Berlin for Sale: Ein Theater-Projekt über das Privatisierungsgemetzel in der Haupstadt

Nach der Wende kommt das Schlachtfest. Wasser, Verkehr und Flächen – nichts ist sicher in der öffentlichen Hand: Berlins Filetstücke in Mitte und an der Spree sind bald vergriffen. Was bleibt von Berlin übrig? Berliner Gazette-Autorin Martina Kollroß hat an einem Theater-Projekt über das Privatisierungsgemetzel in der Hauptstadt mitgearbeitet. Ein Entstehungsbericht.

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Wir waren alle absolute Laien. Doch unsere junge Theater-Gruppe formierte sich schnell. Irgendwie ging es um Freiräume, um Gentrifizierung, um Privatisierung. Jeder wollte seine eigenen Erfahrungen und ein ganz bestimmtes Berlin-Bild mit einbringen. Alle individuellen Perspektiven auf die Großstadt, Erlebnisse, genaue Beobachtungen ihrer Prozesse flossen dann zusammen in dem Titel „Berlin for Sale – unsere Stadt im Ausverkauf“.

Am Anfang stand nur das als gemeinsame Basis, doch der Titel rang uns ein kritisches Hinterfragen ab, welches sich mit der Frage „Was bleibt (Frei-)raum in Berlin?“ beschäftigen sollte. Dazu formulierten wir hohe Ansprüche, wollten mit politischem Kabarett informieren, kritisieren, wach machen. Nach einem Jahr standen wir am Wendepunkt des Projekts und fragten uns: Was bleibt eigentlich von den vielen Ideen in der konkreten Umsetzung? Ein Rückblick ist notwendig, um diese Frage genauer zu beantworten.

Humor – eine Form für unser Denken

Wir starteten das Projekt, nachdem Sven Laude – beim Kabarett-Theater Distel verantwortlich für die Jugendarbeit – auf dem Jugendforum 2010 Jens Thomas vom Polli-Magazin kennenlernte. Auf dem Polli-Event, bei dem Jugendliche das Berliner Abgeordnetenhaus übernehmen, gab es auch eine Diskussionsgruppe zum Thema „Berlin for Sale“.

Noch mehr Neugierde wurde da bei den Leuten geweckt, die sich mit den urbanen Prozessen beschäftigen wollten. Einzelne Prozesse in Artikeln zu kritisieren – das machten viele. Kreativ mit dem Themenkomplex umzugehen – das tun nur wenige. Sich das große Ganze einmal ganz anders anzuschauen, es ästhetisch zu hinterfragen und Visionen darin zu erblicken, schien deshalb eine andere Art von Herausforderung zu werden. Wir fanden schließlich eine Form für unser Denken: den Humor. Und ein Format, die verschiedenen Perspektiven auf die Stadtentwicklung zu thematisieren: das Kabarett.

Beim ersten Brainstorming im Februar 2010 war die Ausrichtung von „Berlin for Sale – unsere Stadt im Ausverkauf“ noch unklar. „Keine Frontalsituation, Publikum aktivieren, überraschen, Ideologien hinterfragen“, hielten wir als erste gemeinsame Stichpunkte fest.

„Metropole der Subkultur in einem Einwegglas“

Dann wurde es inhaltlicher. Die Frage kam auf, was Berlin eigentlich bedeute. Erwartungsgemäß war das für jeden anders, denn die gebürtigen Berliner sahen manche Dinge anders als die Zugezogenen. Aber wir teilten auch viele Eindrücke. So ergab sich ein „bunt gemischtes Allerlei“, wie man das lateinische „satura lanx“ frei übersetzen könnte, aus dem sich wiederum unser Wort „Satire“ entwickelt hat. Also beste Voraussetzungen für ein Kabarett-Stück zum Thema.

Die Rede von Berlin als „Metropole der Subkultur in einem Einwegglas“ kam auf. Wir fanden darin Kontraste und Parallelwelten. Und machten seine Multizentralität als Besonderheit aus. Das Problem der „Gentrifizierung“ war allgegenwärtig und schien präsent wie nie zuvor. Aus dieser Vielfalt entwuchs erst mal ein Gefühl der Überforderung für uns – immerhin wollten wir einen roten Faden in das Kabarett-Stück bringen.

„Handlungswille! Aber wo anfangen?“

Zumindest Ideen für mögliche Figuren hielten wir schon beim ersten Treffen fest: „Ein Stadtplaner, “Be Berlin”-Marketingexperte, Investor und Graue Männer“. Bis Herbst sollte das komplette Bühnenprogramm stehen. Es kam anders.

Der nächste Schritt: Themengebiete verteilen, um in die tiefere Recherche einsteigen zu können. Das Motto „Berlin for Sale“ umfasste für die Jungberliner zum Beispiel die Komplexe „Mediaspree“, „besetzte Häuser“ und „Gentrifizierung“. Den Gedanken an ein klassisches Bühnenstück fand die Mehrzahl des Teams abschreckend.

