Der gescheckte Hai

Es gibt Tiere, die gelten seit jeher als >boese<. Der Wolf ist so ein Tier, vor dem jeder Angst hat, der Rottweiler zaehlt dazu und natuerlich ganz besonders der Hai. Waehrend der Wolf vor allem durch Maerchen diffamiert wurde, hat der Hai seinen schlechten Ruf Hollywood zu verdanken, denn dort findet er regelmaessig als Angstgarant fuer Unterwasser-Gruselschocker Verwendung.

Dabei ist das Eintauchen in die fremde und unbekannte Unterwasserwelt einmal so friedlich gewesen: In den 1940ern unternahm der Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau seine ersten Expeditionen mit dem Forschungsschiff >Calypso<, die er mit der damals neuesten Filmtechnik dokumentierte. Seine Filme waren riesige Publikumserfolge, weil sie den Menschen eine neue Welt zeigten: Endlose Korallenriffe, bunte Fischschwaerme und sogar Killerhaie. Was es dort nicht alles zu entdecken gab! Cousteau entwickelte neue Techniken, um das Arbeiten unter Wasser zu erleichtern. Zum Beispiel die Aqualounge und die tauchende Untertasse. Er errichtete ein Unterwasserdorf bei Port Sudan, das einen Parkplatz fuer die Untertasse bot und ausserdem sieben Tauchern fuer einen Monat ein zu Hause war. 1975 machte er sich zu seiner wohl spektakulaersten Expedition auf, der Suche nach der versunkenen Stadt Atlantis. Auch zahlreiche Hollywood-Regisseure haben sich seit Cousteau des Unterwasser-Themas angenommen. Doch waehrend Cousteau Aufklaerungsarbeit leisten wollte, erreichten die Horrorstreifen, aber auch die Disney-Filme mit ihrer Schwarz-Weiss-Malerei oft das Gegenteil. Gruselschocker, wie >Der weisse Hai< zeigen die bedrohliche Seite des Meeres mit dem skrupellosen Killerhai, der unschuldige Touristen wahllos verschlingt und ganze Beach-Paradiese in Angst und Schrecken versetzen kann. Disney-Filme stellen derweil eine zuckersuesse Unterwasserwelt mit niedlichen Fischlis und coolen - aber boesen - Haien dar. Also egal in welchem Genre er auftritt, der Haifisch ist boese und hat boese zu bleiben. Dabei spielt es keine Rolle, dass die meisten Haifischarten dem Menschen nicht gefaehrlich werden. Der 12 Meter lange Riesenhai beispielsweise ist ein harmloser Planktonfresser. Die Faszination, die von dem Tier ausgeht, wird in den meisten Filmen durch ein Angstgefuehl ausgeloest. Diese Angst vor dem Hai wird als eine irrationale Angst vor dem Fremden und Unbekannten kodiert. Deswegen stirbt der Hai auch am Ende solcher Filme. Die ultimative Toetung erfolgte wohl in >Der weisse Hai<, in dem Tier durch eine Ladung Sprengstoff in die Luft gejagt wird. In den Diskurs der Unterwasser-Filme hat sich nun auch der amerikanische Regisseur Wes Anderson mit >The Life Aquatic with Steve Zissou<, eingeschrieben - ein Film, der auf der letzten Berlinale mit viel Erfolg lief. Der bizarre Film ist in vielerlei Hinsicht eine Hommage an Jacques Cousteau, gleichzeitig jedoch eine Absage an gaengige Unterwasser-Film-Klischees - schon allein deshalb, weil er eine Komoedie ist. Der Hauptdarsteller des Films ist Steve Zissou, ein alternder Tiefsee-Dokufilmer, der eine eigene Insel besitzt und dessen Erfolg langsam schwindet. Zissou verfuegt, genau wie Cousteau, ueber ein eigenes Forschungsschiff, die Belafonte und eine Unterwasser-Untertasse. Doch neben dem schraegen Protagonisten sind vor allem die Farben, die dem Film ein ganz anderes Feeling geben, als anderen Tiefsee-Streifen: Ein sattes Marineblau und ein grelles Sonnenblumengelb ziehen sich wie Leitmotive durch den Film und scheinen genau die richtige Projektionsflaeche fuer heimelige Abenteuerphantasien von elfjaehrigen Jungs zu sein. Ausserdem haben die skurrilen Settings und die nicht weniger skurrilen Teammitglieder einen Charme, der zu jeder Zeit Faszination fuer Fremde und Abenteuerlust ausstrahlt. Auch in diesem Unterwasser-Film darf ein Hai natuerlich nicht fehlen. Bei Anderson ist es der mysterioese Jaguarhai, der den Plot des Films vorantreibt, denn er frisst Esteban, den besten Freund Zissous, waehrend der Dreharbeiten zu seinem neuen Film. Nun will Zissou den gescheckten Jaguarhai unbedingt toeten. Die Rachegelueste treiben den ausgebrannten Zissou noch einmal an: Er kratzt Geld fuer einen letzten Film zusammen [bei einem mysterioesen >Kredithai<] und will die Jagd und Toetung des Hais dokumentieren. Doch genau das passiert am Ende nicht. Als es dem Team gelingt, den Jaguarhai endlich ausfindig zu machen, ist das Erstaunen ueber die Schoenheit des Tiers viel groesser als der Wunsch ihn zu toeten. Das Team-Zissou sitzt wie in einem Kino in der Untertasse und blickt auf den Meeresriesen, der da langsam in seiner vollen Groesse aus der Dunkelheit auftaucht. Der gelb-schwarz-gescheckte Hai gleitet langsam ueber das Unterwasser-Shuttle hinweg, ohne auch nur im Geringsten gefaehrlich zu wirken. Er ist ganz anders und viel schoener als erwartet. Die Augen aller Teammitglieder sind weit aufgerissen. Nicht vor Angst, sondern vor Neugier bleibt ihnen die Luft weg. Wes Anderson wagt einen neuen Blick auf ein vermeintliches Monster und stellt fest, dass nicht das Andere gefaehrlich ist, sondern lediglich unsere Angst vor dem Anderen. Und so versucht auch die Berliner Gazette in diesem Monat den Spiess umzudrehen. Wir wollen uns vor allem Tieren zuwenden, die in unserer Gesellschaft noch immer eine fragwuerdige Position einnehmen. Denn der Umgang mit fremden Tieren legt gleichzeitig unseren Umgang mit dem Anderen im Allgemeinen offen.

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