Datenströme: “Die vielen Medien sind in dem einen und einzigen Medium Computer konvergiert.”

Ende Januar war ich mit Freunden Schlittschuhlaufen auf dem Tegeler See. Nachmittags sassen wir am Ufer einer Insel auf einem Steg in der Sonne. Hinter den Baeumen in unserem Ruecken hoerten wir einen Hubschrauber. Jemand rief ueber Megafon durch den Rotorenlaerm: >Bitte verlassen sie sofort das Eis.< Quer ueber den See hatte sich ein 500 Meter langer und drei Meter breiter Riss gebildet.

Ich halte nicht viel von Prognosen. Gewoehnlich schreiben sie nur gegenwaertige Annahmen in die Zukunft fort. Aber das Neue erwaechst nicht aus der Kontinuitaet eines Fortschritts. Es ist eher ein Riss, der sich ploetzlich auftut. Ein analytischer Zugriff auf die Zukunft rueckt ihr von zwei Seiten nahe. Genau genommen mit dem Ziel, Zeit nicht zu durchlaufen, sondern wegzukuerzen, anders gesagt: das Kuenftige in der Gegenwart zu entdecken. Wir sehen nichts anderes als das Gegenwaertige. Deshalb kommt es darauf an, es richtig zu betrachten.

Es gibt zwei Arten von Prozessen, die Zeit ignorieren: in Kontinuitaeten bleibt etwas gleich, bei Wiederholungen kehrt das Gleiche wieder. Eine Kontinuitaet kann man etwa in Moore”s Law sehen, das ueber einen gewissen Zeitraum die gleichmaessigen Fortschritte der Computerchips beschreibt. Von einer Wiederholung kann man sprechen, wenn Neue Medien immer wieder auf aehnliche Weise kulturelle Prozesse in Gang setzen. Um das sich wiederholende Element an einem Ereignis zu finden muss man es richtig benennen. Die Illusion, dass sich etwas wiederholt, haengt mit der Betrachtungsweise und den richtigen Begriffen zusammen.

In meinem letzten Buch, >Flip Flop< [Hanser, 2005], habe ich versucht, die Zusammenhaenge von Technologien, Daten, Oekonomien und Kultur zu beschreiben. Der Begriff der Datenstroeme steht dabei im Zentrum. Er reagiert auf eine Zwickmuehle der Medientheorie. Die vielen Medien sind in dem einem und einzigen Medium Computer konvergiert. Welche Daten zwischen Computern stroemen, haengt nicht laenger vom Medium ab, sondern von den Verknuepfungen, den Protokollen und Formaten, die das Netzwerk bilden. Ich habe den Sachverhalt fast biologistisch beschrieben, so als ob es eine Umwelt von Techniken und Programmen gaebe, in denen Daten leben und sich Inhalte einschreiben. Wie so etwas vor sich geht, laesst sich an den Datenstroemen sehen, die derzeit in den als Web 2.0 bezeichneten Services entstehen. Seit Anfang 2006 betreibe ich zusammen mit Pit Schultz, von dem ich sehr viel ueber das Netz gelernt habe und noch immer lerne, den Blog >Datenstroeme<. Wir notieren dort Ansichten, Ideen, auch Perspektiven an der Schnittstelle von Technologien und Kultur. Unter den Tendenzen, die ich momentan mit grossem Interesse verfolge, steht der Einbruch der Dimension > Zeit< ganz vorne. Bisher war das Netz weitgehend zeitlos. Das sieht man zum Beispiel an den Methoden von Google. Die Hauptsuchfunktion ignoriert das Datum eines Eintrags. Damit wird die Dimension der Zeit gestrichen. Das Archiv ist ahistorisch. In diesem Text aber gibt es auf eine ganz wichtige Frage keine Antwort. Naemlich: >Und dann? Sind die Schlittschuhlaeufer eingebrochen? Oder gut nach Hause gekommen? Was ist weiter passiert?< Es wird Datenstroeme geben, die sich an Ereignissen orientieren. Deren Ablauf laesst sich mit Hilfe der Metadaten zu Ort und Zeit festhalten. Ein ereignisbezogenes Web wuerde sich von dem gegenwaertigen ungefaehr so unterscheiden wie ein Film von einem Fotoalbum.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.