Facebook vs. WikiLeaks: Eine Revolution, die uns jetzt im Internet bevorsteht

Nach der Twitter-Revoltion im Iran jetzt die WikiLeaks-Revolution in Tunesien? Die Geschichte des Internet hat Platz für solche Märchen. Immerhin glaubt man seit langer Zeit, dem Internet an sich wohne eine revolutionäre Kraft inne. Es ist höchste Zeit von dieser Vorstellung Abschied zu nehmen, meint Krystian Woznicki.

Die meisten Online-NutzerInnen können sich wahrscheinlich gar nicht mehr daran erinnern, wie im historischen Umfeld des Mauerfalls die Informationsrevolution ausgerufen wurde und wie kurze Zeit später, Mitte der 1990er, das Internet seinen ersten großen Hype erlebte – freilich auch von einem revolutionären Spirit getragen.

Die digitale Revolution jener Tage ist in Vergessenheit geraten, weil Hypes kommen und gehen – im Internet mit besonders großer Geschwindigkeit. Und weil die digitale Revolution seither immer wieder neu ausgerufen worden ist. Jede nachgeborene Generation hat ihre eigene digitale Revolution erlebt. Zuletzt stand sie im Zeichen von “Web 2.0” beziehungsweise “Social Web”. Auch wenn ihre Symbolfiguren wie Punks auftreten (siehe Sascha Lobo) oder den Hollywood-Nimbus des Outlaws haben (siehe Mark Zuckerberg) – die Revolution nimmt heutzutage kaum jemand so richtig ernst. Außer einer: Julian Assange.

Das Comeback der Revolution?

Als Assange sein Projekt WikiLeaks lanciert (übrigens zwei Jahre nach Zuckerberg), betritt mit ihm einer die Bühne, der noch an die ganz großen Umwälzungen glaubt. Zu diesem Zeitpunkt, wir schreiben das Jahr 2006, ist auf dieser Bühne alles transparent. Keiner kann sich verstecken, keiner aus dem Underground heraus agieren, wie es in einer anderen Phase der Internet-Geschichte möglich gewesen wäre. Assange zeigt wie es dennoch geht: Untertauchen – nicht nur offline, sondern auch online, als ehemaliger Hacker kann er das. Gleichzeitig kann er total sichtbar sein, wie ein echter Popstar, beziehungsweise Revolutionsführer, ohne jedoch entsprechende Soft Skills zu besitzen, wie Futurologe Bruce Sterling anmerkt. Steht Assange dennoch für eine neue Phase der digitalen Revolution?

Saroj Giri hat bereits in den ersten Stunden des Cablegate große Zweifel diesbezüglich angemeldet. Zwar hat WikiLeaks den Anspruch, öffentliches Aufbegehren und sozialen Wandel zu initiieren (auch Bradley Manning hoffte mit seiner Tat weltweite Diskussionen, Debatten und Reformen anzustossen). Doch, so Giri, dies habe nicht funktioniert. Er spricht in Anlehnung an den Begriff der “information revolution” von einer “information explosion”, die zur “truth explosion” werde. Der an der Delhi University in Indien tätige Politikwissenschaftler spitzt seine Argumentation wie folgt zu:

WikiLeaks' truth revelations did not act as the proverbial spark setting off the prairie fire. (...) Is there a Wikileaks movement or something, are people getting mobilized, is there a social disobedience movement against the government? [...] without a public upheaval or movement, the truth revealed has only the status of an ‘overt fact’, without its subversive political charge, without any life. [...] Truth loses its power and punch in triggering off civil disobedience or protests.

Der politische Philosoph Slavoj Žižek zeigt sich in der aktuellen Ausgabe der London Review of Books ebenso skeptisch:

It is a mistake to assume that revealing the entirety of what has been secret will liberate us. The premise is wrong. Truth liberates, yes, but not this truth.

