Aus dem Leben eines Anpassschuelers

Ich bin als Sohn iranischer beziehungsweise persischer Eltern in Berlin geboren. Meinen ersten direkten Kontakt mit der deutschen Sprache hatte ich im Alter von zweieinhalb Jahren als ich zum ersten Mal in den Kindergarten gegangen bin. Wie ich Deutsch gelernt habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Zuhause wurde Persisch, Farsi, gesprochen und im Kindergarten und spaeter in der Schule Deutsch. Also bin ich gewissermassen ohne irgendwelche Probleme zweisprachig aufgewachsen. Von einem Integrationsprozess in der Kindheit kann nicht die Rede sein. In welcher Sprache ich mich heute an meine Kindheit erinnere, kann ich nicht genau sagen aber ich glaube, dass es beide Sprachen sind.

Erst als ich 1994 in den Iran zog – ich war damals 13 -, fingen die Probleme an. Mein Deutsch war damals besser als mein Persisch. Lesen und schreiben konnte ich nur auf einem niedrigen Niveau. Es gibt in Teheran eine >Anpassschule<, die fuer Kinder gedacht ist, die eine laengere Zeit im Ausland gelebt haben. In dieser Schule werden erst die Persischkenntnisse geprueft, anschliessend werden die Kinder eingestuft und lernen erst mal jeden Tag nur Persisch, bis sie das Sprachniveau jener Klasse erreicht haben, die sie im Ausland zuletzt besuchten. Ich war in Berlin zuletzt in der siebten Klasse, also musste ich Persisch bis zur dieser Klasse lernen und erst dann ging ich in die siebte und hatte auch wieder andere Faecher. Da ich keine wesentlichen Probleme in der Schule hatte, verlief der Integrationsprozess einigermassen einfach. Natuerlich war ich mit verschiedenen anderen Problemen konfrontiert, wie zum Beispiel mit dem Heimweh nach Deutschland. In den ersten Jahren wuenschte ich mir Anfang November automatisch Weihnachtsstimmung herbei. Es war wie ein Instinkt. Ich kannte nur Deutschland und verglich es mit dem Iran. In einer gewissen Hinsicht baute ich eine Art Abwehrhaltung gegen den Iran auf. Das kam auch durch die Umgebung, in der wir lebten: Nord-Teheran war sehr westlich orientiert, in einer Zeit, da im Lande ein gewisser >Selbstentfremdungsprozess< im Gang war. Alles, was aus dem Ausland kam, war gut, alles Einheimische >pfui<. Aus diesem Grund war es ein Privileg, >aus Deutschland zu kommen<, vor allem unter meinen Freunden. Heute sehe ich das natuerlich ganz anders. Ich sehe mich als eine Person, die die Mentalitaet und Sprache der beiden Laender kennt und dadurch den Kontakt zwischen diesen beiden Kulturen vereinfachen kann. In den ersten Jahren nach meiner Rueckkehr spielte die deutsche Sprache keine grosse Rolle in meinem Leben. In der Schule gab es nur im ersten Jahr ein Deutschfach. Buecher, Filme und Briefwechsel mit einigen Freunden in Deutschland boten die einzigen Kontaktmoeglichkeiten mit dem Deutschen. Zuhause wurde wie immer Persisch gesprochen, nur wenn man mal in einer >Geheimsprache< reden wollte, wurde Deutsch benutzt. Erst 2000, im ersten Semester meines Studiums, fand ich heraus, dass es in Teheran ein Goethe- Institut gibt. Also besuchte ich es und konnte so die deutsche Sprache wieder benutzen und verbessern. Der Entschluss, Dolmetscher zu werden, war ein Zufall. Durch einen Freund in der deutschen Handelskammer bekam ich meine ersten Auftraege und mit der Zeit erweiterte sich meine Kundschaft. Dann erhielt ich eine Anstellung bei der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer und Auftraege von verschiedenen Firmen. Spaeter begann ich auch als Reisefuehrer fuer deutsche Touristen zu arbeiten. Durch diese Jobs konnte ich mit der deutschen Sprache nicht nur in Verbindung bleiben sondern auch meine Deutschkenntnisse kontinuierlich verbessern. Es macht mir sehr viel Spass, mit der deutschen Sprache zu arbeiten. Aber man kann damit einfach auch sehr gut verdienen, was mir anfangs nicht bewusst war. Da Deutschland der wichtigste Geschaeftspartner des Iran ist, besteht fast immer Nachfrage nach Deutsch sprechenden Iranern. Diese Nachfrage hat mir zuletzt einen Posten als Dolmetscher bei Siemens in der Abteilung Generatoren und Turbinen eingebracht. Es ist ein lukrativer Job, fuer den ich in ein Hotel in Isfahan ziehen musste. Hier finden sich zahlreiche Fabrikationsstaetten der Nahrungsmittel-, Stahl-, Oel- und Textilindustrie. Isfahan ist aber auch eine Universitaetsstadt, die eine Staedtepartnerschaft mit der deutschen Stadt Freiburg unterhaelt. Und nicht zuletzt ein Zentrum der iranischen Atomindustrie. Es kommt in meinem Job nicht nur auf die Sprachkompetenz an. Vielmehr gibt es auch Kulturunterschiede, die ich als Dolmetscher verstehen muss. Zum Beispiel putzen sich Deutsche am Tisch ihre Nase, was Iraner niemals dulden wuerden. Andererseits telefonieren Iraner am Tisch, was wiederum fuer Deutsche >unmoeglich< ist. Ein anderes Beispiel ist die Puenktlichkeit: In Deutschland sind fuenf Minuten gleich fuenf Minuten. Im Iran, das heisst im Orient, sind fuenf Minuten gleich fuenf Minuten und eine unbestimmte, bisweilen sehr lange Zeit. Als jemand, der als Dolmetscher arbeitet, muss ich diesen Interpretationsunterschied verstehen und vermitteln koennen. Anderseits kann ich nicht alles exakt uebersetzen, es ist schliesslich kein maschineller Prozess. Fuer einen Satz in der einen Sprache muss man einen vom Inhalt und Aufbau so aehnlich wie moeglich klingenden Satz in der anderen Sprache finden. Das muss binnen wenigen Sekunden passieren. Also muss ich beide Sprachen sehr gut beherrschen. Auch die sprachlichen Unterschiede muessen beachtet werden, da einiges, was in der einen Sprache benutzt wird, in der anderen keine oder eine andere Bedeutung haben kann. Im Augenblick denke ich viel ueber eine Rueckkehr nach Deutschland nach. Ich wuerde gerne dort weiterstudieren. Nebenbei koennte ich meine Sprachkenntnisse erweitern.

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