Das Sein verstimmt das Bewusstsein

Die tiefsten und bestaendigsten Freundschaften haben sich in der Tat dort ausgepraegt, wo die lebenstilistischen Uebereinstimmungen hinter die Uebereinstimmung in politischen und weltanschaulichen Fragen zurueckfielen. Irgendwann wurde die Diskussion ueber Marx, dieses zunaechst konturlose und im Laufe der Jahre [auf unterschiedliche Art und Weise] konkretisierte >Linkssein< wichtiger als die Frage, ob man die gleiche CD mag oder die gleiche Kleidung traegt, was ja wohl das genaue Gegenteil der Diagnosen ist, die in der >Generation Golf< aufgestellt wurden. Natuerlich werde ich immer >Opfer< meiner sozialstrukturellen Disposition, immerfort jene Menschen zu treffen, die mir habituell ohnehin nahe stehen und das zu moegen, was ich habe, weil ich habe, was ich mag.

Bei einem Studienaufenthalt in Prag lud das tschechische Gegenstueck des RCDS zum politischen Plausch in sein Hauptquartier ein. Es dauerte nicht lange, bis die Frage Krieg und Vertreibung auf die Tagesordnung gelangte und wir merkten, wie fragil politische Koordinatensysteme in spezifischen Fragen werden koennen [was nicht bedeutet, es gaebe kein >Links< und >Rechts< mehr]: Die tschechischen Konservativen nehmen die Position der deutschen Linken ein, die tschechischen Linken koennten wohl auch mit Erika Steinbach gemeinsame Sache machen.

Ich bin der Ueberzeugung, dass das materielle Sein das Bewusstsein bestimmt. Ein entscheidender Beweggrund, >Generation Golf: Die Diagnose als Symptom< zu verfassen, war es, diese publikumswirksame Spontansoziologie zu untersuchen – damit meine ich diese amalgamierte Masse aus Lebensstilforschung, postmoderner Ironie, selbstanklagendem Kulturpessimismus, Berliner-Republik-Pathos und den Restbestaenden der einst linken Cultural Studies, die nun jeden Quatsch, den Adorno zu Recht verteufelt haette, als Befreiung des Individuums feiern. Mir fiel beim Stoebern im Buecherregal auf, dass Generation Golf >irgendwie< symptomatisch fuer all das ist – dieses >irgendwie< zu klaeren, war meine Hauptmotivation. Kurz gesagt: Es ging mir darum, auf den >kulturalistischen Irrtum< [T. Eagleton] hinzuweisen, wonach wir im weitesten Sinne durch Konsumentscheidungen Zusammengehoerigkeit erzeugen. Da sollen die Vorstellungen der Herrschenden wohl herrschende Vorstellung werden. Wir sind eine Konsumgesellschaft, eine Autofahrergesellschaft und was auch immer noch, zweifellos. Aber was wir im Kern sind, das ist: eine Klassengesellschaft.

Man muss differenzieren, welchen Generationenbegriff man meint. Als soziologische Kategorie im Sinne Mannheims liesse sich im wahrsten Sinne der >Ort< bestimmten. Doch dieser Generationenbegriff ist ja mit heutigen Schlagwoertern wie >Generationengerechtigkeit< gar nicht gemeint. Hinzu kommt: Weder sehe ich die Notwendigkeit, mich von >grossen ideologischen Erzaehlungen der Vergangenheit< zu emanzipieren, noch sehe ich Anzeichen dafuer, dass es diese >Losloesung< irgendwo tatsaechlich gibt. Unser Zeitalter trieft nur vor Ideologie. Generationenerzaehlungen, etwa in Form eines Demographiediskurses, der die Privatisierung des Rentensystems befoerdert, gehoeren unmittelbar dazu, ebenso die Aufforderung, die grossen Erzaehlungen endlich mal ueber Bord zu werfen.

Fuer mich gehoert die mittlerweile ja wieder abgeebbte Generationendebatte zu einer Vermeidungs- und Ausgrenzungsstrategie: Man will oder darf nicht mehr >Klasse<, >Schicht< oder >Armut< sagen, stattdessen sagt man >Unsere Generation<, wobei diejenigen, die dieses Wort so emphatisch im Munde fuehren, damit natuerlich nicht alle zufaellig im gleichen Zeitfenster geborenen Mitmenschen meinen [und das auch gar nicht wollen], sondern eine Uebereinstimmung in Lebensstil und Habitus – und da muss mindestens ein Abitur dazu, vielleicht noch ein [nahender] Bachelor-Abschluss in einem Studiengang mit englischem Namen und die bohrende Frage, ob man wirklich all das erhaelt, was einem qua elterlicher Startposition [vermeintlich] zusteht. Diejenigen, die das Generationenwort so uebereifrig verwende[te]n, sollten sich die Frage stellen, was sie mit dem gleichaltrigen Arbeitslosen, Callcenter-Agent oder Pizzafahrer verbindet [oder eben nicht verbindet!]. Bei der Beantwortung dieser Frage duerften sich die alten Erzaehlungen wieder als hilfreich erweisen…


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