Der kommunikationale Imperativ

Relevant ueber eine regressive Identitaetsarbeit hinaus wird die Rueckschau auf die eigene Jugend wohl nur, wenn diese nicht zur Ursuppe der Eigentlichkeit verklaert, sondern als eine Etappe von Kaempfen und Widerspruechen begriffen wird. Diese Phase ist eher von Mangel denn von idyllischer Fuelle gepraegt. In meinem Falle gehoerte dazu auch, dass ich mich alleine, historisch zu spaet dran und am falschen Ort waehnte. Ich hoerte, damals in Stuttgart 1982, gerne >Das war vor Jahren< von den Fehlfarben und imaginierte mich ins Duesseldorf des Jahres 1978.

Da wollte ich gewesen sein. Vier Jahre und 400 Kilometer, so schmal kann der Abgrund sein, ueber den das Begehren springen will. Es ging um ein Anderswerden, die Identifikation mit abwesenden Fremden. Ein Projektionsort fuer dieses hingerissene Begehren war wichtiger als Gefaehrten, mit denen ich meine Faszinationen und Idiosynkrasien haette teilen koennen.

In ganz anderer Hinsicht scheint heute >Pubertaet< zu methodischer Prominenz zu gelangen, wenn es um die Frage des >Gemeinsamen< geht. Wenn in linken Diskursen ein neoliberaler Kommunikations- und Kooperationsimperativ diagnostiziert und kritisiert wird, dann scheint in dessen Zurueckweisung eine klassisch pubertaere Haltung am Werk zu sein: die Gespraechsverweigerung beziehungsweise der Gespraechsabbruch. Was frueher gegen die linksliberalen, immerzu reden wollenden Eltern gerichtet war, wendet sich heute, ausgestattet mit theoretischem und aesthetischem Ueberbau, gegen die kapitalistische Kommunikationsgesellschaft als Ganzes. Schon die Angabe von guten Gruenden gilt da manchen wieder als Kollaboration. Taktiken des Entzugs wie >Alles absagen< [Tocotronic] stellen das sogenannte >Gemeinsame< unter den Verdacht, nicht mehr als das Resultat von Redezwaengen und den Zumutungen sogenannter >Debattenkulturen< zu sein.

In meiner publizistischen Arbeit – vor allem dann, wenn es um Popmusik geht – fuehle ich mich solchen absentistischen Gesten durchaus nahe, im Geschaeft als wissenschaftlicher Referent in der Bundestagsfraktion von Buendnis 90/Die Gruenen wuerde mich diese Affinitaet in gehoerige Noete bringen. Ohne etwas schoenzureden: Mit kognitiver Dissonanz muss gelebt werden, denn hier wird man nicht in Ruhe gelassen, es muss mit politischen Gegnern und Freunden geredet und gemailt, diskutiert und kommuniziert werden. Im realpolitischen Feld sollte ja zumindest noch an die regulative Idee geglaubt werden, dass das Gemeinsame – der Konsens – durch den Austausch inhaltlicher Argumente entsteht, dass der Kommunikationsimperativ also normativ im Recht ist [was nicht heisst, sich all seinen empirischen Anrufungen zu fuegen]. Wuerde diese Idee aufgegeben, dann landete man bestenfalls im Zynismus, schlimmstenfalls in diktatorischen oder neofeudalistischen Verhaeltnissen.

Bekanntermassen wird die Art und Weise, in der im Feld der Mainstream-Politik das Gemeinsame erzeugt wird, mit diversen Steuerzahler-Ressentiments [>die da oben<] konfrontiert, die spiessigsten davon koennen hier jetzt vernachlaessigt werden. Aber auch in akademischen und theoriepolitischen Debatten deuten Konzepte wie >Ereignis<, >Multitude< oder >radikale Demokratie< einen Argwohn gegenueber institutioneller und repraesentativer Politik an. Wenn dann noch gute Freunde abstrakt die angebliche Alternativlosigkeit der Verhaeltnisse beklagen, sehe ich mich gedraengt, auf die alternativen Entwuerfe hinzuweisen, die schon in der real existierenden Demokratie schlummern. Moegen diese auch noch so unscheinbar und defizitaer sein, vollkommen abwesend sind sie nicht. Ideologische Unterschiede koennen auch feine Unterschiede sein. Wenn Leute linksradikal >das ganz Andere< wuenschen, frage ich gerne kleinkariert konsequentialistisch nach: >Was folgt daraus, wenn wir das Eigentum abschaffen?< Oder: >Was heisst Revolution ganz praktisch fuer dich?< Es sind die gleichen Fragen, die man frueher von den Eltern abbekam. Trotzdem muessen sie gestellt werden.

