Die Universitaet

“Die Universitaet ist die einzige kulturelle Institution, die hervorgebracht zu haben Europa welt-kulturgeschichtlich stolz sein kann”, findet Historiker Ekkehart Krippendorff und begibt sich auf eine Reise durch die Geschichte der Universitaet.

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Gerade weil die – deutsche – Universitaet gegenwaertig von ihrer materielen Basis her in Frage gestellt wird, muessen wir von ihrer Idee sprechen. >Alle reden von Kuerzungen – wir nicht< - muesste die trotzige und zugleich selbstbewusste Haltung derer sein, die sich heute noch, oder heute erst recht fuer die Universitaet als Lebensform, als Arbeitsplatz und als geseschaftliches Projekt einsetzen. Fast moechte es scheinen, als handle es sich hier um eine List der Vernunft im Gewande der Unvernunft, dass die ruecksichtslosen, blindwuetigen Kuerzungen der Universitaetshaushalte durch eine bornierte, intellektuellenfeindliche politische Klasse und ihre buerokratischen Helfershelfer uns zur Verteidigung und Rechtfertigung dieser Institution noetigen. Verteidigung und Rechtfertigung aber, das heisst zunaechst einmal und vor allem: Besinnung - Besinnung darueber, was wir da eigentlich verteidigen und rechtfertigen. Grosse gesellschaftliche und politische Krisen waren zumindest in Deutschland immer zugleich auch Universitaetskrisen, was die besondere Abhaengigkeit und Sensibilitaet dieser Institution von ihrer Umgebung unterstreicht. Nicht immer musste die Universitaet >verteidigt< oder >gerechtfertigt< werden - oft war sie auch, und das waere der Idealfall [ja eigentlich schon vorweggenommen >die Idee der Universitaet<], der Ort, an dem Gesellschaft und Politik sich verteidigen mussten. Aus der europaeischen Geschichte sind die Universitaeten nicht wegzudenken - ja, man wird gute und beste Gruende fuer die Behauptung beibringen koennen: Die Universitaet ist die einzige kulturelle Institution, die hervorgebracht zu haben Europa welt-kulturgeschichtlich stolz sein kann. >mit Feuer und Schwert< den unterworfenen Kulturen aufgezwungen

Alle anderen Institutionen wurden im Zuge der europaeischen Welteroberung seit dem 16. Jahrhundert >mit Feuer und Schwert< den unterworfenen Kulturen aufgezwungen - Kirche und Militaer, Staat und Eigentumsordnungen, Rechtssysteme und Verwaltungswesen - die Universitaet allein hatte Vorbildcharakter und wurde sozusagen freiwillig uebernommen. Aber davon abgesehen: >Die Idee der Universitaet< steht am Anfang der fruehneuzeitlichen Wiederentdeckung der politischen Freiheit, die aus dem Konflikt zwischen deutschem Kaiser, norditalienischen Kommunen und dem Herrschaftsanspruch des Papstes in Rom hervorging. Es war die Idee der Autonomie, wie sie die Herzogin Matilde [dieselbe, vor deren Burg Canossa 1077 der deutsche Kaiser Heinrich IV. sich dem Papst unterwerfen musste] ihren Bologneser Rechtsgelehrten 1088 gewaehrte zur zeitgemaessen Auslegung des Roemischen Rechtes; siebzig Jahre spaeter hat Kaiser Barbarossa dieses Autonomie-Privileg dann noch einmal so unzweideutig bestaetigt, dass es nun zum Vorbild auch fuer alle spaeteren Gruendungen solcher Staetten autonomen, d.h. nicht fremdbestimmten, nicht zweckgebundenen Denkens wurde. Dabei bezog sich das kaiserliche Privileg insbesondere auf die studentische Autonomie, auf deren den Zuenften aehnlichen Rechte der Selbstorganisation. Beide Autonomien entstanden und wurden anerkannt als zusammengehoerig. Natuerlich waren die Gelehrten der fruehen Neuzeit nicht >frei< im modernen Sinne buergerlicher Gesellschaft - sie bewegten sich selbstverstaendlich im Rahmen und auf dem Boden der katholischen Theologie - aber das war ebenso vereinbar mit der Autonomie der Universitaet, wie die grundgesetzlich geschuetzte Lehrfreiheit bekanntlich an die Treue zur >freiheitlich demokratischen Grundordnung< gebunden ist. Und noch eine historische Erinnerung: zwar teilweise hervorgegangen aus dem Studium des Rechts, hatte zumindest die Medizin und bald auch das Studium griechischer [ueber die Araber vermittelter] Texte eine gleichberechtigte Rolle, weshalb die fruehen grossen Schulen durchweg studia generalia hiessen und das auch betrieben, mit einem [heute von keinem Erasmus-Programm erreichten] freien Zirkulieren der Gelehrten von einer universitas magistrorum et scholarum - denn so hiessen die >Universitaeten< zunaechst - zur anderen. Die autonome Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden

