Vermarktung von Konsumkulturen: Wie lange noch wird es im Netz freie Fan-Communities geben?

Die Kreativität von Fans blüht im Netz neu auf. Hier schreiben und veröffentlichen sie eigene Geschichten, hier vernetzen sie sich in ungekannter Weise. Doch es ziehen dunkle Wolken auf: Die Rechteinhaber und Inhalte-Ersteller, die einst Angst um ihre schönen Werke hatten, nutzen die lebendige Fankultur im Netz um noch mehr Geld zu machen. Die Journalistin Valie Djordjevic taucht ein in eine Welt, in der ständig neue Fronten entstehen.

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Fankulturen sind von einer Subkultur in den Fokus der Marketing- und Talentsuche-Aktivitäten von Verlagen gerutscht. Fans schreiben Geschichten und Romane (Fanfiction), malen und zeichnen (Fanart) und schneiden aus dem Originalfilmmaterial Musikvideos zusammen (Fanvideos). Diese Aktivitäten werden über das Internet organisiert: Es gibt Foren, in denen sich Fans über TV-Shows, Filme und Bücher austauschen; Fanart-Archive, in die sie ihre Werke hochladen und mit anderen teilen: Auf Youtube und anderen Videohostern finden sich Millionen von Fanvideos.

Diese Fans nehmen das ursprüngliche Material und machen daraus etwas Neues. Sie benutzen das Universum, das sich jemand anders ausgedacht hat, und spinnen es weiter. Das kann sehr nah am Original geschehen – wenn ein Fanautor zum Beispiel die Geschichte aus der Perspektive einer anderen Figur nacherzählt. Das kann sich aber auch sehr von der Originalgeschichte lösen, so dass die Figuren nur noch die Namen mit den Figuren aus Funk und Fernsehen gemeinsam haben. Das nennt sich dann alternative universe in der Fansprache. Dabei nimmt ein Autor beispielsweise Hermine Granger und Draco Malfoy aus den Harry-Potter-Büchern, lässt die Geschichte aber in der normalen Welt spielen, wo es kein Hogwarts und keine Magie gibt.

Fan-Kunst: Die rechtliche Situation

Die Fankreativen werfen interessante Fragen auf bezüglich Kreativität und Originalität. Gerade das Paradigma der Originalität, das seit der Romantik herrscht – dass ein Künstler unerhörte und neue Werke schaffen muss, um anerkannt zu werden – wird durch die Fankreativität aufgeweicht. Wie in allen Bereichen der menschlichen Kulturproduktion gibt es auch bei Fan-Werken sehr gute und abgrundtief schlechte Produktionen.

Urheberrechtlich bewegt sich Fankreativität in einer Grauzone, jedenfalls in Deutschland. In den USA ist inzwischen anerkannt, dass Fanfiction und -art wohl unter „Fair Use“ fällt. Das ist eine Regelung, die es unter bestimmten Umständen erlaubt, Werke anderer zu übernehmen und sie zu bearbeiten. Eine dieser Bedingungen ist, dass die Nutzung die kommerzielle Verwertung durch den Rechteinhaber nicht einschränkt.

In Deutschland ist die Situation komplizierter: Fanfiction zum Beispiel ist urheberrechtlich in der Regel eine Bearbeitung, die nur mit der Erlaubnis der Rechteinhaber gestattet ist. Praktisch stellt sich die Frage allerdings selten, denn die meisten Rechteinhaber haben sich inzwischen entweder damit abgefunden, dass sie die Fans nicht kontrollieren können oder sehen die Aktivitäten als Marketingmaßnahme. Die Fans, die sich in ihrer Freizeit noch zusätzlich mit Harry Potter oder Star Wars beschäftigen, sind auch diejenigen, die mehr Geld ausgeben für De-Luxe-DVD-Boxen oder signierte Actionfiguren, aber auch diejenigen, die Einfluss auf andere Fans ausüben.

Gerade durch die Vernetzung von Fans im Internet kann eine Kampagne gegen Fans sehr leicht nach hinten losgehen. Lucasfilm, die Rechteinhaber von Star Wars, sind zum Beispiel Anfang der 2000er gegen Slash-Erotica (Luke Skywalker verliebt sich in Han Solo und sie haben wilden, schwulen Sex) vorgegangen, weil sie sagten, dies würde das Familien-Image der Saga zerstören. Die Fans fanden das nicht so lustig. Inzwischen wird das Phänomen von Lucasfilm wohlwissentlich ignoriert.

