Boulevard-Aktivismus: Sie sind sauer auf eine Firma, einen Politiker, einen Sportler oder einen Star?

Politiker und Promis ziehen nach Berlin. Da darf natuerlich die Boulevard-Presse nicht fehlen. Krystian Woznicki stellt sich dem Trend und formuliert die Grundgedanken fuer ein subversives Vorhaben: Boulevard-Aktivismus.

Zwei Hamburger sind seit diesem Jahr in der Hauptstadt und haben ihre sensationsgeilen Fuehler ausgestreckt, um >>schnell und gnadenlos<< [MAX] ueber Skandale im Entertainment- und Wirtschaftssektor zu berichten. Deftige Schlagzeilen bestimmen das Layout von www.thema1.de. Am 9.11. kams gleich ganz dicke: >>Basic Instinct II: Horrorsexgott Cronenberg darf Sharon Stones Beine spreizen<<, >>Mc-Donalds schuld an Mutation? – Monsterratten ueberfallen England<< und >>Kuessen nur noch mit Gummi – Herpes 8 auf dem Vormarsch – endet in Aids-Hautkrebs<< lauteten die Headlines.

Dekoratives Design? Gibt es nicht. Schwarz-weisse Buchstaben regieren die Seite. Ein zentrales Bild zum Aufhaenger, ansonsten ordnende Leere. Schnelle Ladezeiten kommen dem schnellen und immer auch >>gefaehrlichen<< Journalismus entgegen. Schnell auch, weil flink, jung und dynamisch. In Schroeders Jungbrunnen-Republik sind auch die thema1-Macher gefallen: Brandeins LeserInnen werden zumindest Jacob Bilabel kennen - er ist thema1-Geschaeftsfuehrer und Redakteur in Personalunion. Mit seinem Irokesenhaarschnitt vermittelt er den bundesweit verordneten Start Up-Katechismus. Waehrend ihm der DIY-Spirit in Form von Schweisstropfen von den wunden Fingerkuppen perlt, fordert er zum Mitmachen auf, ohne Ruecksicht auf Verluste. Das Internet wird zur willigen Plattform fuer Skandal-Fabrikation erklaert und Leser zu potentiellen Paparazzi-Schnuefflern. So kann man nicht nur ueberall seine Meinung zu kontroversen Themen abdruecken, sondern auch selbst eigene zur Exklusiv-Story gefilterte Informationen online stellen. Und noch viel mehr: >>Sie sind sauer auf eine Firma, einen Politiker, einen Sportler oder einen Star?<< fragen die Macher und versprechen: >>Wir geben Ihnen die Moeglichkeit, Ihrer Wut Luft zu machen. Wir werden Ihre Mail an die betreffenden Personen oder Institutionen direkt weiterleiten<<. Sauer? Michael Douglas skizziert in der letzten Ausgabe des SZ-Magazins das Szenario seines Alltags folgendermassen: >>Uns lauern rund um die Uhr Leute vor dem Haus auf. Typen mit militaerischen Abhoergeraeten versuchen, die Frequenz unseres Babyphones rauszukriegen. Wir haben die Kontrolle verloren.<< Darf man sich die DIY - Boulevard - Presse als Schlichter in diesem medialen Vorgarten-Krieg vorstellen? Wird sich jetzt die Low-Tech-Guerilla in Puff Dadys Swimming-Pool tummeln, um die Meldungen nicht mehr den dominanten, mit Millionen Budgets finanzierten Blaettern zu ueberlassen? >>Emanzipation von Unten<< haette so manch einem, der in letzter Zeit durch den Schlamm gezogen wurde, helfen koennen. Gelesen hat es, doch hat das Volk auch gesprochen, als Christoph Daum demontiert wurde? Dabei geht es nicht nur um einzelne Figuren, sondern um einen Trend in der deutschen Medienlandschaft. Es soll mal wieder richtig sauber werden. Und Dreck ist, wer querschiesst, querdenkt oder eben queer ist. Von Christoph Daum bis Franz-Josef Wagner, sperrige Individualisten werden ausgemustert. Was bleibt ist Doepfner und Beckenbauer. Muessen wir uns das gefallen lassen? Wie sehr es uns dabei ans Leder geht, davon zeugen auch juengste Versuche der Bild Zeitung neue Zielgruppen zu rekrutieren. Neonreklame, Leichtfuessigkeit, Coolness: Hippe Kids taumeln durch die neuen Werbe - Clips. Der Durchschnittsbuerger wird verjuengt und cyberisiert. Kein schlechter Zeitpunkt also fuer Boulevard-Aktivismus!

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