Tunesien: Die “erste WikiLeaks-Revolution”

Die Geschichte scheint diese Aussagen in nur wenigen Wochen überholt zu haben. Und zwar auf spektakuläre Weise: Mitte Januar 2011 hat sich sich laut Foreign Policy die “erste WikiLeaks-Revolution” ereignet. Im Zuge der Aufstände in Tunsien wurde das Aufbegehren gegen die korrupte und diktatorische Regierung durch Details aus den diplomatischen Kabeln beflügelt. Wie Journalistin Elizabeth Dickinson für das Magazin festhält: “WikiLeaks acted as a catalyst: both a trigger and a tool for political outcry.” In der Zwischenbilanz der Aufstände taucht allerdings auch Facebook auf. Dem sozialen Netzwerk wird ebenfalls eine prominente Rolle bei der Revolution zugewiesen.

Sind WikiLeaks und Facebook bei dem Aufstand in Tunesien tatsächlich austauschbar? Aus einer bestimmten Perspektive ist das durchaus möglich. Aus der Sicht des Westens stehen die derzeit wohl prominentesten Marken im Internet in einem autoritären Staat wie Tunesien für Freiheit, Offenheit und Wandel. Sie repräsentieren dort den Westen und westliche Demokratie. In dieser Eigenschaft sieht sich der Westen bekanntlich gerne. Deshalb wird auch entsprechend darüber berichtet. Dieser narzisstische Hype badet sich darin, dass die kommunikativen Infrastrukturen von WikiLeaks und Facebook den Aufständischen geholfen haben und blendet aus Selbsterhaltungstrieb aus, dass eigentlich ganz andere organisatorische Faktoren für die Wucht und den Erfolg des Widerstands ausschlaggebend waren.

Vielleicht ist das die zentrale Lektion der ersten “WikiLeaks-Revolution”: Die seit den 1990ern immer wieder aufziehenden Verklärungswolken codieren das Internet als Medium, dem per se revolutionäre Kraft inne wohnt. Deshalb befragt man es nicht auf seine politische Funktion und Struktur hin – WikiLeaks und Facebook einerlei. Doch genau darum muss es uns gehen. Gerade in dieser spezifischen Phase der Internet-Geschichte. Denn, wie Medienkritiker Douglas Rushkoff sagt, selbst die dissidenten Aktionen des Anonymus-Netzwerk haben gezeigt:

just how tightly controlled the net remains in its current form, as well as just what would have to be done to create the sort of peer-to-peer network capable of upending corporate and government power over mass communication and society itself.

Dieser Aussage liegt eine üblicherweise weitgehend ausgeblendete Frage zu Grunde: Wie ist das Internet, das wir als gegeben annehmen, eigentlich beschaffen? Wie ist das, was wir fast ausschließlich als Benutzeroberfläche wahrnehmen, eigentlich gebaut? Und, vielleicht noch entscheidender: Wie könnte es umgebaut werden?

Das Internet als soziales Netzwerk (namens Facebook)

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Internet sei an sich ein revolutionäres Medium. Wie jedes Medium steht und fällt sein revolutionäres Potenzial mit einer entsprechend ausgerichteten sozialen Praxis und mit den Machtverhältnissen, in die diese Praxis eingebettet ist. Wir müssen uns fragen: Wie nutzen wir das Internet? Wer hat die Kontrolle?

Zu Beginn des vergangenen Jahres spekulierte man noch darüber, wann die Dominanz des sozialen Netzwerks Facebook so groß sein werde, dass es in den Augen der Öffentlichkeit mit dem Internet als solchen verschmilzt. Anscheinend ist es inzwischen soweit. Gingen vorher die Online-NutzerInnen via Google ins Netz, betreten sie heute mit dem Login in das soziale Netzwerk Facebook das Netz selbst – eine Suchfunktion hat das System auch schon längst.

