Findet Kony: Politische Kampagnen im Zeitalter von Clicktivism und Slacktivism

Geht es wirklich um die Missstände in Uganda? Eins ist klar: Die Online-Kampagne „Kony 2012“ hat in der ersten Jahreshälfte Millionen von Menschen erreicht. Doch das Problem der Kindersoldaten im ostafrikanischen Land konnte damit nicht behoben werden. Da die Kampagne noch läuft, fragt Berliner Gazette-Gastredakteurin Leonie Geiger: Was können politische Kampagnen im Zeitalter von Clicktivism und Slacktivism erreichen?

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Das Internet ist zu einer Parallelwelt geworden. Wir kaufen, wir kommunizieren und wir geben unsere Meinung kund. Diese Welt ermöglicht es uns, Informationen schnell und grenzübergreifend zu verbreiten. Wer wir dabei sind, spielt keine Rolle. So weiß der Laie nicht, ob man Gretchen Müller oder vielleicht doch Superman ist.

Wir können uns in dieser Welt anonym bewegen, und so benehmen wir uns auch. Versteckt hinter einem Namen, der nicht zu uns gehören muss, schreiben wir unsere Meinung unter Artikel und trauen uns auch mal, zu übertreiben, vielleicht sogar den Autor zu beleidigen, um einfach mal unseren Frust abzulassen.

Dabei sind wir Teil einer wichtigen Masse: Einer Masse, die verlinkt, die weiter verbreitet, Sternchen verteilt oder Daumen nach oben drückt: “Gefällt mir!” Denn je mehr Klicks, desto mehr Wirkungsgrad. Bestrebt danach, Klicks zu sammeln, sind insbesondere Organisationen, die sich politisch einsetzen und Unterstützung suchen. Clicktivism wird die politische Beteiligung genannt, mit der man sich vom Computer aus mit wenigen Klicks bequem engagiert. Beteiligung mit einem Mausklick: Aktivismus im Internet.

Seit dem 5. März diesen Jahres wird oder – vielleicht eher wurde – ein Video viral im Internet verbreitetet: Kony 2012. Innerhalb von sechs Tagen wurde es mehr als 100 Millionen Mal aufgerufen. Damit führt es derzeit die Weltrangliste, gefolgt von Susan Boyles „Britain´s Got Talent“ (neun Tage), Lady Gagas „Bad Romance“ (18 Tage), Rebecca Blacks „Friday“ (45 Tage) und Justin Biebers „Baby“, das satte 56 Tage für 100 Millionen Klicks brauchte.

Das Scheitern der „Cover the night“-Aktion 

Die US-amerikanische Organisation Invisible Children hat die weltweite Kampagne Kony 2012 im Frühjahr gestartet. Ziel ist, den ugandischen Rebellenführer Joseph Kony als Kriegsverbrecher bekannt zu machen und ihn noch in 2012 festzunehmen. In dem 30-minütigen Film ruft die Organisation unter anderem auch dazu auf, bei der Aktion „Cover the night“ teilzunehmen.

In der Nacht vom 20. auf den 21. April 2012 sollten alle Unterstützer der Kampagne ihre Städte mit Plakaten oder Ähnlichem schmücken, um der Bevölkerung Joseph Kony bekannt zu machen und ihr Interesse an der Kampagne zu wecken. In Deutschland allerdings waren nur vereinzelt Plakate oder Graffiti auf Straßen oder Hauswänden zu sehen. Auch in den USA erreichte die Aktion nicht die erhoffte Resonanz, besonders in der Presse blieb das Echo aus.

Dennoch: Der Wirkungsgrad ging über die Grenzen der digitalen Welt hinaus. So wurde aus reinem Clicktivism so genannter Slacktivism. Dieser Begriff setzt sich zusammen aus „slacker“ für „Faulenzer“ und „activism“ für „Aktivismus”. Dass diese Beteiligung niedrigschwellig ist, drückt sich besonders im Widerspruch der zusammengesetzten Wörter aus. Das Engagement bei Slacktivism ist meist symbolisch. Die „Kony 2012”-Kampagne ist ein typisches Beispiel dafür, weil hier neben der niedrigschwelligen Online-Beteiligung (Verbreitung des Videos, Unterzeichung einer Petition) auch in der realen Welt zu Aktion aufgerufen wurde (Tragen eines Armbändchens, „Cover the night“-Aktion).

Die Kritik an der Kampagne war groß: Fakten wurden verallgemeinert oder waren falsch, Spendengelder missbraucht. Der Film manipuliert mit seiner hollywoodartigen Produktion den Betrachter. Der wiederum kann nur enttäuscht werden von den Hoffnungen, die das Video aufbaut. Betterplace.org Mitgründerin Joana Breidenbach fasst es in vier Wörtern zusammen: Manipulativ, kolonial, ineffektiv, kontraproduktiv!

