Europaeische Meridiane

Nach meinem Studium der Malerei erschien mir diese bald nicht mehr als zeitgemaess. So schloss ich mich der WochenKlausur an, einer internationalen Kuenstlergruppe, mit Basislager in Wien, die seit 1995 auf Einladung renommierter Kunst- und Kulturinstitutionen sozialpolitische Interventionen durchfuehrt. Mitte der 1990er Jahre begann ich zusaetzlich als Journalistin fuer den oesterreichischen Hoerfunk zu arbeiten. Zur Zeit arbeite ich vorwiegend als Redakteurin fuer die Neue Musik Redaktion in OE1, dem Kultursender des ORF.

OE1 lieferte auch die Initialzuendung fuer das Projekt Europaeische Meridiane, das ich gemeinsam mit meinem Kollegen Christian Scheib realisiert habe. Was als eine Serie von Radioreportagen ueber die neuen und experimentellen Musikszenen der zukuenftigen EU-Beitrittskandidaten im Rahmen der OE1 Serie >nebenan Erkundungen in Oesterreichs Nachbarschaft< begann, wuchs im Laufe der letzten drei Jahre zu einem vielschichtigen Projekt heran. Mittlerweile umfasst >Europaeische Meridiane< mehrere Konzertserien, CDs und zwei Publikationen. Mein Interesse an dem Transformationsprozess der ehemaligen kommunistischen Staaten Europas war bereits vor dem Beginn der Beschaeftigung mit den neuen und experimentellen Musikszenen Europas vorhanden. Die Musik ist, glaube ich, ein spannender Bereich, um sich auch mit Fragen der gesellschaftlichen Veraenderung zu beschaeftigen. Ganz abgesehen davon, dass die Beschaeftigung mit Musik an sich eine schoene, auch kontemplative Taetigkeit ist. Die Herangehensweise an den Rechercheprozess fuer die Publikation >Europaeische Meridiane< war im Prinzip die gleiche, die wir auch schon mit unserem ersten Buch Im Osten verfolgt haben. Ziel war es, mit einer Serie von Momentaufnahmen einen Einblick in das zeitgenoessische Musikgeschehen der beschriebenen Laender zu geben, unter Beruecksichtigung der sozialpolitischen Veraenderungen, die derzeit in eben diesen Laendern aufgrund des Transformationsprozesses vom Kommunismus zum Kapitalismus stattfinden und sich etwa in Form der Herausbildung neuer Netzwerke und Institutionen niederschlagen. Wir wollten aber nicht nur zu einem vertiefenderen Austausch anregen, sondern auch ein konkretes Werkzeug zur Verfuegung stellen. Die Linksammlungen am Ende jeder Reportage sollen dabei helfen, Kontakt aufzunehmen und sich auszutauschen. Natuerlich sind die MusikerInnen im vermeintlichen Osteuropa noch immer unzureichend in die Musikproduktions- und praesentationsmaschinerie eingebunden, die sich eben vorwiegend auf den Raum der Europaeischen Union und der Vereinigten Staaten konzentriert. Zum Glueck fuehrt aber auch die nahende EU-Erweiterung die Trennung zwischen Ost- und West immer mehr ad absurdum, was sich nicht zuletzt auch darin niederschlaegt, dass KonzertveranstalterInnnen und MusikjournalistInnen [uns natuerlich eingeschlossen] versuchen, diese Grenzen so schnell wie moeglich zu dekonstruieren. Das ist ein Prozess, der Zeit brauchen wird, aber es scheint sich doch schoen langsam eine gewisse Normalitaet abzuzeichnen: Musiker aus Deutschland oder Italien etwa veroeffentlichen auf dem Label mik.musik in Polen, der Club Transmediale in Berlin integriert in sein Programm ganz selbstverstaendlich auch zahlreiche MusikerInnen aus dem vermeintlichen Osten. Wichtig wird es in Zukunft vor allem sein, denke ich, auch jene MusikerInnen in die soeben neu entstehenden Netzwerke einzubinden, deren Heimatlaender derzeit noch keine Chance auf einen Beitritt zur Europaeischen Union bekommen haben, aber auch hier kann man im Konzertleben positive Signale ausmachen. Im Moment halte ich vor allem den Austausch und die Diskussion zwischen Kulturschaffenden fuer wichtig. Ich bin mir sicher, dass wir viel von unseren KollegInnen lernen koennen, deren Laender sich noch bis vor kurzem unter kommunistischer Herrschaft befanden. Ich moechte an dieser Stelle den litauischen Komponisten Sarunas Nakas zitieren, der im Zuge eines Interviews anlaesslich unserer Reportage ueber die Musikszene in Litauen meinte: >Ich glaube, dass wir eine einzigartige Moeglichkeit hatten, in mehreren Systemen zu leben. Und das dauert immer noch an. Das ist eine sehr reiche Erfahrung, und wir haben dabei auch die Vernichtung tausender Illusionen miterlebt. Auch jetzt entstehen neue Illusionen und Utopien, und die Menschen werden dabei zu einer Art polyglotter Wesen: Menschen, deren Schluessel verschiedene Systeme knackt, die verschiedene Sprachen sprechen.< Derartige Erfahrungen sollten nicht ungenutzt bleiben. Solange Osteuropa als Definition benutzt wird, weil eben offenbar ein breiter Konsens ueber diesen Begriff herrscht, gibt es Osteuropa wohl auch. Natuerlich ist der Begriff Osteuropa sehr unscharf und kann mit Leichtigkeit dekonstruiert werden, sollte man doch zumindest zwischen Osteuropa, Suedosteuropa und Mitteleuropa unterscheiden. Ich denke, es ist auf alle Faelle eine Hinterfragung des Begriffes Osteuropa notwendig, denn wenn die Grenze zwischen West- und Osteuropa entlang der EU-Aussengrenze verlaeuft, wie bislang vermutlich von vielen ohne weitere Reflexion angenommen, dann hat sich Westeuropa mit dem 1. Mai vergroessert. Slowenien gehoert dieser Sichtweise nach nun wohl zu Westeuropa, waehrend Kroatien [zumindest vorlaeufig] Osteuropa bleibt. Ich glaube, alleine dieses Beispiel zeigt bereits, wie unhaltbar die Definition Osteuropa letztendlich ist. Genauso falsch waere es, aesthetische Stroemungen national verankern zu wollen. Natuerlich sind wir bei unseren Recherchen auf stilistische Eigenheiten gestossen, diese waren aber immer mehr an lokale Geschichten und Traditionen gebunden, als an Nationalitaeten oder die Tatsache, dass die Laender, die wir besucht haben, noch bis vor kurzem dem kommunistischen Herrschaftssystem angehoerten.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.