Von Facebook geht, wie Wirtschaftsjournalist Lothar Lochmaier sagt, die Strahlkraft des universellen Standards aus: “Die Menschheit schreit geradezu nach einem in der Designqualität reduzierten System, das sich quer über den ganzen Planeten nutzen lässt.” Nach Mircosoft und Google, stehe nun der “soziale Netzwerkprimus” für dieses Versprechen. Und das in Zeiten, da sich im Zeichen des “Social Web” eine “Völkerwanderung ins Netz” abzeichnet, die, und das ist das spezifisch Neue dieser Phase der Internet-Geschichte, “alle Bereiche und Anwendungen von Wirtschaft und Gesellschaft erfasst.”

An dieser Stelle ergeben sich schier unendlich viele Fragen über die Zukunft von Internet und Gesellschaft, beziehungsweise Internet und Politik. Für uns sind, wie gesagt, im Hinblick auf das Internet als soziales Netzwerk namens Facebook folgende Fragen relevant: Wie nutzen wir das Internet? Wer hat die Kontrolle?

Die politische Architektur des Internet

Die Kontrollfrage ist auf den ersten Blick schnell beantwortet: Die Kontrolle liegt im Internet namens Facebook bei einem Konzern und seinen Inhabern. Kein demokratischer Zustand. Von verteilter Macht keine Spur – da bietet sich WikiLeaks mit der dezentrierten Struktur seiner ganzen Mirror-Sites als Gegenmodell unmittelbar an. Ich will das an dieser Stelle nicht weiter problematisieren.

Die Frage nach der Nutzung von Facebook scheint auf den ersten Blick kniffliger. Immerhin kommen wir nicht umhin darin jene Grundbedingungen auszumachen, die soziale Bewegungen ermöglichen. Wie Geert Lovink sagt: “Ein Schlüsselmoment für soziale Bewegungen ist der Erstkontakt zwischen vormals scheinbar selbstständigen Einheiten, wenn schwache Verbindungen sich in revolutionäre verwandeln.” Es gehe folglich darum, “neue Verbindungen herzustellen und mit neuen Organisationsweisen zu experimentieren”.

Das politische, ja revolutionäre Potenzial ist in Facebook gegeben. Wir müssen uns dessen bewusst werden. So wie wir uns klar machen müssen, dass Facebook nicht das Internet ist, beziehungsweise, nicht das Internet wie es sein könnte – etwas, das eine gerechte Weltgesellschaft ermöglicht. Was als Facebook-Revolution in die Geschichte eingehen sollte, sind nicht die Aufstände in Tunesien, sondern eine Revolution, die in Facebook ihren Ausgangspunkt hat und die sich gegen die autoritäre Technologiepolitik des Hauses wendet.

Die erste wahre WikiLeaks-Revolution könnte daran gekoppelt sein – Bereitstellung von Daten und der passenden Philosophie einer offenen Regierung. In diesem Sinne steht Assange für eine neue Phase der digitalen Revolution. Insbesondere dann, wenn die in und via Facebook mobilisierten Massen sich von den Kontroll- und Machtverhältnissen dieses sozialen Netzwerks losmachen und den laut Assange eigentlichen technologischen Feind angehen: China.

40 Kommentare zu “Facebook vs. WikiLeaks: Eine Revolution, die uns jetzt im Internet bevorsteht

  1. Hoffentlich ist diese Revolution eine positive Revolution. Bei Ländern, in denen der Islam eine Rolle spielt bin ich sehr Skeptisch, was die Menschenrechte usw. angeht. Iran, Afganistan usw., ja sogar Irak, obwohl dort noch immer internationale Truppen vor Ort sind, treten ja gerne auf den Menschenrechten herum.

  2. @icke berlin: die Drucken Funktion findest Du, wenn Du auf den [+] Button Share gehst.

  3. @Willie Benzen: warum wird der Isalm eigentlich immer verteufelt? Nur weil wir im Christentum leben und die anderen anders sind? “Mein Gott”: als stünde uns die Aufklärung noch aus!

