Fatale Identifizierung: Wie öffentliche Demütigungen Trump zum Wahlsieg verholfen haben

Nach der Wahl von Donald Trump standen die aufgeschreckten Teile der Öffentlichkeit vor zwei großen Fragen: Wie konnte das passieren? Was wird nun passieren? Der Philosoph Rainer Mühlhoff stellt in seinem zweiteiligen Essay eine andere Frage: Wie und auf wen wirkt Trump eigentlich attraktiv? Was für Konsequenzen ergeben sich daraus für eine politische Praxis jenseits des rechten Spektrums – auch in Europa?

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Viel wurde über die sachliche Inkompetenz des Milliardärs Donald Trump geschrieben, über seine Vagheit und Wankelmütigkeit in konkreten politischen Fragen. Mit fassungslosem Kopfschütteln, aber zugleich in genüsslicher Sensationslust, wurde er von zahlreichen Medienbeiträgen als wichtigtuerisch, aufbrausend, rassistisch und sexistisch beschrieben. Die Mehrheit der KommentatorInnen war sich noch wenige Stunden vor der Wahl darüber einig, dieser Mensch fällt charakterlich wie fachlich komplett durch.

Man kann sagen, Trump wurde als politisch agierendes Individuum kaum ernst genommen – man hat ihn vielmehr als das Andere der Politik, als eine Un-Politik beschrieben. Wenn ihn einige Menschen wählen, so wurde erklärt, dann höchstens aus Protest und als Stimmungsmache gegen das „Establishment“, also aus negativen Antrieben wie Ressentiment und Unzufriedenheit, die mit den leicht nennbaren aber nur für wenige aus der media bubble heraus wirklich nachvollziehbaren Positionen der „Abgehängtheit“ und „Abwärtsmobilität“ korrelieren.

Demgegenüber möchte ich explorativ eine umgekehrte These vorschlagen und auswerten: Donald Trump ist charakterlich nicht etwa ungeeignet, sondern wurde gerade wegen seines Charakters gewählt – und zwar nach einem Mechanismus, der nicht auf Protest reduzierbar ist, sondern seine eigene (positive) Rationalität besitzt. Was Trump Sympathien verschaffte, war sein polternd-autokratisches Temperament. Jedoch nicht an sich, sondern insofern es immer wieder in seinen riskanten Weigerungen zum Ausdruck kam, sich auf einen Diskurs präziser politischer Sachaussagen überhaupt einzulassen.

Prinzip Mittelfinger

Dem Kopfschütteln der KommentatorInnen zum Trotz ist das kein bug, sondern ein fatales feature: Trump hat sich in authentischer und kohärenter Weise den Konventionen des politischen Apparats entzogen und ist damit als „charakterstark“ erschienen – von der Weigerung, seine Steuererklärung detailliert offenzulegen, bis zum rhetorischen Herumgepolter in den TV-Debatten. An die Stelle des „Yes, we can!“ Obamas ist mit Trump ein martialisches Yes, I can! gerückt.

Was sagt es über die Zeit, in der wir leben, dass das eine resonanzfähige Haltung ist? Zu bedenken ist dabei: In Trump zeigt sich zwar der Habitus einer autoritären, privilegierten, chauvinistischen Männerfigur, doch die Sache ist komplexer. Denn in vielen Situationen schien er mit dieser Strategie zu scheitern, wie etwa in den TV-Duellen, nach denen seine Kampagne schon fast als geschlagen beschrieben wurde. Gerade diese Momente, die ihn als „verletzlich“ erscheinen ließen, haben paradoxerweise noch weiter zu einer authentischen Wahrnehmung seines Charakters und seines „Kampfes“ gegen das „Establishment“ beigetragen.

Der Wahlerfolg Trumps kann deshalb zum Anlass für eine warnende Zeitdiagnose genommen werden: Jenseits des Tableaus politischer Sachpositionen und Argumentationsweisen, auf dem die Leitmedien und politische MeinungsträgerInnen den unkalkulierbaren Trump nie so richtig zu fassen bekamen und auch nicht ernst nahmen, wird gegenwärtig in zahlreichen westlichen Demokratien eine ganz andere Dimension des politischen Wirkens bedeutsam.

Was wirkt, ist nicht das Sachargument, sondern Trumps spezifisches êthos – seine Haltung –, mit dem er sich bis zuletzt den politischen Formen und Mikroprotokollen, dem agonistischen Spiel argumentativer Wortgefechte verweigert hat. Der Begriff der Haltung – hier auch: éthos – impliziert zunächst keine ethische oder moralisch Wertung.

