Gummimatten in Berlin: Bericht aus einem Sexclub

Sexualität und Psyche – zwei verlockende Landschaften, die uns zu forschenden Abenteurern werden lassen. Frei nach diesem Motto erkundet der Autor Hans Peter Nodi das (erotische) Berliner Nachtleben. Bericht aus einem Sexclub.

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Ich habe den Hals eines Riesenschnauzers. So muss es sein, denn auf der Verpackung des LED-Halsbandes stand, es passe für Hunde dieser Größe. Nun hängt es um meinen Hals, leuchtet blau und hell.

Das Halsband zu tragen fühlt sich hier nicht ungewohnter an als die transparente schwarze Netzunterwäsche an meinem Körper.

Wenige Minuten zuvor:

Die große Aluminium-Tür in der Görlitzer Straße in Berlin Kreuzberg macht nicht auf sich aufmerksam. Als ich näher herantrete, höre ich gedämpfte Bassklänge aus dem Innenraum. Eine Klingel ohne Namen oder Aufschrift gibt mir die Gewissheit am richtigen Ort zu sein. Ich drücke. Dann öffnet sich die Tür:

“Weißt du, was das für ein Club ist?”, fragt mich eine männliche Stimme in festem Ton. Nein, das weiß ich eigentlich nicht, aber ich beginne trotzdem zu nicken. “Gut, dann komm rein. Ich zeige dir alles”. Hinter mir wird abgeschlossen. Jetzt nehme ich den jungen Mann, der mir aufgemacht hat, ganz wahr. Er trägt eine Schürze, einen Vorbinder aus Leder; sein Oberkörper – schlank und sportlich – ist unbekleidet.

Es geht ein paar Treppenstufen hinauf, vorbei an der Bar in eine Ecke des Raumes: “Hier kannst du dich umziehen. Alle wichtigen Dinge hinterlegst du bei mir an der Bar und kannst sie später dort wieder abholen.” Nachdem ich mich umgezogen habe, setze ich mich an die Bar und bestelle ein Getränk. Hier bin ich.

Plastikmenschen in Lackkleidern und mit Fetischobjekten

Erst jetzt finde ich die Ruhe die Einrichtung zu studieren. Über mir hängt ein ausgestopfter Löwenkopf, daneben Girlanden und ein Rohr, das von der Decke bis zum Tresen herunterreicht, und an dessen Ende eine Schüssel mit Kondomen steht. Die Dekoration wirkt angenehm verkehrt: sowohl der übergroße Plastikpenis, an dem Spülbürsten und Handtücher hängen als auch die Spielfiguren, die zwischen den Flaschen mit Alkohol stehen.

Hierbei handelt es sich nicht um Superhelden-Imitationen wie die, mit denen ich in meiner Kindheit gespielt habe, sondern um kleinformatige Plastikmenschen in Lackkleidern und mit Fetischobjekten. Wäre meine Jugend anders verlaufen, wenn meine Eltern mir – anstatt einer Batman-Sammlung – solche Figuren geschenkt hätten?

Eine kleine Gruppe unterhält sich neben mir. Die Frauen und Männer scheinen sich zu kennen. Sie reden über Berufliches, die Familie und ihren Alltag. Einer aus der Runde verkündet, dass er bald nach Genf umziehen werde. Betretenes Schweigen. “Na, dann willst du dich heute wohl noch einmal richtig austoben, was?”, ruft die Kellnerin zu ihm herüber. Alle lachen.

Die Gruppe teilt ihre Lust

Das Gespräch entspannt sich wieder und nach wenigen Momenten steht die Gruppe auf, bestellt sich eine Flasche Sekt und geht hinüber zum Hochbett, das im vorderen Bereich des Raumes steht.

Die Gäste beginnen sich zu küssen, sich auszuziehen und werden freizügiger in ihren Bemerkungen. Sie umarmen sich, nunmehr ohne Kleidung, und beginnen Erotik gemeinsam zu erleben. Die Wahl der Partner ist dabei nicht festgelegt, sondern folgt der eigenen Lust und Befindlichkeit.

Ich beschließe, das Haus weiter zu erkunden und gehe in den hinteren Raum der oberen Etage. Hier verändert sich die Stimmung. Es ist düsterer als im Vorraum und niemand spricht. Die entlang der Wände ausgelegten Matten aus Gummi sind fast alle von männlichen Gästen besetzt. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes ist auf einer Leinwand ein Porno zu sehen; manche der Gäste rauchen oder trinken Bier, während sie das filmische Geschehen verfolgen.

Pornos en masse

In der hinteren Ecke des Raumes setze ich mich auf die letzte der noch freien Matten, wobei der Versuch keine Aufmerksamkeit zu erregen am Geräusch des sich zusammenknautschenden Gummis scheitert. Nun richte ich meinen Blick ebenfalls auf die Leinwand.

