Foto-Essay: Flüchtiges Berlin, festgehalten

Wenn wir durch Berlin laufen, fliegen Gesichter, Häuser, Bilder an uns vorbei. WAS BLEIBT? in einer Stadt, die so flüchtig ist und sich immer verändert? Als der Fotograf Florian Reischauer 2007 nach Berlin kam, wollte er die Stadt festhalten. Sein Blog “pieces of berlin” setzt der Metropole und ihren BewohnerInnen ein Denkmal. Der Blogger fotografiert die vielen Gesichter auf der Straße und lässt die Menschen ihre Geschichten erzählen. Ein Foto-Essay.

Was bleibt? Diese Frage stellte sich mir sehr rasch. Als Zugezogener lernt man das neue Zuhause erst einmal kennen und lieben. Und dann wird man nahezu tagtäglich mit den Veränderungen der Stadt konfrontiert – sei es das optische Stadtbild oder die Demografie ganzer Bezirke.

Veränderungen sind doch gut, dynamisch, alles ist in Bewegung, Ideen werden geschaffen, alte eingerostete Gepflogenheiten über Bord geworfen. Oft hört man, Berlin erfinde sich ständig neu. Dem stimme ich zu, da bin ich auch dafür. Aber wenn ich mir die momentanen Veränderungen anschaue, läuft meiner Meinung nach Berlin Gefahr, genau diese Besonderheit zu verlieren und eine aalglatte, langweilige Stadt wie jede andere zu werden.

Gentrifizierung wird ganz groß geschrieben, Freiräume verkauft, bebaut, geräumt. Die Mieten steigen. Die Stadt wird zu einer Spielwiese von Immobilienhaien und Investorengruppen, die ganze “Landstriche“ verspießern. Alles wird normal, normal in den Grenzen des Systems. Eine düstere Prognose wie ich finde, aber das ist bloß meine Meinung, meine Einschätzung.

Dennoch liebe ich die Stadt und um alles, was mir gefällt festzuhalten, sammle ich seit zwei Jahren pieces of berlin und stelle sie online – auf mein rein subjektives Fotoblog über die Stadt, mit besonderem Augenmerk auf die Berliner und Berlinerinnen.

Ich fotografiere Leute, denen ich auf der Straße begegne und befrage sie über die Stadt. Egal welches Alter, welcher Bezirk, welcher sozialer Background. Mein Ziel ist es, einen Querschnitt durch den Berliner Alltag zu machen, die Menschen für fünf Minuten aus ihrer Anonymität zu holen und sie um ihre Meinung zu bitten.

Dazu zeige ich Berliner Ecken und Plätze. Alles analog – mit Kratzern und Krümeln, nichts ist perfekt, aber dafür einmalig.

pieces of berlin ist eine Momentaufnahme, die in Bewegung ist und ständig mit neuen Teilen aktualisiert wird. Es bleibt eine gestützte Erinnerung und eine Dokumentation. Ich denke, das ist mehr als ein Haufen Fotos.

13 Kommentare zu “Foto-Essay: Flüchtiges Berlin, festgehalten

  1. Dadurch dass die Bilder auch alle analog aufgenommen wurden, entschleunigen sie die Stadt noch viel mehr. Das nicht so perfekte macht das Foto erst interessant! Mich würde interessieren ob du auch digital fotografierst?

  2. Das analoge Foto ist bestens Falls bei der Entwicklung “entschleunigt”, die Stadt, zumal Berlin, lässt es vollkommen kalt ob da einer digital, analog oder sonstwie knipst. Die Stadt lässt sich nie “entschleunigen”, die geht ihren Gang, rastlos und gnadenlos. Man kann es schaffen diesen Prozess wunderbar für einen Moment festzuhalten (siehe Ulrich Wüst, Berlin Mitte.
    Verlag der Kunst, Amsterdam/Dresden 1997), dazu bedarf es aber mehr als nettes Licht und eine quadratische Filmknipse, die derzeit locker und viel schöner in jedem jedem iphone vorkommt und somit etwas ist, was jeder kann und jeder tut. So wird die Stadt dann vielleicht öfter fotografiert. Aber Bilder, die wir uns merken werden? Serien, die diese unglaubliche Stadt im Kern beschreiben? Die gibt es, aber wenn es sie gibt, dann ist es egal ob sie auf Silberhalogenide oder CCDs belichtet wurden und da spielt dann eine hübsche Störung in senfgelb und ein schwarzer Bildrand auch keine Rolle.
    Aber: Serie ist trotzdem schön, ganz nebenbei…

  3. @Dominik: Interessante Kritikpunkte. Ich habe die Idee der Serie aber anders verstanden: Die Flüchtigkeit der Stadt soll festgehalten werden, aber entschleunigt werden soll die Stadt durch die Bilder nicht. Der Anspruch, der deiner Meinung nach nicht erfüllt wird, liegt also gar nicht vor. Oder?

  4. “Oft hört man, Berlin erfinde sich ständig neu. Dem stimme ich zu, da bin ich auch dafür. Aber wenn ich mir die momentanen Veränderungen anschaue, läuft meiner Meinung nach Berlin Gefahr, genau diese Besonderheit zu verlieren und eine aalglatte, langweilige Stadt wie jede andere zu werden.”

    guter Punkt!

  5. nope da stimme ich nicht zu dafuer ist die Dame einfach zu gross, Berlin besitzt so viele kleine Mikro Kosmen, dass die Szene Zeitschriften kleine Indexe selber kleine Wegbechreibungen benoetigen, Aalglatt ist da och nur eine kleine Facette und Character Schwaeche aber ist Berlin nicht zu sehr Berlin, die Dame erfindet sich nur nochmal neu, aber die Goere treibt man ihr nicht mehr aus.

  6. Die gefühlte Flüchtigkeit verstehe ich eher als ein Ausdruck des Defizits bzw. des Wunsches nach Bleibendem, nach Halt Verschaffendem in einer Zeit und Um-Welt des ständigen und sich in seiner Geschwindigkeit steigernden Wandels. Auch unter den technischen Möglichkeiten der Bild-Perfektion und der möglichen/üblichen Effekte bleiben zu wollen, d.h. kleine “Fehler” zu genießen statt als Makel zu verstehen, spricht eher für ein Bedürfnis nach Nähe, nach Menschlichkeit, nach etwas “Echtem” angesichts einer technisierten und kommerzialisierten, letztlich unüberschaubaren und in ihrer Komplexität unverständlichen Großen Dame wie z.B. Berlin. Flüchtiger Alltag vs. Vereinheitlichung!

  7. Diese Nähe, die DenHo ansprichst, wird ja auch durch die Bildunterschriften auf dem Blog verstärkt. Dort erzählen die fotografierten Personen von ihrer Beziehung zu Berlin. So sind es nicht einfach nur Menschen auf der Straße, sondern Menschen mit Namen und Stimme. Das finde ich das spannende Moment dieses Blog!

  8. ein wirklich sehr gelungener Foto-Essay, weil hier (Bewegt-)Bild und Text auf inspirierende Weise miteinander verflochten werden. Auch ich denke: mehr davon!

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