  4. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis und im weiteren sozialen Umfeld umschaue, muss ich feststellen: Facebook ist für die meisten der “Erstkontakt” mit dem Publizieren im Netz. Daraus resultiert vielfach Verhaltensunsicherheit, und die potenziert sich, bis sich eine Grundstimmung herausbildet, die ich als repressives Entertainment beschreiben möchte.
    Erwachsene Menschen, die offline interessante Gesprächspartner sind, eigenständige Denker, machen auf Facebook nichts anderes, als zum allgemeinen Gauditum beizutragen. Von ihrem je besonderen Wissen teilen sie nichts mit.
    Warum? Weil das Popularity-Contest-Prinzip (“Gefällt mir!”), das eingeführt wurde, um die Masse der ansonsten inaktiven Nutzer einzubinden, mit narzisstischen Kränkungen aufwartet – auch die besagten unabhängigen Geister haben sich emotional noch nicht vom Peer-Pressure auf dem Schulhof entfernt. Der Pausenclown hat das Sagen. (Und man will ja vor den Augen der anderen – Kollegen, Bekanntschaften, der Exfreundin – nicht als unpopulär dastehen.)
    Die Konsequenz: “Diskussionen” gleiten sofort ins Alberne ab (nur nicht dabei ertappen lassen, dass man etwas ernst meint); Leute aus meinem Umfeld, die als Künstler, Schriftsteller, Fotografen etc. Interessantes produzieren, verzichten aus Angst vor Nichbeachtung durchs Rating-System auf die Verlinkung. So sie im sozialen Netzwerk nicht inaktiv werden, posten sie auch nur noch die unvermeidlichen Gag-Videos (“Gefällt mir!”).
    Mein Fazit: Die Weise, wie Facebook eine technisch vermittelte soziale Binnenstruktur aufgebaut (und welche Wirkungen das auf das Nutzerverhalten hat), negiert all die Möglichkeiten, die das Netz bieten könnte. Ein Elend, dass das Netzwerk für viele der Erstkontakt ist.

  5. das ist ja wieder unglaublich spannend, was ist hier nur los, verändert sich unsere Gesellschaft gerade so sehr? Danke für diesen Bericht. Eine Revolution war mir gar nicht bewusst!

  6. Evgeny Morozov sagt ganz interessante Dinge zu diesem Thema, die mir irgendwie geisterverwandt scheinen:

    One thing to keep in mind is that revolutions will continue and Twitter won’t go away anytime soon. So, it’s reasonable to assume that there WILL be some new-media activity for any social or political turmoil. But correlation, as well all know, doesn’t always mean causation.

    […]

    What strikes me about events in Tunisia is that social media seems to have failed in what many of us thought would be its greatest contribution (outside of social mobilization) — that is, in helping to generate and shape the coverage of events in the mainstream media.

    (…)

    Would this revolution have happened if there were no Facebook and Twitter? I think this is a key question to ask. If the answer is “yes,” then the contribution that the Internet has made was minor; there is no way around it. On this logic, we shouldn’t expect similar outcomes in other countries just because they also have vibrant communities of cyberactivists.

    (…)

    it’s wrong to assess the political power of the Internet solely based on its contribution to social mobilization: We should also consider how it empowers the government via surveillance, how it disempowers citizens via entertainment, how it transforms the nature of dissent by shifting it into a more virtual realm, how it enables governments to produce better and more effective propaganda, and so forth.

    http://neteffect.foreignpolicy.com/posts/2011/01/14/first_thoughts_on_tunisia_and_the_role_of_the_internet

  7. @zk: interessant! es gibt also auch noch das Gespenst der “Twitter Revolution” in der medialen Geschichtsschreibung der Aufstände in Tunesien…

  8. @rp: eine hochinteressante einschätzung der lage, auch im hinblick auf die im Artikel aufgebrachten Fragen. Die geschlossene Struktur von Facebook (und systemimmanentes musterverhalten) lassen soziale veränderungen oder gar eine digitale revolution gar nicht zu. Bei so einer differenzierten einschätzung frage ich mich natürlich, wie du das Modell WikiLeaks einschätzt. Kein soziales Netzwerk, aber hat WikiLeaks Modellcharakter für die Zukunft im Netz (und für die Möglichkeiten der Freiheit im Netz)?

