Das Comeback des Medley

Drei alternde Artrock-Stars gerahmt von einer der damals aufwendigsten Light-Shows der Welt und 60.000 Zuschauer unter freiem Himmel. Unter diesen Bedingungen durfte ich erstmals einen Medley erleben:

Nachdem Genesis in einem ausverkauften Niedersachenstadion einen Hit nach dem anderen gespielt hatte, gab die Band schliesslich ein ganz langes Stueck zum Besten, in dem mehrere Hits – getragen von der emsigen Trommelei des glatzkoepfigen Phil Collins – inein- ander verwoben wurden: Turn it on Again – Land of Confusion – Misunderstanding – Throwing It All Away – You Can’t Hurry Love – Shortcut To Somewhere – All I Need Is A Miracle – That’s All – Tonight, Tonight, Tonight – Invisible Touch – Turn it on Again.

Fast 20 Jahre spaeter bin ich nicht mehr so einfach zu begeistern. Ich habe schon viel gehoert und kann mich an solchen selbstreferenziellen Best-Of-Gesten nicht mehr erfreuen. Vorgestern aber zeigte die >Konsens-Band< Hot-Chip, dass das Medley eine ueberraschend aktuelle Arbeitsmethode sein kann: Fuenf britische Tueftler, deren Rollenmodelle an dem Look von Statisten aus 80er Jahre Blockbustern angelehnt sind, spielten einen >Kracher< nach dem anderen [nach drei furiosen Alben koennte man jetzt schon drei gleichwertige Best-Of-Alben von ihnen auf den Markt bringen]. Es hatte den Anschein, als remixten sie sich selbst. Kein Stueck war an den ersten Takten wiederzuerkennen. Die Kuenstler kamen mit nur ganz wenigen [Atem-]Pausen aus. Das Konzert geriet zu einem einzigen Medley, bei dem die ihre eigenen Stueck remixenden Musiker den Montage-Charakter ihrer Kompositionen regelrecht ausstellten und damit auch die Kompositionen als Komposita aus Fremdeinfluessen und Zitaten. Das Konzert als Best-Of aus der Geschichte der Popmusik machte deutlich wie die Jungs um Frontmann Alexis arbeiten: >Denken im fremden Hirn<. Was Borges mal ueber das Lesen sagte, kann man auch ueber das Musikhoeren sagen, wenn es sich, wie im Falle von Hot Chip, als Musikmachen versteht. Ein Machen von Musik, bei dem schon alles fertig ist [ready made], aber in der Auseinandersetzung mit dem Material noch viel zu entdecken bleibt.

4 Kommentare zu “Das Comeback des Medley

  1. Eine Band, die einen Konsens erzeugt, also Übereinstimmung zwischen vermeintlich unvereinbaren Lagern. Ein Redakteur der Berliner Zeitung beschrieb das mal so:

    “Keine andere wird jedenfalls so leidenschaftlich umschwärmt und umjubelt – und zwar durch alle Fraktionen der zersplitterten Pop-Welt hindurch. Techno-DJs schätzen sie ebenso wie besinnliche Indierock-Freunde; elektronisch arbeitende Klangtüftler bestaunen ihre Kunstfertigkeit ebenso wie Anhänger des klassischen Gitarren-Songwriting. Europaweit hat es wahrscheinlich kein relevantes Musikmagazin gegeben, das Hot Chip im Januar nicht die Titelgeschichte eingeräumt hätte. Was aber nicht zuletzt zeigt, wie groß der Wunsch unter Kritikern und Hörern ist, in unseren unübersichtlichen Zuständen nochmal den gemeinsamen Nenner zu finden; eine Band, auf die sich alle einigen können: Raver und Rocker, Hüftenschüttler und Auf-die-Schuhspitzen-Gucker, Jungs und Mädchen, Partyvolk und Zuhausebleiber.”

    Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/spezial/kritiken/cds_dvds/93208/index.php

    Interessant an dieser Passage ist, dass dem Konsens eine Sehnsucht unterstellt wird, sich auf auf etwas einigen zu können, einen gemeinsamen Nenner zu finden.

    Ich denke, das greift zu kurz. Wir müssen eine weitere Dimension berücksichtigen: Die Sehnsucht nach dem Gemeinsamen hat insofern nicht nur etwas nostalgisches, als dass sich darin auch die Sehnsucht und die Möglichkeit manifestiert Differenzen auszuarbeiten. Alle – wer ist das eigentlich? – können sich auf Hot Chip einigen. Aber “alle” aus anderen Gründen. “Alle” sehen etwas anderes in dieser Band. “Alle” haben andere Gründe, Zugänge, etc.

    Wir leben nicht nur in Zeiten der Zersplitterung, sondern auch der Normierung. Hot Chip bietet die Möglichkeit zusammen zu finden und sich im selben Atemzug abzugrenzen gegenüber all jenen, mit denen man zusammen kommt.

    Es ist ein Tanz auf der Grenze, zu dem (das Phänomen) Hot Chip einlädt.

  2. I just learned about Hot Chip and I like their music very much. My German is not so good but I read your article. I was wondering if the whole concert was a medley – did the play one song after another without a break? Sorry if it’s already in the text and I just didnt get it. I will see them in Philly in April and I am sooo excited!

  3. @billy edwards:

    someone from de:bug describes the same thing without using the word medley:

    “Es dauert weitere drei Minuten, in einem Crescendo aus Atari-Geräuschen, bis die fünf Mitglieder der Band fröhlich auf die Bühne tanzen, den Platz hinter ihren Instrumenten einnehmen und das stürmische “Shake a Fist“ anstimmen. Darauf folgt in einem direkt gemixten Übergang ein eigener, sehr schneller Remix des All-Time-Klassikers “Boy from School“ […]

    Die Fähigkeit, zwei Lieder miteinander zu vermischen, in einem perfekten technoesken Übergang, ist schon sehr besonders.”

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