Eine Frau in Stiefeln ist dort zu sehen. Mit strengen Gesten befiehlt sie einem Mann sich rücklings auf den Boden zu legen. Eine zweite Frau hockt sich über das Gesicht des Mannes, das bis auf den Bereich des Mundes von einer Ledermaske umschlossen ist – sie lässt sich oral befriedigen. Nun tritt auch ein zweiter Mann ins Bild und beginnt, anders als ich es in diesem Moment erwartet hätte, das Geschlecht des bereits liegenden Mannes in seinen Mund zu führen.

Die Männer hier wirken entspannt beim Schauen des Pornos. Der Gast neben mir entledigt sich in dieser Atmosphäre seiner Unterwäsche und befriedigt sich selbst. Ein weiterer männlicher Gast tritt an die Seite des Mannes, setzt sich unmerklich auf die Matte und betrachtet ihn zunächst. Der neu hinzugekommene Partner trägt nicht mehr als ein Lederhalfter um seinen Penis. Dann nähert er sich dem Oberkörper des anderen Mannes, küsst und beleckt diesen, währenddessen jener ihm den Rücken streichelt. Seine Haltung wird indes sicherer, bis er sich schließlich ganz über den anderen Mann beugt und sein Gesicht zwischen dessen geneigten Oberschenkeln verschwindet.

Ein Déjà-vu-Erlebnis bei mir im Rückblick auf den Film bleibt nicht aus. Ich habe das Gefühl, als sei es unangebracht, die beiden weiter zu beobachten. Ist das Zusammensein der Männer an diesem Ort denn eine Freikarte zum Zuschauen? Verliert die Situation an Intimität durch meine Anwesenheit? Oder gehören mein Blick und ich dazu? Meine Unsicherheit über die Normen der (Nicht-) Teilnahme in dieser Situation lässt mich vorsichtig aufstehen. Wieder knautscht das Gummi laut.

„Hat es dir gefallen?“

Zurück an der Bar beschließe ich noch etwas zu trinken. Der Löwenkopf ist noch da. Seine Augen schauen in Richtung der Gruppe, die auf dem Hochbett weiter ausgelassen miteinander „spielt“. Lautes Stöhnen vermischt sich mit den House- und Techno-Klängen der Anlage.

Plötzlich greift jemand nach dem Stuhl neben mir. Als ich bemerke, dass es einer der beiden Männer aus dem Hinterraum ist, durchfährt mich ein Gefühl von Verlegenheit. Er spricht mich an: „Hat es dir gefallen?“

Verblüfft und um Zeit zu gewinnen einen klaren Gedanken zu fassen, frage ich ihn, wovon er spreche. Er lächelt, ohne auf die Frage zurück zu kommen. Ein Gespräch entwickelt sich und ich gestehe ihm, dass es mein erster Besuch in einem Sexclub ist. Er hingegen, so erfahre ich, ist Stammgast: „Seit acht Jahren komme ich her. Genauso lange wie ich schon mit meiner Freundin zusammen bin, die war auch schon öfter mit dabei.“ Wir tauschen uns darüber aus, was uns gefällt oder wir in Zukunft ausprobieren möchten.

Geheime Orte für geheime Wünsche

Obwohl meine Vorstellungen mir im Vergleich zu seinen wenig ausgereift vorkommen, habe ich das Gefühl durch unseren Austausch besser zu verstehen, warum ich heute Abend hier bin:

„Die Phantasie eines Menschen ist größer als die Realität, die der Alltag zulässt. Um sie einzuholen braucht es Orte und Personen, mit denen man die eigenen Wünsche teilen kann.“

Wir stoßen gemeinsam an; er auf seine Zufriedenheit mit sich, ich auf meinen Besuch hier in Kreuzberg.

Anm.d.Red.: Die Fotos stammen von Noritoshi Hirakawa.

3 Kommentare zu “Gummimatten in Berlin: Bericht aus einem Sexclub

  1. Hallo Steffen,

    vielen Dank für das Interesse – deine Frage finde ich wichtig und berechtigt. Die Motivation für den Besuch ist entstanden im Rahmen des Seminars: “Explizit! Perspektiven um Pornografie zu verhandeln”, das im WiSe 2012/2013 an der Universität / Fachhochschule Potsdam stattfand.

    Ein Arbeitsschritt, den wir im Seminar gemeinsam vollzogen haben, bestand darin zu sehen, dass Pornographie heute im Grunde (immer noch) in Verruf steht die ‘Ortschaft’ des bösen Triebes, des Maßlosen und des Gewalttätigen zu sein.

    Ein Schritt in diese ‘Ortschaft’ wollte ich mit meinem Besuch unternehmen. Der Umgang der Besucher des Clubs war, so mein Eindruck, von großem Respekt und von Freundlichkeit geprägt; es wirkte auf mich nicht wie eine Szenerie dessen, was heute unter dem Titel ‘Gang Bang’ oder ‘Orgie’ (beide zumeist negativ konnotiert) Medienpräsenz erfährt.

    Ich möchte meinen Artikel definitiv nicht verstanden wissen als einen Aufruf nun doch einmal ‘Urlaub’ im Sexclub zu machen; er schildert meinen ganz persönlichen Blick auf ein Thema, das (leider immer noch) dramatisiert und tabuisiert wird.

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