Blaue Erfahrungen

Ich bin Architektin und arbeite derzeit als Dozentin fuer Staedtebauliches Entwerfen an der TU Dresden. Von 1996 bis 2002 habe ich an der Brandenburgischen Technischen Universitaet Cottbus als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl fuer Stadtplanung und Raumgestaltung gearbeitet. Im Fruehjahr / Sommer 1997 betreute ich einen Studentenaustausch in St. Petersburg. Im Rahmen dieses Austausches erarbeiteten vier Studenten an der Petersburger Hochschule fuer Architektur und Bauwesen ein staedtebauliches Projekt.

Waehrend meines Aufenthaltes in Russland entstand mit russischen Kollegen die Idee zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt: den Blauen Staedten. Es handelt sich dabei um Industriestaedte, die seit den 1950er Jahren, d.h. in der Phase der Industrialisierung und Rationalisierung der Bautechnologie, die unter Chruschtschow begonnen hatte, gegruendet wurden. Ziel meines Projektes war zunaechst die Untersuchung des Status Quo. Hierzu fanden einige Forschungsreisen und viele Diskussionen – auch im Rahmen einiger Fachkonferenzen – statt, um sich mit Kollegen aus Ost und West ueber die moegliche Zukunft dieser Staedte auszutauschen. Spaeter entwickelte sich daraus dann das Vorhaben, als Teilprojekt quasi – naemlich mit dem Fokus auf dem oeffentlichen Raum – eine Dissertation zu den Blauen Staedten zu verfassen.

Die Arbeiten zu diesen Staedten und die Forschungsreisen haben waehrend meiner Taetigkeit als wissenschaftliche Assistentin stattgefunden. Unterstuetzt wurde das Projekt in der Hauptsache vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD. Dies geschah zum einen im Rahmen des Projektes der >Ostpartnerschaften<, der Unterstuetzung einer Trilateralen Projektpartnerschaft [das noch eine Universitaet aus Frankreich miteinbezog] sowie dem vom DAAD aufgelegten Programm >Go East<, das Studierende und Graduierte bei Studien- und Forschungsaufenthalten in Osteuropa unterstuetzt. Aber auch die DFG hat mit ihrer Foerderung inhaltliches Interesse bekundet, bspw. als wir eine Konferenz >Die Zukunft der Blauen Staedte< im Dezember 2000 in Berlin veranstaltet haben, auf der wir mit Planungsverantwortlichen aus Staedten in Sibirien und aus Berlin ueber die Zukunftsperspektiven der sibirischen Kommunen diskutiert. Die Klischees von den Baeren, die durch sibirische Staedte laufen, stimmt sicher nicht; auf meiner ersten Reise nach Westsibirien im Dezember 1998 fand ich das Planungsamt in Nizhnevartovsk wesentlich besser ausgestattet als manche Amtsstube in deutschen Kommunen. Natuerlich gibt es in vielerlei Hinsicht Nachholbedarf, gerade was die Belange der Stadtplanung betrifft. Schliesslich war Staedtebau / Stadtplanung in sowjetischer Zeit Staatsaufgabe. Nun hat man formal zwar die Kompetenzen an die Kommunen uebergeben, jedoch ohne entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung. Das gesamte Planungsrecht muss nivelliert werden. Auch die Ausbildung an den Universitaeten muss umfassend erneuert werden und viele Kommunen und Hochschulen gehen dieses Problem offensiv an, indem sie sich Partner im Ausland suchen. Die Technische Universitaet Irkutsk bspw. veranstaltet jedes Jahr einen internationalen studentischen Workshop, der dann von einer ebenfalls international zusammengesetzten Jury bewertet wird. Jede Auseinandersetzung mit einer neuen oder anders gelagerten Kultur stellt fuer den einzelnen - je nach Vorhaben - eine Herausforderung dar, weil man sich auf Neues, auf Ungewohntes einlassen muss. Ich finde es immer schwierig, Pauschalurteile ueber eine Gesellschaft zu faellen. Ich wuerde >die Russen< zunaechst als sehr vorsichtig eingestellt gegenueber Fremdem bezeichnen, die sicher etwas gegen einen unqualifizierten >Westimport< haben, aber wenn man etwas mehr Zeit hat, dann lernt man sie als sehr hilfsbereite und herzliche Menschen kennen. Ich hatte oft den Eindruck, dass die Menschen, denen ich begegnet bin, grossen Respekt vor meiner Arbeit hatten bzw. dies als Wuerdigung ihrer Kultur verstanden haben, was ja durchaus der Fall ist. Insofern habe ich von ganz vielen Menschen dort, die mir bis dato unbekannt waren, grosse Unterstuetzung erfahren, ohne die diese Arbeit gar nicht moeglich gewesen waere. Der grosse Vorteil eines Arbeitsaufenthaltes im Vergleich zu einem Besuch mehr als touristischer Sicht liegt in den Einblicken, die man auf ganz unterschiedlichen Ebenen [Arbeitswelt, Kultur, Gesellschaft und Politik] gewinnen kann, was als einfacher Reisender kaum oder nur sehr schwer moeglich ist. In meiner Taetigkeit als Forscherin und zeitweise auch Lehrende [an der TU Irkutsk] konnte ich nicht nur die Vorzuege geniessen, mit verschiedenen wichtigen Personen zusammenzukommen, was das Forschungsinteresse anging, sondern ich erlebte ueber mehrere Monate auch den Alltag der Menschen mit, der die Wirklichkeit des Stadtlebens abseits von aeusseren Images und Klischees abbildet. Einerseits kann man ein besseres Verstaendnis fuer die Menschen und ihre Eigenarten erwerben - oft unterliegt man ja Fehlinterpretationen, wie sich die Menschen im taeglichen Leben geben. Andererseits bekommt man auch die >volle Haerte< zu spueren, was man als Tourist auch nicht so ohne weiteres mitbekommt also bspw. Maengel in der Infrastruktur, buerokratische Strukturen u.a. In dem Moment, in dem ich in einem Land arbeite, ist die Integration in die Gesellschaft einfacher [auf einer bestimmten Ebene natuerlich, schliesslich bleibt man nach wie vor ein Auslaender, behaelt eine >Aussenansicht<]. Man wird zum Kollegen und hat Kollegen; es findet - Interesse und Bemuehen auf beiden Seiten vorausgesetzt - eine Auseinandersetzung mit dem/den anderen statt. Dies bietet die Moeglichkeit, eigene Beobachtungen auszutauschen, zu diskutieren oder zu hinterfragen. Damit gewinnt die Auslandserfahrung an fachlicher, aber auch persoenlicher Tiefe und wird somit zu einem wirklichen Kulturaustausch.

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