Halbzeit für Kony 2012

Viel spannender als die allgemeine Kritik an der Kampagne ist jedoch die Frage: Was ist aus Kony 2012 geworden? Es ist Halbzeit für die US-amerikanische Organisiation Invisible Children und Joseph Kony ist noch nicht gefasst. Was keine gute Neuigkeit ist. Allerdings auch keine Überraschung. Der Hype um die Kampagne ist, wie erwartet, abgeflacht. Allein vereinzelte Graffitis in den Großstädten erinnern uns an Kony 2012.

Die meisten „Slacktivisten“ haben vermutlich nicht mitbekommen, dass der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für eine Spezialtruppe gegeben hat, die Joseph Kony und seine „Widerstandsarmee des Herrn“ aufspüren sollen. Insgesamt 5000 Soldaten werden aus unterschiedlichen Ländern der Afrikanischen Union (AU) gesandt. UN-Experten verweisen auf die unzureichenden Mittel der AU-Truppen und fordern UN-Geberstaaten auf, finanziell zu helfen.

Ob Entsendung der Truppen ein Erfolg der Kampagne ist oder ohnehin geplant war, kann man nicht eindeutig klären. Wichtig ist aber, dass Kony 2012 eine große Aufmerksamkeit auf den Rebellenführer generiert und den internationalen, politischen Druck gestärkt hat. Dank der „faulen“ Masse an Clicktivisten oder gar Slacktivisten, die im Internet ihren Dienst getan haben. Es bleibt die Frage, ob der Zweck die Mittel legitimiert.

Was kann man also mit Slacktivism oder Clicktivism erreichen? Oder besser: Was kann man nicht erreichen? Eine Antwort darauf gibt der US-amerikanische Journalist und Aktivist Micah M. White: „Clicktivism will never breed social revolution”, übersetzt: Clicktivism wird niemals eine soziale Revolution entfachen. Denn eine Revolution entsteht laut White nur, wenn der Aktionismus sich von seiner „Faulheit” löst und sich über die digitale Welt hinaus überträgt.

Politischer oder fauler Aktivismus?

Die Kritik, die an Clicktivism geäußert wird, scheint einfach, ist aber auch nicht von der Hand zu weisen: Um sich als Clicktivist zu engagieren, bedarf es zunächst keiner großen körperlichen oder geistigen Anstrengung. Wenige Klicks genügen, um etwa bei Facebook die Sperrung einer Seite zu verlangen oder ein Video zu teilen.

Fraglich ist, ob und wie informiert und reflektiert die Clicktivisten agieren. Wie viele Betrachter des Films Kony 2012 haben sich beispielsweise eigenständig über die Zustände in Uganda und Joseph Kony informiert, bevor sie das Video verbreiteten?

Es gibt natürlich nichts dagegen einzuwenden, sich politisch im Internet zu engagieren. Aber man muss sich immer fragen, wie effektiv der eigene Aktionismus ist. Denn das größte Problem bei Slacktivism und Clicktivism ist, dass dabei das Gefühl vermittelt wird, sich für eine gute Sache eingesetzt zu haben und damit das Gewissen beruhigt wird. Dabei hat man im Grunde selber nichts bewegt.

Erst, wenn man sich mit einem Thema geistig auseinandersetzt, beginnt politischer Aktivismus. Micah M. White sagt dazu: “Clicktivism is to activism as McDonalds is to a slow-cooked meal. It may look like food, but the lifegiving nutrients are long gone.” Clicktivism verhalte sich zu Aktionismus also wie McDonalds zu einer langsam gekochten Mahlzeit: Es sehe aus wie Essen, allerdings seien die lebensgebenden Nährstoffe längst verschwunden. Und die sind essentiell. Schließlich soll es doch im Offline-Leben „Klick“ machen.

Anm.d.Red.: In der Berliner Gazette erschien bereits Geesa Steegers Artikel über die Kony-Kampagne. Mehr zu Clicktivism und Slacktivism finden Sie bei uns in einer Artikel-Sammlung, die aus dem Berliner Gazette-Seminar zu Medienaktivismus hervor gegangen ist. Der obige Artikel greift den Leitgedanken eines Texts von Leonie Geiger und Jörg Eisfeld-Reschke auf, der kürzlich im Blog von Youthpart/Dialog Internet veröffentlicht wurde. Die verwendeten Bilder zeigen einen Kindersoldaten der Kony-Armee im “Kony 2012”-Film.

11 Kommentare zu “Findet Kony: Politische Kampagnen im Zeitalter von Clicktivism und Slacktivism

  1. Ich hätte es interessant gefunden, wenn die Autorin die Frage berücksichtigt hätte, wie ein Protestmedium wie der Film überhaupt erst viral werden konnte. Denn damit Clicktivism erfolgreich ist, müssen viele Menschen koordiniert das Gleiche tun. Dass eine große Anzahl Menschen ähnlich gerichtet handeln und auf diese Weise viel Aufmerksamkeit für ein politisches Anliegen erzeugen, ist die neue Herausforderung für Online-Protest. Und das ist vielleicht genauso schwer, wie viele Menschen auf die Straße zu bringen.