Die Ursprünge der Fankulturen

Fankulturen gibt es schon seit den 1970er Jahren – sie sind kein Produkt des Internet. Das erste große Fandom entwickelte sich um die Fernsehserie „Startrek“. Die größte und notorischste Fangruppe waren hier die Kirk/Spock-Shipper. Das Wort „Ship“ ist die Abkürzung von Relationship und bezeichnet die Beziehung zwischen zwei Figuren, die nicht unbedingt in der Originalsendung (Film, TV-Show oder Buch) eine Beziehung haben müssen. Der Schrägstrich zwischen „Kirk/Spock“ hat dem ganzen Genre seinen Namen gegeben: Slash – nach dem englischen Wort für Schrägstrich. Bei Slash werden zwei gleichgeschlechtliche Charaktere „geshippt“, also in einer Liebesbeziehung miteinander imaginiert.

Manche Medienwissenschaftler sehen in der Slash-Fiction, die meist von Frauen verfasst wird, eine Praxis, die erlaubt, die Möglichkeiten von Macht und Geschlecht neu durchzuspielen (siehe zum Beispiel Constance Penley, NASA / TREK). Das funktioniert allerdings nur, solange Fankulturen in einem Freiraum operieren können, in dem die Rechteinhaber keinen Einfluss ausüben können. Die Rule #34“ des Internet: “If it exists there is porn of it. No exceptions.” stellt in diesem Falle einen Freiraum her, in dem Fans alles ausprobieren können, was ihnen in den Sinn kommt. Der Wildwuchs, der dort entsteht, eröffnet neue Räume der Kreativität und Kommunikation.

Vom Werk der Fans zum Marketing-Objekt

In den letzten paar Jahren lässt sich allerdings ein umgekehrter Trend beobachten: Fankreativität rutscht von einer Praxis von Fans, die von den Rechteinhabern zwar toleriert wird, aber ansonsten sich selbst überlassen ist, in das Zentrum der Marketingaktivitäten der Verlage und Produktionsfirmen. Das folgt dem allgemeinen Trend im Internet in Richtung User Generated Content. Bis vor kurzem waren die Strukturen, in denen sich Fans organisiert haben, von ihnen selbst geschaffen und administriert. Diese selbst-organisierten Strukturen gibt es zwar immer noch (zum Beispiel das „Archive of our own“, das dies schon im Namen trägt), aber immer mehr Fan-Angebote kommen aus der Hand von professionellen Anbietern.

Der virtuelle Popstar Hatsune Miku ist dafür nur ein Beispiel. Die Figur wurde im Auftrag der Firma Crypton Future Media entwickelt, um der künstlichen Gesangsstimme aus dem Software-Synthesizer „Vocaloid2“ ein Gesicht zu geben. Fans haben diese Figur und die dazugehörige Stimme genommen und selbst Musik und Videos dazu erschaffen. Inzwischen gibt es über 100.000 Musikstücke, die von Hatsune Miku gesungen werden. Wenn man es singen nennen kann: Nicht wegen der Qualität der Stimme, sondern weil die Definition von Singen das Erzeugen von Tönen mithilfe menschlicher Stimmritzen beinhaltet.

Die Community um Hatsune Miku ist groß – trotzdem ist sie von oben nach unten organisiert. Das Quellmaterial ist gerade dafür gemacht, dass die Nutzer mit ihm arbeiten, anders als bei den bisherigen Fanwerken, die von den Nutzern ohne vorherige Erlaubnis übernommen und auf Arten und Weisen bearbeitet wurden, die von den ursprünglichen Autoren nicht vorgesehen waren.

Strategien der Vereinnahmung: So macht der Markt Fankulturen zu Geld

Andere Beispiele für die Übernahme von Fanstrategien und Fan-Community-Building finden sich an vielen Stellen: Es gibt vermehrt Fanautoren, die sich professionalisieren. Das wohl bekannteste Beispiel ist E.L. James, die Autorin von „50 Shades of Grey“. Ursprünglich war „50 Shades of Grey“ ein Fan-Roman unter dem Titel „Masters of the Universe“ im Twilight-Fandom. Die Geschichte war in der Community sehr beliebt, so dass die Autorin die Namen der Figuren änderte und nach einem Verlag suchte. Sie landete schließlich (nach einigen Umwegen) bei Random House. Die SM-Romanze wurde inzwischen weltweit über 70 Millionen mal verkauft.