  9. Stefan Niggemeier im Interview mit Medienradio: unglaublich, dass Journalisten mit dem WikiLeaks-Thema so umgehen, als bedrohte die Organisation ihre Existenz (tut sie ja vielleicht, weil sie, die Journalisten, bislang die Gatekeeper für Geheimnisverrat waren), statt sich für WikiLeaks und die Sache der Rede- und Meinungsfreiheit einzusetzen.

    ( http://medienradio.org/audio/110112_MR038_Niggemeier.mp3 )

    Tja, recht hat er, und Verständnis, nur, fragt sich, warum setzt er sich eigentlich nicht für WikiLeaks bzw. die in Gefahr geratene Rede- und Meinungsfreiheit ein?

    Ich habe noch nichts Substantielles von Niggemeier zu dem Thema gelesen…

    ?

  10. Ich versuche mich oft an die Zeit zu erinnern, als ich noch zu Hause saß und an einer Internetseite rumgebastelt hatte, wie das dicke HTML-Buch neben mir lag und ich Stunden gebraucht habe und eine Seite zu bauen. Dann irgendwann kam WordPress und ich musste mich nur noch um den Inhalt und Bilder kümmern, aber niemand las den Inhalt (auch heute nicht ;) und jetzt nutze ich sehr gerne Twitter und Facebook als Mitteilungsform und es ist einfach und die Leute lesen es. Was sollte jetzt der nächste Schritte sein? Vielleicht auch unabhängig von großen Firmen Netzwerke zum Austausch entstehen zu lassen. Facebook und Twitter zeigen, dass es heute ziemlich einfach ist zu publizieren, aber sie zeigen auch, dass man von finanziellen Unternehmen abhängig ist und das muss sich irgendwann ändern. Bald sollte die Technik so weit sein, dass jede Person sein eigener Hub in einem OpenSource-Netzwerk ist und in dem Moment hätten wir eine wahre, technische Revolution gegen kapitalorientierte Unternehmen.
    Das wär schön.

  11. @ Willie Benzen: Menschenrechte, schwierige Sache, weil westlich-imperiale Erfindung, um Herrschaftsansprüche zu entwickeln.

    @ rp: ich teile Deine Skepsis, allerdings glaube ich müssen wir treffen zwischen einerseits der Logik von Kommunikation/Qualität offline (Alltag analog) und online (bei facebook) sowie andererseits der Logik der Kommunikation online (Internet) und online (facebook). Im ersteren Fall sollte man denke ich die Ansprüche etwas modifizieren: es handelt sich um ein spezifisches Kommunikationsumfeld und ich finde, es ist nicht ganz angemessen, die Maßstäbe des analogen Alltags dort hineinzutragen, das schöne ist doch, dass sich hier neue Maßstäbe entwickeln. Dass dieser “Erstkontakt” allerdings für viele auch der “Alleinkontakt” mit dem Netz ist, das halte ich für eine höchstproblematische Sache. Das wird das Kernproblem der Zukunft.

    @ Kristjan Erik Czako: weil China ein Staat ist, der die Freiheit, Offenheit des Netzes quasi diktatorisch reguliert.

    @ r2d2: Was Gaddafi sieht, ist analog zu dem, was der Westen sieht: das Internet als Symbol der Demokratie. Es geht in beiden Perspektiven, obgleich sie entgegengesetzt scheinen, um Machterhalt qua Feindbild: der eine defensiv, der andere offensiv.

