Deutsche und Fremde

Nilufer Goele, die beruehmte tuerkische Soziologin mit Sitz in Paris, hat lange, wallende Haare von einem gefaehrlich-strahlendem Rot. Als sie am Sonntag auf dem Podium der Berliner Konferenz sitzt, wird ihre Haarpracht von einem Paar Kopfhoerer zurueckgehalten. Denn Nilufer Goele spricht zwar Tuerkisch, Arabisch, Franzoesisch und Englisch, aber kein Deutsch. Sie braucht eine Simultanuebersetzung. Fuer diesen Umstand entschuldigt sie sich bei Ihrem Publikum als allererstes: >Ich muss mich wirklich dafuer entschuldigen, dass ich Sie hier, auf dieser europaeischen Konferenz nicht auf Deutsch ansprechen kann.< Wie die meisten Menschen, die sich mit philosophischen Themen beschaeftigen, verstehe sie zwar ein bisschen Deutsch, aber ueber die Lippen kaeme es ihr nicht. In ihrem Vortrag ueber den Islam in Europa weitet Sie die Thematik des Nicht-Deutsch-Koennens noch aus. Anekdotisch erzaehlt sie, was ihr vor einigen Jahren in Berlin passiert ist: Damals sprach sie ein tuerkischer Verkaeufer auf dem Markt an. Die beiden kamen ins Gespraech ueber dies und das, Gott und die Welt. Sie sprachen Tuerkisch miteinander. Als der Mann die Unterhaltung auf Deutsch fortsetzen wollte, war er empoert ueber die Unfaehigkeit seines Gegenuebers mit ihm weiter zu kommunizieren. >Dann bist Du also eine Fremde< meinte er zu ihr. Eine Tuerkin in Deutschland, die kein Deutsch kann? Das erschien dem Verkaeufer paradox. Doch wie haette dieser Mann reagiert, wenn er sie in Istanbul auf dem Markt getroffen haette, oder in Paris? Waere dann er der >Fremde<, weil er kein Franzoesisch spricht? Warum verwendet er ueberhaupt dieses krass ausgrenzende Wort >Fremde<? Vielleicht weil er aehnliche Situationen mit Deutschen schon erlebt hat? Situationen, in denen er, der Tuerke, der >Fremde< war, obwohl er Deutsch konnte? Am Ende des Vortrags beschaeftigen mich diese Fragen mehr, als das, was Goele sonst noch zu sagen hatte.

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