Radikale Politikkritiker in meinem Umfeld sagen mir: Politik solle offen sein, fliessen, das Ereignis, die Irritation, die Unterbrechung, das Ungezaehlte zulassen et cetera. Oft kommt es mir so vor, als werde dabei Politik nach aesthetischen Kriterien bewertet, als werde eine Kuenstlerkritik eins zu eins auf sie angewandt. Doch auch die haesslichste, unglamouroeseste politische Institution – meinetwegen den baden-wuerttembergischen Landtag – halte ich fuer wichtig. Die Absage an Vermittlung und Verfahren, wie sie einige der genannten Konzepte durchdringt, dagegen fuer gefaehrlich. Deleuzianisches Stroemen und foucaultianisches Wuchern sind nicht per se gut, und da, wo unten ist, nicht immer richtig. Von unten koennen, wenn es bloed laeuft, auch al-Qaida oder NPD kommen.

Um sowohl die autoritaere Verordnung von oben und die spontane Emergenz von unten zu verhindern, braucht man oeffentliche Institutionen und politische Foren, in denen ueber Normen, ueber Ungleichheit, Verteilungsfragen et cetera komplex, kleinteilig und langwierig [auch langweilig] diskutiert werden kann. Klar, die Orte, die es dafuer gibt, sind verbesserungswuerdig. Sie koennten offener, zugaenglicher, unvorhersehbarer sein, so dass die Individuen darin nicht immer in derselben Weise platziert und regiert werden. Oft hoere ich den Vorwurf, Politik verwalte lediglich Sachzwaenge, realpolitische Daten [Steueraufkommen, Staatsschulden und dergleichen] seien nichts als ideologische Tarnmanoever. Aber: Nicht jeder >Sachzwang< ist manipulativ, es gibt nun mal ganz reale materielle Beschraenkungen politischen Handelns [etwa durch begrenzte Ressourcen], wer anderes behauptet, erwartet Uebermenschliches und spricht einer allmaechtigen, tendenziell rigoristischen Politik das Wort.

Will man aber vor lauter Realismus nicht zum zynischen Untertan werden, ist gleichwohl dafuer zu plaedieren, dass die Fakten, Tatsachen und Sachzwaenge nicht fuer sich alleine sprechen duerfen, sondern immer auch als eingebettet in einen von Machtverhaeltnissen und weltanschaulichen Narrativen gepraegten Kontext gelesen werden. Denn erst darin werden sie zu so etwas wie >Fakten<. Die kritische Adressierung sogenannter Tatsachen und sogenannter vernuenftiger Entscheidungen muss jederzeit stattfinden koennen. Anders koennte das Bestehende schliesslich nicht verlassen werden und wuerde zur Quasi-Natur.

Wie das ohne Ideologie und die so gerne denunzierten >grossen Erzaehlungen< gehen soll, ist mir allerdings nicht klar. Der Kampf fuer internationale Gerechtigkeit zum Beispiel bliebe ohne die monumentalen Megaerzaehlungen >Menschheit< und >Solidaritaet< auf halber Strecke stecken. In der Politik geht es auch um die Frage, wie ich mit denen auskomme, mit denen ich gar nichts teile, schon gar nicht Erfahrungen. Diese Kluft zum Anderen laesst sich im grossen Massstab anders als im zwischenmenschlichen Bereich, wo Begriffslosigkeit alles noch viel schoener machen kann, nur mit Abstraktion ueberwinden.

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