage unter StudentInnen über die Wahrnehmung und Nutzung von pädagogisch anerkannter Netzwerk-Technik im Bildungsalltag. Darüber hinaus eine Umfrage unter SchülerInnen über die Vorbereitung auf diese Dimension des Studiums. Was denkt ihr?

  14. Ich habe diese interessante Diskussion erst heute morgen gesehen. Und muss Krystians Vorschlag zustimmen: Ein Meinungsbild unter Studierenden wäre sehr interessant und aufschlussreich – natürlich jenseits von Rumjammern über die harten Studienbedingungen. Ich würde mir das jedenfalls durchlesen, wenn ihr das startet. Selbst mitmachen kann ich leider nicht, denn ich bin nicht auf der Uni – nie gewesen.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.