Die grosse Pyramide

In einer Demokratie kann jeder seine eigene Vorstellung des Heldenhaften entwickeln und die staatliche kann sich mit jeder Neuwahl aendern. Statt eines festen, dauernden Abbilds entscheidet man sich darum, abgesehen von den abstrakten Farben der Nationalflagge, fuer lebende und widerrufbare Monumente: einen Praesidenten oder zumeist sportliche Idole. Wer sich fuer die Allgemeinheit besonders verdient gemacht hat, wird mit einem Strassennamen geehrt, vielleicht kommt er auch klein aufs Geld. Grosse staatliche Monumente aber baut man bald nur noch fuer diejenigen, die ueber jeden Zweifel erhaben sind: die Opfer. Ehrenmaeler werden von Katastrophenmaelern verdraengt oder verschwinden ersatzlos.

Denn um ueberhaupt noch Geltung zu erlangen, muss ein Monument immer groesser und damit auch pompoeser und teurer werden, da auch die menschlichen Behausungen, die Schutz bieten vor Unwetter und Feinden, immer groesser werden. Dank Stahlbeton und Klimatechnik koennen Zigtausende unter einem Dach wohnen, arbeiten, kaufen, zuschauen, gesunden, feiern. In einer ersten Euphorie versteht man diese Hausmaschinen selbst als Monumente des technischen Fortschritts, also ganz unmetaphorisch ihrer eigenen Moeglichkeit.

Ein noch so schweres Gebaeude soll so leicht daherkommen, als sei es eigentlich nicht zu fassen. Es ist, als muesste man Hosen fuer unfoermige Greise schneidern: einen wabbeligen Haufen Fleisch, Fett und Haut auf moeglichst peppige Weise verstauen. So als koennte der Alte gleich hinter seinem Gehwagen vorpreschen und die Stadt unsicher machen. Dabei moechte jeder Alte auch noch auf leicht individuelle Weise gekleidet sein. Eine neue Naehtechnik, ein neues Material, ein neues Gimmick werden sofort tausendfach ermuedend modifiziert.

Waehrend Haeuser noch immer nicht laufen koennen, kommt endlich die Zeit, in der sie sich dank intelligenter Fassaden immerhin umziehen lassen. Billige Haeuser zeigen vornehmlich Werbung, andere verfolgen unverwechselbare Konzepte. Da Klang als zu beeintraechtigend gilt und sich jeder bereits mit eigenem Soundtrack durch die Stadt bewegen kann, ereignet sich hier die Wiederkehr des Stummfilms als Farbreigen.

Doch immer noch machen Menschen die Erfahrung des Unabaenderlichen, am Drastischsten im Tod. Die Zahl der Toten uebersteigt die der Lebenden um ein Vielfaches, und irgendwann wird es ueberhaupt keine Menschen mehr geben. Darum ist keinem Gedenken ein dauerhaftes Monument so angemessen wie dem an den Tod. Ein Monument dem Tod an sich, nicht bloss den Opfern von Ungluecksfaellen, Kriegen und Verbrechen, denn in diesen Faellen begreift man den Tod nur als ein historisches, sich hoffentlich nicht wiederholendes Ereignis, und auch das Monument soll es in Zukunft vermeiden helfen. Es darf nicht selektiert werden; die Ueberreste aller Menschen der Welt – auch Massenmoerder oder Triebtaeter -, die beziehungsweise deren Angehoerigen das wuenschen, muessen ein fuer alle Mal Aufnahme finden.

Der Akt der Beisetzung im Monument laesst sich wie der Tod nicht rueckgaengig machen. Hier wird nichts in Grund und Baeumen renaturalisiert. Ist das Monument ein Hohlkoerper, in den die Ueberreste eingelassen werden, dann ist dieser irgendwann voll, und es muss entweder angebaut oder ein weiteres Monument errichtet werden. Anders, wenn es wie bei der Grossen Pyramide mit jeder Beisetzung um einen weiteren Stein waechst.

Die Pyramide ist ein sehr stabiler Baukoerper, aber ihre Oberflaeche kann sich staendig wandeln. Nicht durch ein virtuelles Display, sondern Schicht um Schicht durch das Setzen tonnenschwerer, individuell gestalteter Betonquader, in die echte Totenasche oder andere Erinnerungen eingeschlossen sind. So kann sie ueber Jahrzehnte zum Volumen nach groessten Bauwerk der Welt werden. In der Grossen Pyramide haben alle einen gleich grossen Stein, und niemand ist dauerhaft oben oder aussen. Waehrend die gerechte Weltgesellschaft weiter auf sich warten laesst, wird hier der alte Gemeinplatz >Im Tod sind alle gleich< zum trotzigen Bekenntnis.

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