    @ zk: Danke, ich hatte das auch schon gelesen, da Pit Schulz mich im Kommentarfeld seines Beitrags darauf aufmerksam gemacht hatte, ein sehr schlauer Autor der Evgeny Morozov, und was er da schreibt ist absolut kongenial zu meinen Gedanken.

    @ Soul Surfer: die weltweiten Demonstration sind pro-Assange/WikiLeaks weitgehend, oder? Sie entwickeln keine Dynamik, die sich gegen die Verhältnisse an sich wendet, beziehungsweise gegen Dinge, die diese Verhältnisse ermöglichen. Es ist eine Mobilisierung, aber sie hat, soweit ich das beurteilen, noch kein gemeinsames, grenzübergreifendes Ziel, das über die Solidaritätsbekundung hinausgeht.

    @ neuro: es ist schon traurig zu sehen, dass die traditionelle Presse sich bei diesem Fall von ihrer nicht gerade besten Seite zeigt, vielleicht müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass dieser Sektor weitgehend ruiniert ist. Aber was heisst “wir”? Wir wissen das längst. Der Sektor selbst muss dies zur Kenntnis nehmen und seine Total-Renovierung einleiten, statt sich so immun gegen die Symptome des Verfalls zu gebärden.

    @ andi: “jede Person sein eigener Hub in einem OpenSource-Netzwerk” — das klingt gut :) aber ist das wirklich eine Frage der Technik bzw. wie weit sie ist? Ist es nicht eine Frage wie weit wir sind, bzw. weiter gehen wollen auf dem Pfad der Bevormundung? Ein wenig Technikwissen, so wie Du es Dir angeeignet hast, sollte doch zum Standardwissen gehören, Grundschule meinetwegen.

  12. Morozov hat in einem Text mal das Gedankenspiel gemacht: Was wäre, wenn die „Great Chinese Firewall” fällt – alle Informationen sind frei – und nichts passiert? Dass Information selbst etwas “will”, ist neben der “XY-Revolution” auch eine oft aufziehende “Verklärungswolke”, weil zu wenig zwischen “Daten”, “Information”, “Nachricht”, “politischer Erzählung” usw. differenziert wird.

    By the way: Wer’s noch nicht kennt, kann ja mal versuchen, bei Facebook einen Link auf eine schedische Softwarebucht zu teilen.

  13. zu diesem Thema hier (“Internet als Katalysator für Revolutionen”) war gestern in der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel, den eurotopics wie folgt zusammenfasst:

    “Die wesentlichen Ursachen für einen Volksaufstand wie in Tunesien sind immer noch soziale und politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Doch die moderne Kommunikationstechnik und neue Medien spielen eine wichtige Rolle als Katalysator, schreibt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: “Autoritäre Regime müssen das Internet fürchten, und sie haben sich auf ihre Weise darauf eingestellt. Sie gehen wie die tunesischen Behörden gegen Blogger und andere kritische Geister vor, und sie nutzen die sozialen Netzwerke, um die Öffentlichkeit mit Propaganda und Falschmeldungen zu manipulieren. Ohnehin sind viele der im Internet zirkulierenden Botschaften Wiederholungen bereits bekannter Fakten oder in anderer Form ‘weisses Rauschen’, also nutzloses Geschwätz. Trotz seiner Aura der Unmittelbarkeit liefert das Internet wie die klassischen Medien nicht ein Abbild der ganzen Welt, sondern nur einen kleinen – mehr oder minder richtigen – Ausschnitt davon.”