Besorgniserregender, was die Strategie angeht, ist aber wohl die Amazon-Initiative „Kindle Worlds“. Amazon hat von verschiedenen Rechteinhabern die Lizenzen eingeholt, um Fanfiction über ihre Kindle-Plattform zu verkaufen – zunächst nur in den USA. Fanautoren können ihre Werke auf „Kindle Worlds“ hochladen und sie dort anbieten. Der Verkaufspreis wird zwischen Fanautor, Rechteinhaber und Amazon aufgeteilt. Nun könnte man sagen: Wo ist das Problem, wenn etwas Geld bei den verschiedenen Produzenten landt? Allerdings kommt mit der Lizenzierung auch eine verschärfte Kontrolle. Die Fanautoren müssen inhaltlichen Vorgaben zustimmen, sogenannten Content Guidelines, die für die verschiedenen Welten unterschiedlich sind.

Gemeinsam haben allerdings alle, dass sexuell explizite Inhalte nicht erwünscht sind und auch sogenannte Crossovers – die Vermischung von zwei verschiedenen Welten, also wenn die Figuren aus „Star Trek“ mit „Dr Who“ Abenteuer erleben. „Kindle Worlds“ hat bisher die Rechte für einige wenige Fandoms erworben – die richtig beliebten wie Harry Potter oder Twilight sind nicht dabei. Von daher ist der Erfolg noch nicht garantiert. Die Fans sind skeptisch: Die vielen inhaltlichen Einschränkungen verderben den Spaß – und darum geht es den meisten Fanautoren.

Die Frage also bleibt: Wie frei und unabhängig können Fankulturen bleiben, wenn sie zu einer weiteren Verkaufsstrategie von großen Verlagen und Medienproduzenten werden? Wenn die großen Inhalte-Anbieter keine Inhalte mehr verkaufen, sondern nur noch die Strukturen, innerhalb derer andere diese Inhalte erstellen? Insofern folgt die Entwicklung in der Popkultur der anderen, größeren im Netz, wo das Geld dort verdient wird, wo Strukturen bereit gestellt werden und die Inhalte von den Nutzern erstellt – wie zum Beispiel bei Youtube und den sozialen Netzwerken. Die Hoffnung bleibt, dass das anarchische Potential des Netzes und der Fandoms erhalten bleibt – jedenfalls auf vereinzelten Inseln.

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Anm. d. Red.: Valie Djordevic war eine von rund 50 internationalen Gästen der COMPLICITY-Konferenz der Berliner Gazette. Der Text ist eine überarbeitete Fassung des Vortrags, den sie auf der Konferenz hielt – oben im Video-Player in der Live-Aufzeichnung zu sehen (ab Min 26:00). Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc.) findet sich hier: berlinergazette.de/complicity. Die Abbildungen stammen aus dem “Kirk/Spock-Shipper”-Kosmos: die Grafik oben ist von Lei Feiyang und die Grafik unten von Yeaka.

6 Kommentare zu “Vermarktung von Konsumkulturen: Wie lange noch wird es im Netz freie Fan-Communities geben?

  1. die Gefahren des Marktes sind überall und überall groß. Fans haben das schon immer gewusst oder? Oder sind Fans verträumte Wesen, die von Like Someone in Lovesolchen Gefahren nichts wissen? sich in eine Traumwelt flüchten und dort vor sich hin vegetieren? Waren Fans jemals bewusst und im politischen Sinne an irgendeiner Subkultur beteiligt?

    Zwei Dinge müsste man zusammendenken:

    1) hier der Fan, der vom Markt nichts wissen will und seines Zeichens als kreatver, produzierender Fan einer Subkultur frönt.

    2) dort der Fan, der Teil des Marktgeschehens ist, weil er/sie als Fan eben Markt-Produkte konsumiert, anbetet, ohne sie nicht leben kann und will, etc. und seines Zeichens als kreativer, produzierender Fan einer Kultur frönt, die ebenso kreativ mit Markt-Logiken spielt.

    Ich glaube im Übrigen, dass letzteres näher dran ist an der Wahrheit und der Text hier deshalb ein bisschen ins Leere schießt.

  2. ich habe selbst schon fan fiction geschrieben und finde es sehr gut, dass jemand mal diesen aspekt anspricht. in der community selbst wird das alles sehr kritisch geshen. auch der erfolg von fifty shades. letztlich hat e.l. james sich doch verkauft. am ende verbietet sich noch, dass fan fiction aus ihren romanen gemacht wird…

  3. ich bin fan, ich habe meine stars, ich genieße die freiheit zu lieben, wen ich will, und wenn ich will, dann male ich auf das poster an meiner wand auch noch ein paar schöne details, die den körper verschönern, liebevoller machen, da kann mir keiner was sagen und das ist auch gut so!

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