Er möchte die Art und Weise thematisierbar machen, wie sich Trump in einem medialen und politischen Geschehen als „Charakter“ produziert, gehalten, verhalten hat. Disrespekt und das Performativ des gestreckten Mittelfingers in Richtung von allem was schlau und um die Sache bemüht daher kommt, ist das Prinzip dieser Haltung. In dieser Dimension des Wirkens ist Trump tatsächlich erschreckend kohärent, authentisch und gar nicht wankelmütig. Meine These ist, dass seine Attraktivität für viele WählerInnen gerade auf dieser Achse liegt.

Fatale Identifizierung

Wie nun funktioniert diese Attraktion, die auf Trumps Haltung zum Politbetrieb beruht? Ein offener Blick auf diese Frage ist wichtig, weil sie sich in den Kategorien des gängigen Polit- und Mediendiskurses kaum fassen lässt, ohne dabei sofort in ein pejoratives und wertendes Vokabular zu fallen. Es kommt darauf an, die Wahlmotivation der Trump-WählerInnen nicht einfach von oben herab mit Unbildung oder Protestverhalten abzutun, denn solche Aussagen diskreditieren die Betroffenen als trotzig, dumm, affektiv getrieben im (vermeintlichen) Gegensatz zu „rational“.

Protestwahlverhalten als Erklärung ist die Zuschreibung eines negativen, unreifen Verweigerungsverhaltens – diese Zuschreibung erfolgt von außen und dient weniger dem Verständnis des anderen als der Reproduktion der eigenen Überlegenheit. Zu fragen wäre deshalb, worin besteht eine mutmaßlich positive Bindung von WählerInnen an den Kandidaten? Bietet Trump so etwas wie eine Identifikationsfläche?

Meine These ist, den Stoff für eine solche Identifizierung bilden gerade die Diskreditierungen und Demütigungen, die Trump im Laufe seiner Kampagne seitens des Politbetriebs und der Meinungsmedien widerfahren sind. Wenn Trump nicht ernst genommen wurde, wenn z.B. ein Diskurs des Typs Trump-hat-ein-Sprachniveau-wie-ein-Fünftklässler über ihn geführt wurde, dann haben diese Aussagen viel weniger Trump selbst geschadet, als dass sie vielleicht für zahlreiche WählerInnen einen Spiegel der am eigenen Leibe erfahrenen gesellschaftlichen Demütigung lieferten. Ich bezeichne diese Figur fortan als fatale Identifizierung.

Sie ist fatal, da es sich um eine Identifizierung in einer unangenehmen Gewalterfahrung, in Scham, in einem Modus der politischen Ächtung handelt. Sie macht einen wichtigen, aber vielleicht zu wenig beachteten (Teil-)Mechanismus sichtbar, der zum Erfolg der Trump-Kampagne beigetragen hat.

Denn die Identifizierung in der Demütigung erfolgt direkt und nicht gemäß einem Protestprinzip: Nicht “Ich bin dagegen, also wähle ich den, der auch dagegen ist und die anderen am meisten ärgern wird”. Sondern eine am eigenen Leibe erfahrene, nicht einmal notwendigerweise bewusst reflektierte Demütigung, Verunsicherung, sozioökonomische Gewalt ist direkt resonanzfähig mit der Art und Weise, wie Trump medial denunziert wurde. Und tragischerweise ist dieses autoritäre und impulsive, sachlich nicht ernstnehmbare, teilweise verletzliche und deshalb authentisch wirkende Erscheinungsbild Trumps in vielen Hinsichten ein Produkt von mehr dramatisierenden als sachlich diskutierenden medialen Debatten.

Trump und der amerikanische Traum

Für diesen Mechanismus einer fatalen Identifizierung ist Trump zusätzlich auch deshalb eine passende Figur, weil die Selbstdarstellung seines eigenen vermeintlichen Lebenserfolgs ihm Respektabilität verleiht. Es geht der Mythos um, er habe aus wenigen Millionen, die ihm vererbt worden seien, mehrere Milliarden gemacht. Dieses Narrativ präsentiert gezielt eine Verkörperung des amerikanischen Traums, denn ob man dabei mit zehn Dollar oder einer Million beginnt, erscheint bloß als eine Frage der Skalierung.

Ob diese Geschichte nun stimmt oder eher dem Genre der Falschmeldungen und Echokammergesänge entspringt, ist nicht die primär spannende Frage. Vielmehr ist die Tatsache auszuwerten, dass es trotz aller Gegendarstellungen geklappt hat, dieses Bild zu verbreiten: Anstatt dass ihn seine Herkunft aus der Kapitalelite suspekt erscheinen lässt, gibt sie ihm paradoxerweise gerade die Glaubwürdigkeit, als Quereinsteiger im politischen Apparat und qua selbstsuffizientem Reichtum von den Seilschaften der verhassten politischen Eliten unabhängig zu sein.

