Balkon in Wedding

Drei Bezirke suedlicher geht die Post ab. Menschenauflauf mit geschmackvollen Parolen. Wahrscheinlich. Die U-Bahnlinie Acht geraet etwas aus dem Konzept, lungert festgefahren am Kottbusser Tor rum. Nicht weiter besorgniserregend, ein mattes Gewirr, das zum Ritual geworden ist. Wie jedes Jahr, mal mehr und mal weniger, wie jedes Jahr ein paar Defekte mehr oder ein paar taumelnde Figuren weniger. Wir stattdessen, reichlich unrevolutionaer, sitzen sonnendurchflutet und schaelen Spargel. Endlich wieder Saison, da kann man schon mal auf ein Handgemenge verzichten.

Letzte Woche beim Zappen verschlug es mich um kurz nach Acht zur Tageschau. Drei Minuten internationales Blutvergiessen und nationales Krisengedoens reichten aus, um mich einmal mehr an der Menschheit zweifeln zu lassen. Der Musikantenstadl im Anschluss gab mir den Rest: Gewalt, Terror und Musik mit unerreichtem Gruselfaktor. Ja, da war mir nach Revolte – irgendwie. Letzte Woche. Bin schließlich jung und eher dagegen als dafuer. Nur passte die Stimmung da nicht zum Kalender. Allein gegen die Ungerechtigkeit der Welt so ganz ohne begleitende Polizeieskorte. Langweilig. Heute, am ersten Mai, da steht mir der Sinn eher nach Weltfrieden.

Wogegen heute protestieren? Gegen bruchsicheres Schaufensterglas vielleicht? Gegen das gute Wetter? Gegen Laufmaschen in Nylonstrumpfhosen? Gegen nuschelnde Bahnhofssprecher? Gegen Werbung probiotischer Joghurtprodukte? Gegen mangelnde Kaufkraft in der Krise? Gegen beschlagenen Spiegel nach dem Duschen? Gegen ueberhoehte Preise in sogenannten Second-Hand-Laeden? Gegen laute Checkermucke an der Bushaltestelle? Gegen Kohlensaeure im Sprudelwasser? Gegen, gegen und immer wieder dagegen sein. Ein Aufruf: Lasst uns heute protestieren, nur heute, gegen das Dagegensein. [Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes nimmt am CRASHKURS ONLINE-MEDIEN der Berliner Gazette teil.]