Der aus dem mittelalterlichen Latein stammende Begriff universitas bezeichnete zunaechst nichts anderes als eine beliebige Gemeinschaft oder organisierte Interessengruppe; erst in Verbindung mit den Lehrern und Lernenden erhielt sie ihre heutige Bedeutung, auch wenn schliesslich nur die >Universitaet< als Name uebrigblieb. Die Idee der Universitaet - die autonome Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, verbunden zu zweckfreiem Dienst an der Gesellschaft, damit diese sich ueber die Zwecke oeffentlichen Handelns immer wieder Rechenschaft ablegen kann und muss - speist sich nicht nur aus ihrer eigenen Geschichte. Sie hat auch ihre Relevanz fuer soziologische und lebensperspektivische Veraenderungen, die die moderne >postindustrielle< Gesellschaft nur allzu deutlich unterscheiden von ihren frueheren Erscheinungsformen. Es ist bezeichnend, dass ein betraechtliches Mass an Universitaets- oder richtiger >Studentenkritik< dahin geht, die angeblich grosse Zahl von Studierenden zu beklagen, die nur deswegen immatrikuliert seien, weil sie sich vor der drohenden Arbeitslosigkeit fuerchten, also diese nur hinausschieben moechten. Darf, ja muss man diese Beobachtung [die teilweise durchaus berechtigt ist] nicht umkehren und sagen: gluecklich die >postindustrielle< Gesellschaft, deren Nachwuchs die Chance gegeben wird, sich ohne den Druck schneller Reproduktion, also zielstrebiger Berufsausbildung, an der Universitaet zweckfrei zu bilden, der Neugier des Wissenwollens um seiner selbst willen nachzugehen, zu studieren aus Freude an der Sache und nicht um eines aufstiegsrelevanten Titels willen? Das gilt auch in aehnlichem Masse dann fuer aeltere Generationen, die entweder das Berufsleben hinter sich haben, aber gleichwohl noch immer und fuer ein bis zwei und mehr Jahrzehnte noch aktive Buerger ihrer Staedte und Gemeinden sind, oder aber ihr Berufsleben unterbrechend sich den Luxus von einigen Universitaetssemestern goennen koennen. Die Idee der Universitaet ist so gross und fruchtbar, dass sie auch und gerade auf neue soziologische Herausforderungen reagieren kann, wenn man sie laesst... Nein, nicht >wenn man sie laesst<, sondern wenn die Universitaet einen Begriff von sich selbst wiedererlangt, sie sich ueber sich selbst zu verstaendigen beginnt, einen Prozess der selbstkritischen Reflexion ueber ihren historischen, politischen, soziologischen und wissenschaftlichen Standort einleitet, erst dann wird sie mit Selbstbewusstsein als Fordernde, nicht als Bittstellernde in der Oeffentlichkeit auftreten koennen. Das Potential der Universitaet

Der mangelnde gesellschaftliche Rueckhalt, der ihre Position im gegenwaertigen Kampf um die Ausgaben der oeffentlichen Hand kennzeichnet, geht auch auf ihr eigenes, selbstgemachtes Konto. In den >fetten Jahren< haben sich ihre Angehoerigen nicht oder doch viel zu wenig um ihre eigene Institution gekuemmert; das letzte Mal, dass das in Deutschland - und nicht nur hier - der Fall war, war in den Jahren um 1968. Damals haben die beamteten Professoren alles getan, diesen kreativen Impuls, der von engagierten Studierenden ausging, zu blockieren und mit Hilfe der staatlichen Institutionen dann umzufunktionieren in eine entmuendigte Reform; den Rest besorgte der Bildungswohlstand der 1970er und 1980er Jahre. Trotzdem ist es nicht - ist es nie - zu spaet, aus den Fehlern der Vergangenheit so gut wie aus ihren Versprechungen zu lernen und Kraft zu schoepfen. Das Potential der Universitaet ist besser als ihr Ruf, ihre Idee ist so gross und aufregend, wie sie es ueber die Jahrhunderte immer gewesen ist. Es kommt nur darauf an, sich ihrer wieder zu besinnen und sie zur Diskussion zu stellen. Anm.d.Red: Das Foto zeigt die Humboldt-Universität, vom August-Bebel-Platz aus gesehen, aufgenommen Berlin 1950. Aufn.: Illus Funck 2 5202-50 27.1.50. Quelle: Deutsches Bundesarchiv.

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