Cut it out

Als kleiner Junge hatte ich blonde Haare, engelsgleich – ich habe sie verabscheut. Aber weil in den fruehen Siebzigern selbst Walter Ulbricht nichts mehr gegen eine gepflegte Bietmusike einzuwenden hatte, trug ich halblange Loden, laessig ueber die Ohren wie die Popidole meiner Eltern. All die dicken Tanten standen vor mir und beneideten mich lauthals um eine Lockenpracht: >Ist er nicht suess?!< Geschenkt haben koennt ihr die, ihr alten Fetteln, dachte ich. Ich wollte sowieso Kohlentraeger werden. Die waren gross und stark, durften staendig dreckig sein und trugen offensichtlich von Berufs wegen schwarze, glatte Haare. Naja, irgendwas ist dazwischen gekommen - ich bin kein Kohlentraeger geworden, aber das ist eine andere Geschichte.

Der erste Barbier, zu dem mich meine Grossmutter zerrte, hiess Salon Hirsch. Ich weiss wahrlich nicht welche Kraefte sie aufbringen und mit welchen Versprechungen sie mich locken musste. Die wenigen Erinnerungen verschmelzen in der Vorstellung von Hoellenqualen, ewigem Stillsitzen und Millionen von kleinen Haaren, die es trotz zum Ersticken fest gezogener Kraeuselkreppkrause bis unter mein Feinrippunterhemd geschafft hatten. Ich bekomme heute noch blutunterlaufene Augen, wenn ich daran denke. Spaeter war es Frau Hoff im Dienstleistungszentrum der PGH, die mich nach allen Regeln der Kunst maltraetierte.

Mit Beginn der Pubertaet diente mein Kopfschmuck dazu meinen Widerstand gegen alles und jeden deutlich auszudruecken. Leider fand sich im Erzgebirge der Achtziger kein, seiner Berufsehre verpflichteter Handwerker, der mir den Gefallen tun wollte, meine Foenwelle auf 1 mm zu stutzen. Fortan erledigte diesen Job meine liebe Freundin Jacque und das Frisieren wurde wenigstens dadurch ertraeglich, dass ich dabei rauchen konnte und wir gleichzeitig Plaene zum Umsturz, ja zur Revolution schmiedeten. Der Umsturz ist zwar gekommen, aber irgendwie ist alles wieder schief gelaufen – bei den Frisuren dieser Zeit kein Wunder.

Obwohl es seit den Neunzigern in Berlin so viele Szenefriseure gibt – Schnittstelle [4], Vokuhila, Kaiserschnitt, Ponyclub – vergeht sich inzwischen mein Freund Yves an meinem Schopf. Einmal bin ich ihm untreu geworden und gleich in die Faenge einer seiner schwesterlichen Kollegen geraten. Nachher sah ich aus, als wollte ich mich fuer das Remake von >Manche moegen”s heiss< bewerben. Wenn der gute, alte Yves keine Zeit hat, fahre ich deshalb nur noch zum Berbersalon nach Kreuzberg. Dort bekomme ich einen ehrlichen Tee und an der Wand haengt neben dem glasgerahmten Bild von Atatuerk ein Tausend-Teile-Puzzle von Willi Brandt. Die Schneidemaschine wird ueber eine quietschende Kardanwelle von der Decke haengend angetrieben und neulich hat mir der gute Mann mit einem brennenden Stoeckchen die Haare in den Ohren abgesengt. Inzwischen akzeptiere ich solche Unannehmlichkeiten, vermutlich ist das sehr erwachsen von mir. Und dann fahre ich durch die Stargarder Strasse und sehe verwirrte und verwuschelte junge Menschen vorm Headhunter, entweder noch orientierungslos oder schon gescheitert, auf ihren 10-EURO-Schnitt stundenlang warten. Und alle sind supi drauf, wie auf dem Einwohnermeldeamt. Dabei gibt es 100 Meter weiter noch einen wirklich anstaendigen Friseur. Der sieht zwar aus wie ein Taxifahrer und seine Frau und er haben einen echt rauhen Umgangston, aber der Schnitt ist billiger und man kommt jederzeit dran: >Junger Mann, Sie sind anne Reihe. Waschen?< Nee, trocken wie immer. >Also dann, Augen zu und durch!<

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