Um junge Menschen anzusprechen, schwebten schon damals Ideen von Podiumsdiskussion und Partyreihe im Raum. Um das Stück interaktiv zu gestalten, erwogen wir den Einsatz einer speziellen Software für generatives Erzählen, die der Wahlberliner Florian Thalhofer entwickelt hat: Korsakow. Dadurch bekommt das Publikum die Möglichkeit, den Verlauf des Abends mitzubestimmen.

Yoga gegen den Kapitalismus

Schnell haben wir an den interaktiven Momenten des Stücks weiter gesponnen. Immer wieder kam der Einwurf, dass wir das Publikum durch die vielen Reize nicht überfordern dürften. Gegenvorschläge dazu lauteten etwa: „Lasst uns lieber Yoga machen, um dem Kapitalismus für eine Meditiations-Session lang zu entkommen“ oder „Ausflipp-Pause: alle stehen auf und schreien und hüpfen wild herum“. Wir einigten uns dann doch darauf, dass, trotz aller Ablehnung klassischer Theaterkonzepte, das Publikum feste Figuren brauche, um den Aussagen der Szenen folgen zu können.

Bei so vielen individuellen Ideen muss auch der Einsatz von technischen Tools mit dem kollektiven Denken und Austauschen koordiniert werden. Von Sommerbeginn an traf sich die Gruppe darum alle zwei Wochen und feilte vor allem an Konzepten zur Einstiegsszene, die sowohl die Figuren etabliert als auch die Korsakow-Methode erklärt. Außerdem haben wir die Idee, das Stück schon vor dem eigentlichen Bühnenauftritt, also bereits beim Kartenverkauf anfangen zu lassen, konkretisiert. Wir teilten es schlussendlich in zwei Etappen auf, wobei im ersten Teil Berlins Ist-Zustand, im zweiten Teil urbane Visionen zur Spreemetropole im Fokus stehen sollten.

„Ist die Luft raus oder riechen wir schon komisch?“

Derweil drehte sich das Personalkarussell plötzlich sehr schnell. Das halbe Jahr Projektarbeit ohne klares Enddatum war demgemäß auch eine Zerreißprobe: Drei Gründungsmitglieder stiegen aus, ein neuer kreativer Kopf kam dazu und Jungschauspieler vom Gorki-Theater brachten frischen Wind ins Projekt. Diese „Neubesetzung“ und das alte Team entschieden, das Stück erst mal zu „entkomplizieren“, also die interaktiven Momente zurückzustellen und an erster Stelle die Szenen fertig zu schreiben. Wir fielen also wieder zurück.

Dieser Prozess ist vielleicht auch ein Spiegel für die Stadtentwicklung, denn das, was sich in ihr ausdifferenziert, kreativ wuchert, überträgt sich auch auf sie selbst. Der Verlauf und das Ausmaß dieses Prozesses speist sich aus uns, die wir in ihr leben und interagieren. Wir versuchen uns dabei zu verorten, sind jedoch auch persönlich die Gentrifizierung oder Privatisierung und fragen uns immer wieder individuell: „Was bleibt mir von Berlin? Wo ist mein Freiraum?“

Für uns vom Projekt „Berlin for Sale – unsere Stadt im Ausverkauf“ steht dahingehend zumindest schon einmal fest: Die Teilhabe an den komplexen Prozessen durchkreuzt die Idee des Stücks, die Probleme der Stadt aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Um das Dilemma deutlich zu machen, wollen wir das Publikum aus der Reserve locken: es soll aktiv in das Stück einbezogen werden. Das Theater wird so zum Trainingslager. Immerhin müssen wir Freiräume, die wir uns in der Kunst erträumen, in der Wirklichkeit einfordern.

Anm. d. R.: Das Jugendforum 2011 bot für die junge Distel-Truppe die Chance, einige Szenen vor Publikum auszuprobieren. Mit April 2012 gibt es auch schon einen Aufführungstermin, vorläufig. Von Oktober an erscheint nun jede Woche auf polli-magazin.de eine Kolumne des Kabarett-Teams, in der sich mehrere Autoren mit einem aktuellen Stadtthema auseinandersetzen. Das Bild oben stammt von Daniel Pflumm.

3 Kommentare zu “Berlin for Sale: Ein Theater-Projekt über das Privatisierungsgemetzel in der Haupstadt

  1. man kann und sollte die Bewegungen und Gegenbewegungen in Berlin in einem politisch, geografisch und kulturell größeren Kontext sehen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Globalisierung (Schlagworte wie Privatisierung haben direkte Verwandschaft). Auf diese Weise lässt sich etwas über das erfahren und lernen, was man, wie im Text beschriebenen wird, als Mensch, der in allem verwickelt ist, nicht sieht.

    Eine Anregung in dieser Sache ist ein Beitrag in der taz, der die vier Phasen der Globalisierungskritik skizziert um am Ende festzustellen, dass wir uns gerade jetzt am Anfang eines neuen Zyklus befinden:

    http://www.taz.de/Die-vier-Phasen-der-Globalisierungskritik/!86037/

    Hier ist natürlich auch von Occupy die Rede und wir sollten uns fragen, wie diese Bewegung, wie deren Ziele und Anliegen mit den Motiven verwandt sind, die die hier beschriebene Theatergruppe bewegt haben. Immerhin geht es um Zeitgenossenschaft – und einiges mehr, was eben daraus resultiert.

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