  14. Auf der Facebook-Seite von Mark Zuckerberg waren kürzlich Mitteilungen erschienen, laut denen Facebook künftig seine Profite für wohltätige Zwecke, wie der Bekämpfung der Armut und des Hungers, investieren wollen. Im letzten Eintrag, bevor die Seite aus dem Netz genommen wurde, stand: “Let the hacking begin” und “Why not transform Facebook into a social business in the way Nobel Price winner Muhammad Yunus described it?”

    http://techcrunch.com/2011/01/25/zuckerberg-fan-page-hack/

  15. Merces Bunz spricht in der FAZ von der digitalen Revolution, die anders als die industrielle Revolution, die die Arbeit von Grund auf veränderte. nun das Wissen auf komplett neuen Boden stellt:

    “Revolution mag vielleicht ein abgenutzter Begriff sein, zweifellos ist er in die Jahre gekommen. Und doch ist es genau das, was sich mit der Digitalisierung ereignet: Unter unseren Fingerspitzen erleben wir eine eruptive Umwälzung. Die vielen Anglizismen, die sich bereichernd in unserer Sprache eingenistet haben – mailen, googeln, skypen, bloggen, posten, twittern -, versuchen sich angestrengt unauffällig zu verhalten, aber sie vermögen nicht, uns darüber hinwegzutäuschen: Nicht nur die Worte hinken den zeitgenössischen Entwicklungen hilflos hinterher und erfassen nicht mehr die Welt, in der wir leben, auch das Denken. Wahrscheinlich wissen unsere Fingerspitzen schon mehr als wir.”

    ( http://www.faz.net/s/RubCEB3712D41B64C3094E31BDC1446D18E/Doc~EE02A72F17D3B4618B681D61F32C75F65~ATpl~Ecommon~Scontent.html )

    Sie argumentiert, es gehe insgesamt weniger um die Programmierebene, sondern mehr darum, die Mechanismen der Maschine zu verstehen:

    “Bei jedem Programm, bei dem es um Informationen geht, bin ich mit einem Algorithmus konfrontiert. Ich finde, es muss schon in der Schule vermittelt werden, wie das Sortieren von Information geschieht. Dafür muss man Google nicht zwingen, seinen Suchalgorithmus zu veröffentlichen; es geht nicht um die Programmierebene. Aber ich sollte als aufgeklärter Bürger verstehen, wie ein Suchergebnis zustande kommt.”

    ( http://blog.zeit.de/open-data/2011/01/27/bunz-algorithmen-digitalisierung/ )

  16. @David: informationen, die frei sein wollen? das ist sicherlich auch ein symptom der re-definition dessen, was menschen eigentlich wollen, was menschen, von maschinen unterscheidet, bzw. was das verhältnis der maschinen zu den menschen ist.

    die vermenschlichung der informationen geht einher mit dem glauben, das menschen immer mehr zu maschine, technologie und information werden (also vermeintlich immer weniger mensch); man dichtet den maschinen etwas an, das einem selbst, dem menschen, abhanden zu kommen scheint: ein wille.

    @Rainald Krome: bei diesem perlentaucher-artikel finde ich diesen ausspruch ganz interessant:

    “Man kann die Bibliothek von Alexandria nicht mehr verbrennen – sie wird in irgendeinem Keller in Stockholm oder Denver oder Peking immer wieder auferstehen.”

    wir müssen uns fragen: wie lange bietet das internet genau die grundlage dafür, dass man “die bibliothek von alexandria nicht mehr verbrennen kann”? die tatsache, dass unterdrückung von inhalten immer einfacher, immer selbstverständlicher funktionert, lässt auf eine entwicklung schließen: immer mehr kontrolle, immer mehr regulierung, gleichzeitig immer weniger strukturänderungen innerhalb der netzarchitektur, die auf offenheit, etc. abzielen.

    @Maja N.: danke für diesen Link!

    @ascii: das ist allerdings noch nicht der beginn der facebook revolution, es zeigt nur, dass einzelne etwas können und wollen, aber es geht ja darum, dass menschen sich zusammen tun, um etwas gemeinsam in die wege zu leiten, dass die grundbedingungen ihrer existenz verändert.

