Die Stunde des Auto-Examens

Es war Zufall, dass ich nach Deutschland kam. Ich wollte einen Erasmus-Austausch ueber meine Kunstakademie in Helsinki machen und eine neue Sprache erlernen. Zu den nicht englischsprachigen Austauschmoeglichkeiten zaehlten Paris und Frankfurt. Mit 21 Jahren habe ich noch ganz anders gearbeitet – ich malte damals und hatte eine ganz eigenwillige Vorstellung von der Kunst in Deutschland und Frankreich. Aus irgendeinem Grunde dachte ich damals, dass man in Frankreich sehr konzeptuell mit der Arbeit umgehe und Deutschland daher besser fuer mich sei, weil die Kunst hier mehr >Gefuehl< habe.

Ich hatte keine Beziehung zur deutschen Sprache bevor ich nach Deutschland gezogen bin, und bis heute weiss ich nicht, ob ich die Sprache wirklich gelernt habe. In der Staedelschule gab es viele Leute, die Englisch sprachen, und manchmal waren auch die Vortraege auf English. Mit vielen Leuten, mit denen mich eine engere Freundschaft verbindet, unterhielt ich mich auf Englisch. Trotzdem gab ich mir Muehe, die Sprache zu lernen, auch wenn ich die Grammatik nicht gut kenne – ich habe alles durch den Alltag gelernt und kann damit irgendwie zurecht kommen.

Meine Muttersprache ist Finnisch, aber in meinem Alltag benutze ich die Sprache kaum. Vielleicht rede ich ein paar Minuten am Telefon mit meiner Familie oder einer Freundin aus Finnland, vielleicht schreibe ich mal eine E-Mail oder treffe mich mit den wenigen finnischen Leuten, die ich in Berlin kenne. Finnland hat zwei offizielle Sprachen, Finnisch und Schwedisch, und fuer manche finnische Freunde von mir in Berlin ist Schwedisch die Muttersprache. Wieder andere haben hier sehr lange gelebt – jedenfalls ist das Finnisch, das wir sprechen, ziemlich gebrochen. Ich benutze im Laufe des Tages hauptsaechlich Englisch – bei meiner kuenstlerischen Praxis arbeite ich ziemlich international, und Englisch ist fast immer die gemeinsame Sprache. Als Kind lebte ich vier Jahre lang in Nairobi und als Teenager fuenf Jahre in London. Deshalb habe ich meine Ausbildung hauptsaechlich auf English gemacht.

Es faellt mir am leichtesten auf Englisch zu schreiben. Vor ein paar Jahren habe ich die Sprachen sehr viel mehr gemischt; inzwischen versuche ich, die Sprachen ganz klar voneinander zu trennen. Vielleicht, weil mir klar geworden ist, dass ich keine Sprache wirklich kann: Mein Englisch ist sehr gut, aber ich bin keine Muttersprachlerin; mein Finnisch nutze ich nicht viel; und mein Deutsch ist okay, aber nicht mehr als okay. Aber wenn mir ein deutsches Wort nicht einfaellt, muss ich ein englisches Wort einbringen. Ein anderes Mal benutzt man ein deutsches Wort in Englisch fuer etwas, das alle nur auf Deutsch kennen, z.B. Aufenthaltserlaubnis, Denkmalschutz oder Wohngemeinschaft.

Manchmal wundere ich mich, warum ich so unsicher ueber meine Deutschkenntnisse bin. Neulich war ich fuer einen Vortrag in der Schweiz und entschied mich, ihn auf Englisch zu halten. Der Dolmetscher war nicht so gut, so dass ich ihn dauernd korrigieren musste. Schliesslich habe ich erst etwas auf Englisch gesagt und mich dann selber ins Deutsche uebersetzt, was total absurd war. Vielleicht hat diese Unsicherheit damit zu tun, dass man oefter kaempfen muss mit sich selbst, um Deutsch zu reden. Es ist mir oft passiert, dass ich mich mit jemandem auf Deutsch unterhalten habe und die Person ins Englische gewechselt ist. In solchen Faellen rede ich einfach weiter auf Deutsch und hoffe, dass die Person versteht, dass ich mich eigentlich auf Deutsch unterhalten will. Diesen Sommer bei der Fussball-WM war mein Bruder zu Besuch. Wenn wir irgendwo waren, waren die Kellner total freundlich zu meinem Bruder, der Englisch gesprochen hat, aber sauer – wie immer – gegenueber meinem akzentuierten Deutsch.

Bei meiner kuenstlerischen Arbeit spielt Sprache eine wichtige Rolle – ich bin interessiert an >Oral History< und nutze oft die Chance eines Interviews. Die Wahl der Sprache haengt sehr von dem Projekt ab. Zum Beispiel habe ich letztes Jahr ein Video auf Japanisch gedreht, auch wenn ich kaum Japanisch kann. Ich fand es sehr interessant, weil es gegenseitiges Vertrauen zwischen den SchauspielerInnen und mir bedeutete, und es gab viele Sachen, die ich nicht kontrollieren konnte. Ich habe oft Migrationsthemen in meiner Arbeit angesprochen, was sicher mit meiner eigenen Migrationserfahrung zu tun hat. Gleichzeitig ist es sehr wichtig fuer mich, Migranten nicht als eine separate Gruppe der Gesellschaft zu definieren. In Malmoe, Schweden, habe ich mit Studenten der >International Migration und Ethnic Relations< [IMER] Abteilung der Malmoe-Universitaet zusammengearbeitet. Das Video >712 Interviews?< reflektiert, wie >schwedische< und >Migranten<-Studenten Migrationsthemen ihrer eigene Umgebung beobachten und wie sie den Einfluss der IMER-Abteilung auf die Migrationspolitik in Schweden sehen.

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