  2. @Kaede: Ich verstehe deine Anmerkung nicht ganz. Denn gerade durch das Medium Film konnte die ganze Sache viral werden. Film und Foto sind die idealen Medien für eine solche Kampagne und überhaupt nicht zu vergleichen mit der Herausforderung, Menschen auf die Straße zu brinen. Denn: Man muss sich einfach nur hinsetzen und von dieser beeidruckenden Produktion mitreißen lassen. Das ist eigentlich minimale Herausforderung. Und gerade weil es so leicht ist, sich einen solchen Film anzugucken, sich dann politisch zu fühlen und ihn als so ziemlich einzig logische Konsequenz im Internet zu teilen, hat Kony2012 so viel Aufmerksamkeit bekommen…

  3. lassen sich online und offline wirlick so einfach trennen, wie das hier gemacht wird? allein vom lebensgefühl ist es kaum machbar. außerdem finde ich zwifelhaft, dass offline mehr bedeutung beigemessen wird als online, so selbstverständlich ist das nicht, in zeiten, wo die welt versucht den digital divide zu schließen, kann und muss man das auch andersherum denken: wer oder was noch nicht online ist, ist von politik ausgeschlossen.

  4. Die Ahnlunglosigkeit der Clicker/Slacker sollte man nicht überdramatisieren.

    Vergleichen wir das mal mit “Stop ACTA”: eine absolute Minderheit wusste hier, wogegen sie eigentlich GENAU protestiert. Und das muss nicht an sich schlecht sein.

    Unrecht kann man auch spüren.

  5. @1+2: ich verstehe @kaede schon. es ist alles andere als selbstverständlich, dass ein film viral wird. davon können doch die meisten nur träumen. wenn selbst justin bieber, der superpopstar des facebook-zeitalters mit seinem clip hinter kony2012 zurückbleibt, dann weiß man: aufmerksamkeit zu erlangen ist ein großes kunststück, das selbst den ganzen großen industrie-größen nicht leicht fällt.

    aber: auferksamkeit erlangen (viele menschen gucken einen film im netz, auf ihrem persönlichen endgerät) oder aufmerksamkeit erlangen und dann menschen auf der straße zusammenbringen – das sind zwei verschiedene dinge.

  6. @Leoni, bingham: Vielen Dank für eure Anmerkungen. Ich denke, dass bingham das ganz richtig aufgefasst hat. Es reicht nicht, einen guten Film zu machen oder ein total geniales Blogpost zu schreiben. Man muss auch die Aufmerksamkeit dafür generieren. Sonst geht alles im Rauschen des Internet unter. Und in Zeiten des Astroturfing ist es noch schwieriger, glaubhaft Aufmerksamkeit zu erzeugen.
    Zudem wäre es vielleicht hilfreich, Kampagne und Protestbewegung zu unterscheiden. Kony 2012 war eine Kampagne und eben keine Protestbewegung. In deinem Artikel identifizierst du Internetprotest mit Kampagnen und vergleichst sie dann mit den Protestbewegungen der Straßen. Ist vielleicht auch nicht ganz fair.

  7. @ Rainhard Krome: Du hast vollkommen Recht, dass man das auch spüren kann. Dennoch ist die Schwelle von Online Aktivismus im Verhältnis zu – nennen wir es mal- realem Aktivismus wesentlich niedriger und deswegen auch kritischer zu betrachten, meiner Meinung nach.

  8. @ Kaede #6 : Ja glaubhafte Aufmerksamkeit ist wirklich der springende Punkt, der bei der Kony 2012 Kampagne durch die perfektionistische (und ziemlich teure) Produktion gelöst wurde.

    Ich weiß nicht, ob es in diesem Fall hilfreich ist, zwischen Kampagne und Protestbewegung zu unterscheiden. Denn eine Kampagne schließt eine Protestbewegung nicht aus. Will sagen: Die Kampagne hätte sich in eine Protestbewegung entwickeln können, hat sie sich gewisser Maßen auch.

  9. @Leoni: Warum ich die Unterscheidung zwischen Kampagne und Bewegung für interessant halte, ist der online/offline-Vergleich. Wenn die Menschen wegen einer Greenpeace-Kampagne seltener bei BP tanken und nach einer gewissen Zeit dann wieder eine Normalisierung eintritt, dann ist das vielleicht dem Clicktivism vergleichbar. Symbolisches Engagement, das bestenfalls kurzfristig etwas an den Symptomen ändert. Protestbewegungen zielen jedoch meist auf fundamentalere Issues und sind meist auf eine längere Dauer hin organisiert. Und solche Protestbewegungen können sich natürlich auch im Netz organisieren.

  10. Spannend… scheinbar – aber eigentlich auch verständlicher Weise – ist in den südlichen Länder die Kony Kampagne auf viel fruchtbareren Boden gefallen…
    Tolle Bilder!

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