In Trump zeigt sich eine dringend zu bedenkende Wirkungsdimension politischer Ansprache, die darauf beruht, aus dem politischen Apparat selbst herauszuweisen: Er ist kein Berufspolitiker, gerade das macht ihn glaubwürdig. Der offensichtliche und alarmierende Befund, dass mit Trump ein backlash zur Attraktivität autoritärer Figuren des Regierens sichtbar wird, kann damit um die wichtige Differenzierung zweier Typen autoritärer Figuren bereichert werden.

Die Attraktivität von Autorität

In der Diskussion rund um das Ressentiment gegen das Establishment kennzeichnet sich eine Polarisierung zwischen einer scheinbar ‚unverdienten‘, angestammten oder im Milieu ererbten Macht politischer Eliten im Gegensatz zu der (vermeintlich) selbst errungenen, auf Leistung beruhenden und subjektiv deshalb als gerechtfertigt erscheinenden Autorität von Personen, die als Quereinsteiger in den politischen Apparat einwirken.

Jede aus Trumps Außenposition abgeleitete Diagnose von sachlicher Inkompetenz oder Ignoranz in Bezug darauf, wie Politik funktioniert, wirkt unter den Voraussetzungen dieses Spannungsfeldes wie die verzweifelte Selbstverteidigung eines im wunden Punkt getroffenen Milieus. Sie gibt tragischerweise noch mehr Wasser auf die Mühlen der massenmedialen Konstitution von Trump als Figur fataler Identifizierung.

Analysen, die davon ausgehen, die meisten Trump-WählerInnen hätten gegen ihre eigenen Interessen gestimmt, und dann fragen: “Wie kann es sein, dass sie sich derart ‚verführen‘ ließen?”, verpassen es, die auf êthos, Haltung und ‚Charakter‘ zielende (ethologische) Dimension des Wahlverhaltens zu bedenken. Anstatt WählerInnengruppen vorzurechnen, was ihre Interessen und daraus abgeleitet ihr rationales Wahlverhalten sind, würde eine diskutierenswerte umgekehrte Analysestrategie erkennen: Vielleicht zeigt der Wahlerfolg Trumps gerade, dass sich das prioritäre Interesse einiger WählerInnen (leider!) vielmehr darauf richtet, ‚einen Typen wie Trump‘ an der Spitze ihrer Regierung zu sehen.

Anm. d. Red.: Im zweiten Teil dieses Essays wird die Frage gestellt, wie eine Politik jenseits des rechten Spektrums jene Menschen erreichen kann, für die sozioökonomische Demütigungserfahrungen prägend sind. Das Foto stammt von Mario Sixtus und steht unter einer CC-Lizenz.

6 Kommentare zu “Fatale Identifizierung: Wie öffentliche Demütigungen Trump zum Wahlsieg verholfen haben

  1. Identifizierung ist sein Job. Er ist ja nicht einfach ein Milliardär, sondern er ist die zur Karikatur übersteigerte Marke eines Rich Guy, und genau dieser Marke verdankt er sein Vermögen. Er ist das Idol jener kleinen Leute, die keine Milliardäre sind, aber genau so als Milliardäre leben wollen würden. Mit Gold-Kitsch und Modelpüppchen. Darum zahlen Immobilienentwickler an Donald Trump um seinen Namen auf ihren Wolkenkratzern zu haben. Und er ist als Politiker das Idol jener Leute, die als Politiker genau so wären und darum genauso ungeeignet wie der Normalbürger für das Amt. Er actet die Wünsche der Leute aus.

    Nun sind es aber die Leute in der zweiten Reihe, von Tillerson bis Ryan, die einen Präsidenten Trump so richtig gefährlich machen.

    Schlussfolgerung: die thematische Bespielung der Rechten ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Denn ein Trump ist ja nicht nur Populist, er ist auch Sympathisant aller Populisten.

