Bei Flut werden alle Boote angehoben

Die Sage vom Klau der Europa durch Zeus war fuer mich immer ein Leitmotiv fuer Europa, eine Geschichte, die alle Europaer – auch wenn nur als Mythos – vereinen kann. Europa sucht eine Identitaet, die es von Krieg und Hass abtrennt, und die es in seinen humanistischen Idealen wieder findet. Durch die Osterweiterung der EU stellt sich die Frage neu.

Mit der Osterweiterung werden Menschen und Ressourcen zusammenkommen, die bisher durch Landesgrenzen getrennt waren. Die wirtschaftlichen Moeglichkeiten nehmen zu. Es geht nicht nur um osteuropaeische Arbeitskraefte, die hierher kommen und arbeiten oder deutsches Kapital, das gen Osten geht. Erfahrungen zeigen, dass von einer Erhoehung der wirtschaftlichen Aktivitaeten alle profitieren, wie wenn bei Flut alle Boote angehoben werden. Man darf nicht vergessen, dass die aufstrebenden Osteuropaeer, von denen es fast 100 Millionen gibt, deutsche Produkte nachfragen werden – Autos, Elektrotechnik, Feinmechanik, aber auch Lebensmittel und Vorprodukte. Die geografische Naehe wird, wie es vor 80 Jahren der Fall war, eine entscheidende Rolle spielen. Deutschland und vor allem Ostdeutschland befinden sich in der Mitte des neuen Europa.

Die Risiken, die dabei von manchen gesehen werden, haben auch etwas mit den Veraenderungen der letzten Jahre zu tun. Im Osten Deutschlands fragt man sich wohl, >hat das nicht gereicht mit der Wiedervereinigung? Muessen wir alles nochmal ueber uns ergehen lassen?< Andererseits wissen die Ostdeutschen wirklich, was Flexibilitaet und Strukturanpassung bedeutet. Die Erfolge von Leipzig, Dresden, und Jena belegen das. Hier muss man den Menschen die Angst vor der EU-Erweiterung durch gute Erklaerungsansaetze nehmen. Zum Beispiel: Die Integration Portugals und Spaniens in die EU hat nicht nur fuer Frankreich und Italien Vorteile gebracht, sondern auch fuer Deutschland und Grossbritannien. Die Befuerchtungen in Frankreich, dass das Land von Portugiesen ueberschwemmt werden wuerde, haben sich als uebertrieben erwiesen: Nach den starken Wachstumsschueben sind die bereits Ausgewanderten in die Heimat zurueck gekehrt. Tatsaechlich ist man in Deutschland an der Front, aber dies kann genauso gut starke Impulse geben. Ich bin sogar der Meinung, dass Ostdeutschland staerker als Westdeutschland profitieren wird. Man muss allerdings bereit sein, mitzumachen. Ich bin nicht jemand, der gern das Normative mit dem Positiven mischt. Ich wuerde mich nicht anmassen, den Deutschen zu sagen, wie viel Reform sie sich vornehmen sollen. In der objektiven Analyse steht fuer mich jedoch fest: Wenn dieses Land mehr arbeiten, produzieren, verdienen und konsumieren will, wenn das Land die wachsende Armut abwenden und die schleichende Erwerbslosigkeit bekaempfen will, muss es Reformen geben. Es gibt keinen anderen Weg; es ist ur eine Frage der Zeit, bis diese Erkenntnis richtig sitzt. Tatsaechlich koennte es noch viel mehr Reformen geben: Das deutsche Steuersystem ist ein Anachronismus, die Arbeitsaemter denken in Strukturen der 70er Jahre, die Universitaeten verfallen, der Pseudo-Foederalismus blockiert jeden Reformschritt im Namen des Konsens. Aber die Menschen muessen voll hinter den Reformen stehen, ansonsten werden sie nicht implementiert - schauen Sie sich die Bundesagentur fuer Arbeit als Beispiel an, als Institution, die noch nicht bereit ist, reformiert zu werden - von ganz unten bis in den Verwaltungsrat. In solchen Faellen werden sich in der Regel die Zustaende noch viel mehr verschlechtern muessen, bevor ein richtiger Konsens zur Reform herrscht. Das Sprechen von einem >enormen Wandel< in Deutschland ist dabei massiv uebertrieben - bislang ist kaum Konkretes implementiert worden. Die externen, d.h. globalen Zwaenge, und die Veraenderungen, die die Reformen notwendig machen, kommen so oder so. China macht keinen Rueckzieher, Indien vielleicht auch nicht mehr. Das heisst aber nicht, dass diese Laender in einer Sackgasse stecken. Deutschland und die Europaeer sind noch immer sehr innovativ, auf ihre Art und Weise, und das ist gut so. Man muss eben nur die Strukturen schaffen, damit Menschen, die gute Ideen haben, sie hier in Deutschland und in Europa auch verwirklichen koennen. Allerdings hat man noch eine Menge zu tun. In Deutschland braucht man 45 Tage, um eine Firma zu gruenden, in Frankreich 49, in Polen sind es 43. Hingegen in Daenemark brauchen Sie nur 4, in den Niederlanden nur 11. Wenn ich mich selbststaendig machen wollte, wuerde ich vielleicht woanders hingehen.

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