    @zk: grundsatzdebatte: muss selbst coden können oder reicht es nur die maschine und ihren code zu verstehen? was ist grundlegende für einen mündigen bürger: die möglichkeit in einen quellcode selbst eingreifen zu können oder das bewusstsein darüber, wie er gestrickt ist und welche mechanismen er torpediert?

    in dem faz artikel von mercedes bunz finde ich folgende aussage interessant:

    “In der Technik zeigt sich etwas, mit neuer Technik gerät das Bestehende in Unruhe, und in dieser Unruhe werden die Bedingungen sichtbar, unter denen wir leben.”

    ich denke, die unruhe von der ich spreche in meinem text, ist nicht die unruhe von frank schirrmacher angesichts einer übermacht der technik, sondern die unruhe angesichts einer der technik zugrunde liegenden machtkonstellation, die zu immer mehr passivität und pseudo-aktivismus verleitet.

    in diesem sinne lese ich den letzten satz des faz-texts (“Warum sollte man nur Menschen fordern und fördern und nicht auch Maschinen?”) nicht zuletzt wie eine aufforderung dazu, maschinen (technologie, software, etc.) so zu fördern, dass sie uns mehr zugang zu dem dahinter, zu ihrer architektur, zu ihrem quellcode erlauben.

  17. Gerade habe ich diese interessante Zusammenfassung vom SZ-Feuilletonisten Andrian Kreye gelesen:

    Hoffen auf das Web 3.0

    ( http://blogs.sueddeutsche.de/feuilletonist/2011/01/31/hoffen-auf-das-web-3-0/ )

    Auszug: “Nun ist die Sehnsucht nach einer digitalen Revolution nachvollziehbar. In der Technologie und der Kommunikation hat das Internet ja durchaus ganz reale Revolutionen ausgelöst. Es hat den Einzelhandel, die Medienlandschaft und die Kulturwirtschaft durcheinandergebracht, die Urheberrechte unterspült und die Definition des Individuums aufgeweicht. Diese Veränderungen aber folgten aus neuen Kommunikationsstrukturen und Wirtschaftsabläufen.”

  18. Phileleftheros – Zypern | Donnerstag, 17. Februar 2011
    Internet ist Werkzeug für Freiheitskampf

    Mobiltelefone oder soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter haben bislang bei den politischen Umbrüchen in der arabischen Welt eine wichtige Rolle gespielt. Das Internet ist zwar kein Wundermittel, aber ein gutes Werkzeug für Demokratisierungsprozesse, meint die linksliberale Tageszeitung Phileleftheros: “Während wir im Westen Facebook, Twitter und SMS benutzen um zu kommunizieren, spielt das Internet in Tunesien und Ägypten eine andere Rolle. … Die meisten Regime in der arabischen Welt haben die Macht des Internets erkannt und versuchen sie mit allen Mitteln einzuschränken. … Natürlich sollten wir uns nicht die Illusion hingeben, dass das Internet die perfekte Waffe zum Kampf für Demokratie ist. Es ist aber ein probates Mittel, da es eine einfache Kommunikation zwischen Millionen Menschen ermöglicht. Vor allem, wenn wir heimlich über autoritäre Regime reden, ohne das die Staatsorgane davon erfahren sollen. Genau das ist die große Macht des Internets.”

    ( http://www.eurotopics.net/de/archiv/article/ARTICLE83295-Internet-ist-Werkzeug-fuer-Freiheitskampf )

    “Von Al Jazeera gibt es eine interessante Sendung über die Rolle des Internets für die tunesische und die ägyptische Revolution. Zu Beginn gibt es eine gut sortierte Timeline der Ereignisse und dann eine Diskussionsrunde mit Journalist Carl Bernstein, Amy Goodman von Democracy Now!, dem Skeptiker Evgeny Morozov, New Media Professor Clay Shirky und Journalismus-Professorin Emily Bell.”

    ( http://www.netzpolitik.org/2011/al-jazeera-social-networks-social-revolution/ )

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.