  2. In der Tat. Es geht um “êthos”. Das hat Rainer Mühlhoff sehr schön herausgearbeitet. Um das charakteristische dieses “êthos” herausarbeiten zu können, hätte Herr Mühlhoff allerdings das Standartwerk des führenden US-Kriminologen Stanton E. Samenow aus den 80er Jahren (“Inside The Criminal Mind”! kennen müssen. Über Jahrzehnte hat Samenow die Unterschiedlichsten kriminellen Täter, ihre Familien, Lehrer, Freunde, usw. untersucht, und hat dabei Gemeinsamkeiten über alle Täter hinweg entdeckt, die er in jenem Buch beschreibt. Es gibt leider keine deutsche Übersetzung jenes Buches, deshalb habe ich mal einige wenige Absätze daraus, deren Original man auch als Text im Internet findet (https://www.psychologytoday.com/ie/blog/inside-the-criminal-mind/201908/the-criminals-sense-uniqueness), ins deutsche übertragen:

    “Jeder Mensch ist einzigartig – physisch, psychisch und in seinen Erfahrungen. Der Kriminelle ist sich jedoch sicher, dass er wie kein anderer ist. … Er glaubt, dass niemand die Gedanken hat, die er hat, und es niemandem möglich ist, ihn zu durchschauen.

    Der Kriminelle hält sich für außergewöhnlich und überlegen. Aufgrund seiner selbst auferlegten Isolation, seiner überall vorhandenen Geheimnistuerei, und seines ständigen Bemühens, sich einen Vorteil zu verschaffen, wissen andere nicht, wer er ist oder was er vorhat. Der Kriminelle hält sich für einzigartig, weil er es geschafft hat, andere auszutricksen und sich mehr zu erlauben, als andere es überhaupt bemerken. Als Meister der Täuschung verblüfft und überrascht er sogar jene Menschen, die glauben, ihn bestens zu kennen.

    … Der Kriminelle glaubt, dass er mit anderen wenig gemein hat. Und es ist wahrscheinlich, dass er für sie Verachtung hegt. In der Schulklasse oder im Rahmen einer anderen Gruppe glaubt er, dass er von Gleichaltrigen wenig lernen kann, wahrscheinlich meint er sogar, mehr zu wissen als sein Lehrer oder Ausbilder. Professionelle Berater, Therapeuten und Psychologen stellen häufig fest, dass wenn man Kriminelle in einer Gruppe zur Beratung zusammenführt, dieses eher zur Bildung einer Bande führt als zu einer Therapie-Gruppe. Jedes Mitglied hat seine eigene Agenda und strebt an, die Führung zu übernehmen, während es glaubt, nichts lernen zu müssen. Was für andere gilt, hat für das eigene Leben keinerlei Bedeutung. Sich einem Menschen zu fügen, oder einem Programm oder einem System, das bedeutet für ihn, seine Identität zu verlieren.

    Der Kriminelle kann Meinungsverschiedenheiten kaum tolerieren, und hat nur geringes Interesse an den Meinungen anderer. Und weil er vollkommen davon überzeugt ist, dass er Recht hat, und weil er sich ja für klüger oder besser informiert hält, sieht er nur selten den Sinn und Wert von Kompromissen. Auch Ratschläge anzunehmen empfindet er als erniedrigend. Er braucht keine, weil er ja alles weiß. Aufgrund seines Überlegenheitsgefühls sieht der Kriminelle auch keinerlei Notwendigkeit, irgendjemandem auch nur irgendetwas zu nachzuweisen.

    Wenn andere die Vorstellung des Kriminellen über seine Einzigartigkeit nicht bekräftigen, nimmt er das persönlich und fühlt sich herabgesetzt. Daraufhin wird er ungeduldig und wütend, und intensiviert dann das Bestehen auf der Korrektheit seiner Position. Fakten und Beweise spielen dabei keine Rolle, es sei denn, sie stützen das, was er bereits denkt. Und wenn er nur etwas denkt, dann hält er es bereits für die Wahrheit.

    Die schwerwiegendste Folge dieses Gefühls der Einzigartigkeit ist, dass der Kriminelle daraus ableitet, nicht an moralische oder rechtliche Einschränkungen gebunden zu sein.”

    Ja, es ist erschreckend. Dieser Text ist ca. 30 Jahre alt und dennoch hat man beim Lesen das Gefühl, dass mit diesem Text genau der Donald Trump beschrieben wird, wie er sich uns in den letzten 4 Jahren präsentiert hat.

    Die Folgerung liegt nahe: Donald Trump ist geradezu ein Musterexemplar für das typische Denken von Kriminellen. Und genau damit trifft er das Herz seiner glühendsten Verehrer. Es gibt einfach einen bestimmten Anteil (ich schätze von 10-20%) in jeder Bevölkerung, die ähnlich fühlen und denken wie er. Mafioso halt. Und ob die Mafia erfolgreich sein kann – d.h. hier Schutz und einen gewissen minimalen Wohlstand bieten für die einen, sowie Angst, Schrecken und Verfolgung für diejenigen, die sich einem solchen Führungsanspruch entgegenstellen -, das hängt vom Verhalten der (geschätzt 60%) eher opportunistischen angstvollen Mitläufern jeder Art von Führung ab.

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